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Thomas Nußbaumer:
Die Compagnie „Ultima Veza
leitete mit
„What Remains – Das, was bleibt“
die Schlussphase des diesjährigen
Osterfestivals ein.

Das Osterfestival Tirol 2024 der Galerie St. Barbara mit dem beziehungsreichen Motto er.schöpfung geht in die Schlussphase. 

Am Karfreitag präsentierte sich in der Dogana des Congress Innsbruck Ultima Veza, eine in Brüssel beheimatete Compagnie für zeitgenössischen Tanz, mit dem eindrucksvollen Stück What Remains – Das, was bleibt – der 29jährigen Choreografin Zoë Demoustier.

 Tanz der Generationen © Victor Malyshev Tanz der Generationen © Victor Malyshev

Am Anfang nur ein junger Mann im Bühnenscheinwerferkegel, dargestellt vom Tänzer Misha Demoustier, der zur knatternden Geräuschkulisse ständig aus sich selbst zu fahren scheint. Bald schon ist er nicht mehr allein. 

Nach- und miteinander erscheinen und verschwinden wie aus dem Nichts weitere neun Gestalten und tummeln sich bald gemeinsam auf der Bühne. Fünf von ihnen sind Kinder, die jüngste Darstellerin ist erst sechs Jahre alt, und einer mit Alm-Öhi-Bart, der Tänzer Jef Stevens (Jahrgang 1947), symbolisiert mit seinem weiblichen Gegenpart Karin Vyncke offensichtlich das Alter.

Familienzusammenstellung © Victor Malyshev Familienzusammenstellung © Victor Malyshev

Zunächst erfolgt eine langwierige Phase von Familienzusammenstellungen. Die Gruppe formiert sich, ähnlich der klangvariablen, jedoch insistierend gleichrhythmischen Musikkulisse im Hintergrund, in immer neuen Konstellationen, erstarrt, bis sich eine Person aus der Gruppe löst und um die Gruppe ihre Kreise und Bahnen dreht. Es scheint, als würde sie ihre Bezugspersonen und ihr eigenes, ruheloses Handeln wie von außen betrachten. Beinahe übergangslos fließt ein Tableau aus dem anderen.

Die Bühnenmusik, eine klangliche Bandbreite aus Naturgeräuschen, Menschenstimmen, akustischen Verfremdungen bis hin zu Spurenelementen von Art Rock und aus unterschiedlichsten Quellen zusammengemixt von Misha Demoustier und Sebstiaan Wets, treibt eine Handlung voran, die zunächst eigentümlich in einem Zustand zwischen Statik und höchster Dynamik verweilt. 

Die Tableaus lösen sich in symbolhafte Einzelhandlungen auf. Kinder und Erwachsene auf der Bühne scheinen miteinander zu spielen und Rollen zu tauschen. Im letzten Drittel des Stücks wird diese Idee besonders sinnfällig, wenn zuerst die Kinder kindlich spielen und plötzlich die Erwachsenen, unter ihnen der Alm-Öhi, ganz besonders lustig dasselbe Kinderverhalten an den Tag legen.

Unaufhaltsam steuert das Stück der fließenden Bilder auf zwei unvermeidliche Höhepunkte zu: Geburt und Tod. Im Kommen und Gehen auf der Bühne ändern sich allmählich die Kostüme (von Annemie Boonen): Erd- und dunkelfarbene, an Alltagskleidung angelehnte Gewänder weichen einfärbigen, im Zusammenspiel einen bunten Eindruck erzielenden Hemden, Blusen, Kleidern. 

Der Tod © Victor Malyshev Der Tod © Victor Malyshev

Nun steht im dräuenden Nebel die junge Frau (Alice Monserez) im Zentrum, im strahlend hellen Kleid, aus dem sich langsam ein hellrotes Tuch enthüllt, das bald ausgelassen über die Bühne wirbelt. 

In der Todesszene umhüllt ein schwarzes Tuch die Trauergesellschaft zu den Klängen eines schlichten, wohl mennonitischen Begräbnisgesangs. Diese Szene löst sich allmählich auf, Dunkelheit weicht Licht, Trauer weicht Freude – und am Ende steht das kleine Mädchen auf der Bühne und blickt herausfordernd ins Publikum.

Der gute Besuch in der Dogana zeigt einmal mehr, dass es der veranstaltenden Galerie St. Barbara aus Hall über die Jahre gelungen ist, auch für Contemporary Dance ein wertschätzendes, sogar kennerhaftes Publikum aufzubauen. 

Manche sind aus anderen Bundesländern angereist, um diese Performance zu sehen und auf Philip Herreweghe zu warten, der heute, am Karsamstag, mit seinem Collegium Vocale Gent im Congress Innsbruck Bachs Matthäus-Passion aufführen wird.

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Thomas Nußbaumer

Thomas Nußbaumer ( geb.1966 in Hall in Tirol) ist ein österreichischer Musikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Volksmusikforschung / Ethnomusikologie. Nußbaumer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Innsbrucker Sitz der Universität Mozarteum Salzburg, Abteilung für Musikwissenschaft, Abteilungsbereich Musikalische Volkskunde, seit 2010 als Universitätsdozent für Volksmusikforschung. Daneben arbeitet er als freier Kulturjournalist.

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