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Literarische Korrespondenz:
Von Schöpf/0bermüller/Rennhofer
an die Ärzte-, Notariats- und Apothekerkammer
Betrifft:
Das Menschenrecht selbstbestimmt zu sterben


Zum Geleit:

Der unten stehende Brief von Gottfried Rennhofer erreichte Wolfgang Obermüller, den Initiator der Petition „Mein Ende gehört mir“, die bereits von über 100.000 Bürgerinnen und Bürgern unterzeichnet wurde. Als mein Partner im Rahmen unserer Bemühungen, die Beachtung der Autonomie der Person auch in der letzten Lebensphase der Menschen durchzusetzen, gab er das Schreiben mit Zustimmung des Autors zur Veröffentlichung an schoepfblog weiter.

Es verdeutlicht in seiner überlegenen Beredsamkeit und genauen Schilderung der Situation eines aktuell Sterbewilligen die Dringlichkeit, nunmehr auch nach dem Beschluss des ab 1. Januar gültigen Sterbeverfügungsgesetzes alle an einem solch autonom beschlossenen Prozess Beteiligten daran zu erinnern, dass ihre Mitarbeit nicht ein freiwilliger Akt generöser Menschlichkeit ist, sondern eine ethische Pflicht, die aus der unzweideutigen Feststellung des österreichischen Verfassungsgerichtshofs resultiert, dass jeder Bürger dieses Staates das Recht hat, Art und Zeitpunkt seines Lebensendes selbst zu bestimmen.

Das nunmehr in der Verwirklichungsphase befindliche Sterbeverfügungsgesetz wurde in den Medien von vielen Skeptikern bereits heftig kritisiert und als ein theoretisches Phantasma bezeichnet, dessen Bestimmung in Wahrheit darin bestehe, die Menschen daran zu hindern, ihre Autonomie wahrzunehmen.

Optimisten hingegen, zu denen Wolfgang Obermüller und auch ich gehören, lobten das Gesetz vor allem deshalb, weil es nicht im Stile des aufgeklärten Absolutismus der Gesellschaft Liberalität verordnet, sondern sie von dieser einfordert.

Das neue Sterbeverfügungsgesetz funktioniert tatsächlich nicht, wenn Ärzte, Apotheker und Notare, im weiteren Sinne aber auch Hospize und Spitäler sich aus welchen vorgeblichen oder tatsächlichen weltanschaulichen Gründen immer weigern, Gutachten auszustellen, Sterbeverfügungen zu errichten und ein tödliches Mittel zur sanften Beendigung eines von den Betroffenen als nicht mehr lebenswert eingestuften Lebens auszufolgen.

Um den Sachverhalt zumindest für Tirol abzuklären, setzte ich mich mit der Tiroler Apotheker-, Notariats- und Ärztekammer in Verbindung. So wurde seitens der Tiroler Apothekerkammer die Versicherung abgegeben, dass Sterbewillige bereits jetzt oder zumindest binnen kürzester Zeit von der Tiroler Apothekerkammer jene zumindest zwei, wahrscheinlich jedoch fünf Apotheken genannt bekommen könnten, die zur Ausfolgung des Mittels Natrium-Pentobarbital bereit seien. In gleicher Weise wurde von Seiten der Notariatskammer versichert, dass in Tirol für jeden Bezirk ein Notar namhaft gemacht werden könne, der bereit sei, eine Sterbeverfügung zu errichten.

Wesentlich schwieriger erwies sich der Kontakt mit der Tiroler Ärztekammer, die, vertreten durch ihren Kammeramtsdirektor, auf die Frage nach der Bereitschaft der Tiroler Ärzteschaft, die zwei für die Errichtung einer Sterbeverfügung notwendigen Gutachten auszustellen, auf eine Informationsveranstaltung am 27. März verwies und im übrigen Sterbewilligen empfahl, sich an ihren Hausarzt zu wenden und, sofern dieser nicht bereit sei, ein solches Gutachten auszustellen, sich eben weiter durchzutelefonieren, bis man jemanden finde.

Ebenso wurde die Frage nach einer einem Sterbewilligen zugänglichen Liste der Ärztekammer zur diesbezüglichen Hilfeleistung bereiter Ärzte mit Verweis auf den 27. März abgewiesen. Bezüglich des Hinweises, dass es sich hier zwar um eine vom Gesetzgeber ausdrücklich als freiwillig apostrophierte Hilfeleistung leidenden Menschen gegenüber handle, im ethischen Sinne jedoch im Sinne des Menschenrechts von Autonomie eine solche für einen Arzt und damit auch für die Standesvertretung der Ärzte durchaus verpflichtend sei, war die Reaktion wiederum nur der Verweis auf den 27. März.

Der Philosoph Immanuel Kant bezeichnet in seinem Aufsatz „Was ist Aufklärung?“ als die größten Feinde der Aufklärung die Untugenden der Feigheit und Faulheit. Selbst als Optimisten fällt es einem schwer, die intransigente Haltung der Ärztekammer bzw. die nicht nur von Gottfried Rennhofer, sondern auch von vielen anderen Mitbürgern berichtete Zurückhaltung vieler Ärzte und Ärztinnen im Hinblick auf das neue Sterbeverfügungsgesetz unter diese Kategorie der Untugenden einzuordnen.

