Manfred A. Schmid
Solide Inszenierung mit regietheaterlichem Sahnehäubchen gekrönt.
Zur Premiere von Benjamin Brittens Oper
"Death in Venice"
durch die Neue Oper Wien
Das Venedig, in das der an einer Schreibkrise laborierende deutsche Schriftsteller Gustav von Aschenbach kommt, um dort zugrunde zu gehen, wird in der Inszenierung von Christoph Zauner, die derzeit in Halle E des Museumsquartiers zu sehen ist, nur durch ein paar über die Bühne verteilte Stege markiert.
La Serenissima wie in Zeiten von acqua alta (Bühnenbild von Christoph Cremer, der auch für die passenden Kostüme verantwortlich ist), nur eben ohne Paläste, dafür aber mit jeder Menge Menschen, die dem lebensmüden und depressiven Künstler über den Weg laufen, ihn bedrängen, bedrohen, ihm Produkte zum Kauf anbieten oder ihm sonst wie ihre mehr oder weniger guten Dienste aufschwatzen.
Richtig entscheidend für ihn wird aber einzig und allein die Begegnung mit dem schönen Jüngling Tadzio (Rafael Lesage, Tanzrolle), zu dem sich Aschenbach erotisch hingezogen fühlt.
An die fünfundvierzig Personen sind es, mit denen er es im Laufe der rund drei Stunden dauernden Oper – nach einer Novelle von Thomas Mann – zu tun bekommt. Besetzungstechnisch wird das gelöst, indem viele Sängerinnen und Sänger gleich mehrere Rollen übernehmen.
So hat Andreas Jankowitsch, gewissermaßen Aschenbachs dämonischer Gegenspieler, gleich sieben Charaktere zu verkörpern und ihnen seine Stimme zu verleihen. Benjamin Britten nimmt da bewusst einen erstmals von Jacques Offenbach verwendeten Kunstgriff wieder auf, der in seiner Oper Les contes d’Hoffmann dem Bariton die Bösewichte Lindorf, Coppélius, Dapertutto und Dr. Miracle überantwortet hat. Jankowitsch bewältigt diese Vielfalt an Charakteren grandios, darstellerisch wie auch stimmlich unablässig changierend zwischen den Stimmungslagen gefährlich, mysteriös, aufdringlich, schmeichelnd und bedrohlich. Besonders gelungen ist die von Regisseur Zauner in Anlehnung an die commedia dell‘arte inszenierte Episode mit den beiden ihm untergeordneten Straßensängern (Catalina Paz sowie Jakob Pejcic).
Im Fokus der Handlung steht Gustav von Aschenbach, der immer auf der Bühne ist und enorm viel zu singen hat, wenn er die Geschehnisse kommentiert und in Secco Rezitativen über seine seelische Verfassung reflektiert. Der für seine expressiven Gestaltungen bekannte Tenor Alexander Kaimbacher legt in dieser fordernden Partie einen bravourösen, überaus imponierenden Kraftakt hin.
Stets um klare Diktion bemüht und auch schauspielerisch topp. Die schmerzliche Erkenntnis, in seinem bisherigen Leben zu sehr auf geordnete, harmonische und formvollendete , apollinische Prinzipien gesetzt und die rauschhaft-orgiastischen, chaotischen, triebgesteuerten Aspekte des sinnlichen Lebens (die Welt des Dionysos) vernachlässigt zu haben, kommt zu spät.
Dass in dieser Inszenierung Tadzio nicht – wie im Libretto von Myfanwy Piper – nach einer letzten Begegnung einsam aufs offene Meer zu läuft, sondern von Apollo erschossen wird, ist in der ansonsten recht gelungenen Regiearbeit ein durch nichts gedeckter Fauxpas. So, als wollte Christoph Zauner seiner eher braven Inszenierung am Schluss doch noch ein regietheaterliches Sahnehäubchen aufsetzen. Dass dann der sterbende Aschenbach sich zu Tadzio dazulegt, ergibt zwar ein rührendes Bild, ist aber ein Griff in die Kitschkiste, der Benjamin Brittens strenger Ästhetik gänzlich widerspricht.
Die übrigen, meist nur in kurzen Episoden auftretenden Personen sind – zum Teil mit Solostimmen aus dem von Bernhard Jaretz bestens vorbereiteten und spielfreudigen Wiener Kammerchor – gut besetzt. Nachhaltig in Erscheinung treten u.a. die bereits erwähnte Catalina Paz als Französisches Mädchen und Erdbeerverkäuferin und Luis Rivera Arias als Bootsmann, Kellner und Reisebüroangestellter.
Die Musik Benjamin Brittens ist schwermütig komplex und vor allem im 1. Akt von einer fiebrigen Stimmung geprägt. Das impulsiv-archaische Schlagwerk treibt die Handlung unerbittlich voran. Erst im 2. Akt, nach der Pause, treten vereinzelte Instrumente, darunter auch das markant eingesetzte Klavier, hervor und setzen dramaturgisch unterstützende Akzente.
Das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich unter der souveränen Leitung von Walter Kobera vollbringt eine imposante Leistung und wird seinem Namen wieder einmal voll gerecht.
Viel Applaus zu später Stunde, denn das pandemiebedingte Einlassprozedere führte zu einem verspäteten Beginn der Aufführung. Und der Rezensent ist so im Bann des soeben Gehörten und Gesehenen, dass er diesmal vergisst, wie ansonsten stets üblich, ein paar Schnappschüsse von den sich verbeugenden Mitwirkenden – für eine Kurzmeldung in sozialen Medien – zu machen.