Thomas Nußbaumer
Das achte und letzte Symphoniekonzert des Tiroler Symphonieorchesters Innsbruck mit dem Weltstar Fazıl Say als Pianist und Komponist bildete einen wahren Höhepunkt der zu Ende gehenden Saison. Unter dem Motto "Auf dem Gipfel" erklangen Werke von Say und Mozart und die Alpensinfonie von Richard Strauss.

Der erste Teil des Abends gehörte zur Gänze dem Ausnahmepianisten Fazıl Say.
In seinem Werk Yürüyen Köşk. Hommage à Atatürk für Klavier und Streichorchester (op. 72c) präsentierte er sich sowohl als Komponist als auch als Pianist, und in beiderlei Hinsicht ist der türkische Starmusiker außergewöhnlich und charismatisch. Dem Stück Yürüyen Köşk (Das verschobene Haus) liegt die Begebenheit zu Grunde, dass der türkische Staatsgründer Kemal Atatürk eine seiner Villen versetzen ließ, um eine Platane zu retten, deren Äste das Gebäude zu überwuchern drohten. Say verband die Erinnerung an dieses Ereignis mit den teils philosophischen Themen „Enlightenment“, „Struggle against darkness“, „Believing in Life“ und „Plane Tree“ – so die Satzbezeichnungen – und schuf eine Musik, die sich durch vitale Rhythmik, oft clusterartig verdichtete Harmonien und gravierende Gegensätze zwischen dunkel-bedrohlichen und traumhaft-lyrischen Passagen auszeichnet.

Kerem Hasan am Pult des Tiroler Symphonieorchesters Innsbruck Kerem Hasan am Pult des Tiroler Symphonieorchesters Innsbruck

Wie für Says Kompositionsstil typisch verbindet er auch in Yürüyen Köşk Anklänge an türkische Musik mit Jazzharmonien und experimentellen Klängen. Zudem ist Says Musik sehr bildhaft. Wenn sich zu Beginn des Stücks flirrende, flageolettartige Streicherklänge mit den Klangstrukturen des Klavierparts mischen, spürt man den durch die Baumblätter säuselnden Wind und sieht förmlich das durch das Laubdach und Geäst schimmernde Sonnenlicht. Später am Abend, wenn ein „Sonnenthema“ Strauss’ Alpensinfonie durchzieht, tauchen ähnliche Bilder in einem erneut sehr wohldurchdachten, hervorragend programmierten Symphoniekonzert auf.

Fazıl Say spielt Mozart Fazıl Say spielt Mozart

Nicht unerwähnt bleiben darf, dass am Pult Kerem Hasan, der großartige Chefdirigent des Tiroler Symphonieorchesters Innsbruck, stand. Er bildete die entscheidende Schnittstelle zwischen dem Komponisten/Solisten und dem Orchester, nicht nur bei der Wiedergabe von Says Komposition, sondern auch bei einer beispielhaften Darbietung von Wolfgang Amadeus Mozarts Konzert für Klavier und Orchester in C-Dur (KV 467). Fazıl Say, der weltweit bewunderte Mozart-Interpret, spielt einen dynamisch federnden, die Konturen deutlich zeichnenden Mozart, an manchen virtuosen Stellen nahezu originalgetreu hammerklavieristisch, dann aber wieder auch sehr frei, indem er gemeinsam mit dem Orchester Kontraste modelliert (z.B. am Beginn des 2. Satzes) und indem er sich als Solist in den beiden Kadenzen des Werks individuell mit eigenen Improvisationen bzw. Kompositionen einbringt. Denn Say, der ja auch ein anerkannter Jazzer ist, weiß, wie man Soli spielt. Als besonders spannend und künstlerisch ertragreich erwies sich seine Kommunikation mit dem Dirigenten und dem Orchester. Say leitete am Flügel mit, gab deutlich, auch gestisch, zu verstehen, welches Tempo einzuschlagen ist, welche Solostimme man nun hören will, wo die Akzente zu setzen sind. Und wie soll man Fazıl Says Anschlagskultur, Musikalität und Charisma in Worte fassen? Große Teile des Publikums spendeten dem Meister, nachdem er sich mit einer faszinierenden Eigenkomposition für Klavier solo verabschiedet hatte, stehend ihre Ovationen.

Fazıl Say spielt eine Zugabe Fazıl Say spielt eine Zugabe

Es folgte nach der Pause eine höchst beeindruckende Aufführung der Alpensinfonie (op. 64), eine wahre „Gipfelmusik“, bekanntermaßen die Beschreibung einer Bergtour, die alles bietet, was im alpinen Gelände möglich ist: Waldesidylle, Wandern am Bach, Wasserfälle, Steige durchs Dickicht, Almen, Schneefelder, ein Gewitter und Sommernachtsromantik. Im Symphonieorchester saßen nun neben den arrivierten Leuten vereinzelt auch junge, talentierte Aushilfskräfte, die noch am Mozarteum und Landeskonservatorium studieren, da das Orchester ja rund 125 Musikerinnen und Musiker umfassen soll. In der Zusammenführung aller Beteiligten zeigte Kerem Hasan seine großen Qualitäten als Chefdirigent auf und begeisterte das Publikum mit einer bis zur letzten Sekunde intensiv musizierten Alpensinfonie, bei der ausnahmslos alle Register, bereichert durch Tamtam, Heckelphon, zwei Harfen, Celesta, Orgel und sogar Windmaschine, Donnermaschine und Viehschellen, bravourös am Werk waren.

Kerem Hasans triumphaler Abschluss der Saison Kerem Hasans triumphaler Abschluss der Saison

Das Tiroler Symphonieorchester steht an einigen Positionen vor Umbrüchen. Über Jahrzehnte vertraut gewordene und liebgewonnene Stimmen gehen altersbedingt in den Ruhestand: Andrea Rainer (Flöte), Reinhard Gritsch (Tuba), Erich Niederdorfer (Cello), Po-Ching Ho (Violine), Peter Rabl (Klarinette) und Michael Tomasi (Cello). Mögen ihnen ebenso fähige Musikerinnen und Musiker, wie sie selbst sind, nachfolgen!

Das saisonale Schlusskonzert mit Fazıl Say wird heute, Freitag, 23. Juni, um 20 Uhr im Congress Innsbruck wiederholt.

Fotos: © Chó/wefeel.art

 

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Thomas Nußbaumer

Thomas Nußbaumer ( geb.1966 in Hall in Tirol) ist ein österreichischer Musikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Volksmusikforschung / Ethnomusikologie. Nußbaumer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Innsbrucker Sitz der Universität Mozarteum Salzburg, Abteilung für Musikwissenschaft, Abteilungsbereich Musikalische Volkskunde, seit 2010 als Universitätsdozent für Volksmusikforschung. Daneben arbeitet er als freier Kulturjournalist.

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