Angesichts des von Gottfried Rennhofer und vielen anderen beschriebenen Leids muss wohl dringend zu einer aktiveren, mutigeren, verantwortungsbewussteren und empathischeren Haltung und vor allem zu mehr Tempo aufgerufen werden! Betroffene finden jedenfalls im schoepfblog jederzeit eine Möglichkeit, ihre Anliegen öffentlich zu machen.

Alois Schöpf


Brief Gottfried Rennhofer:
Sehr geehrter Herr Wolfgang Obermüller!

Wir haben heute telefoniert. Nochmal danke für Ihren Einsatz für Sterbende! – Ich finde das großartig von Ihnen! Anschließend ein Text, der das Problem aus der Sicht eines (noch wenigstens geistig rüstigen) Sterbenden zeigt.

Meine Ansicht über das Sterben und die Sterbehilfe:

Die meisten “Ethiker” haben eine einseitige polemische Sicht, die nur einen Teil der Sterbenden betrifft. Der andere Teil der Sterbenden, der ein selbstbestimmtes und auch selbsttätiges Sterben verlangt, wird abgewertet, ignoriert und nicht beachtet.

Ich werde von Menschen terrorisiert, die von “ethischen” Zwangsmaßnahmen erfüllt sind und mich würdelos wie Abfall sterben lassen, mit Schmerzen, mit Urin- und Fäkalienaustritt. Ich unterstelle diesen “ethisch erfüllten” Menschen eine Eitelkeit und Alibi-Moral – dem Sinn nach: “Seht her welch ein GUTER Mensch ich bin, ich helfe ja den Sterbenden”.

Ein aktiver Sterbewunsch wird dabei von diesen “ethisch Guten” immer wie eine Art von Unanständigkeit verstanden. Einer, der mit seinem schweren Leiden sterben will und das auch selbst durchführt, wird als Geisteskranker und Sozialbeschmutzer wahrgenommen! Das ist unerträglich!

Sterbende werden nicht gehört, sie haben keine Lobby, der Sterbevorgang ist oft qualvoll. Sterbende leiden oft stundenlang und tagelang Qualen, auch weil sie zu schwach sind, um noch bemerkt zu werden.

Und jetzt kommen diese “ethischen” Menschen, die selbst nicht betroffen sind, aber sich mit ethischer Arroganz und Überheblichkeit aufspielen und bewirken, dass auch ich beim Sterben gequält werde, weil ich kein wirksames Mittel zum selbstbestimmten Sterben erhalte, das ich als Menschenrecht einfordere. Eine niederträchtige Bevormundung verbietet mir einen Sterbevorgang, den man heute jedem Hund gewährt!

Ich verlange, dass mein Sterbenswunsch berücksichtigt wird und ich rechtmäßig die Sterbemittel dazu bekomme. Kein anderer Sterbender wird durch mich genötigt, früher oder unfreiwillig aus dem Leben zu scheiden. Ich allein will und brauche dieses Sterben für mich! Warum wird mir das verweigert?


Nachfolgend eine persönliche Beschreibung meiner Person und meines Zustandes:

Mein Befund und Begündung der Forderung eines Sterbemittels:
Ich bin ein Mann mit 88 Jahren, mit einer nicht austherapierten Polymyalgie (vermutlich CFS). Diese schon länger dauernde Krankheit verursacht in letzter Zeit schwere Erschöpfung und führt in absehbarer Zeit zum Tod.

Zusätzlich habe ich folgende körperliche Störungen und Versagen wie:
Stoma: Darmausgang seitlich (gestört)
Herzbeschwerden (Rhythmus- und Kammerflimmern)
Nervenschmerzen (Rückgrad, Becken, Fersen)
Harnleiterstörung (Incontinenz und schmerzhaftes Brennen)
Sehstörungen (stark verschwommenes Sichtbild, trotz Augenoperation)
Schwindel (Gehen auf ganz kurzen Strecken, nur mit Abstützen und Anhalten)
Gehbeschwerden (Gehen 5-7m, nur mit Abstützen und langsam, starke Sturzgefahr)
Prothesen: Hörgeräte und Zahnersatz

Ich lebe gegenwärtig mit Medikamenten, soweit es für mich möglich ist und ich noch Lebensqualität empfinden kann. Im Verlauf dieses meines Restlebens möchte und muss ich aber eine Kontrolle über den Zeitpunkt meines Sterbens bekommen. Das steht mir als Menschenrecht zu.

Ich möchte sicher nicht fremdbestimmt im Spitals- oder Hospizbereich verenden, sondern meinen Sterbezeitraum selbst bestimmen, wenn Weiterleben für mich unerträglich wird. Ich musste zweimal bei mir nahestehenden Personen miterleben, wie in Spitälern gestorben wird. Inkompetente Ärzte und solche mit Angst etwas „falsch zu machen“, Sterbende, die nicht „sterben“, sondern „krepieren“, keuchend und wimmernd um Schmerzmittel flehend, arrogante Oberärzte, mit Uhr und „erlaubten“ Milligramm das Schmerzmittel ungenügend vorgebend.

So möchte ich nicht sterben! Das ist ein Sterben, das mir von ethischen „Gutmenschen“ aufgezwungen wird! Das ist Sterbeterror! Ich verlange, daß ich ein angenehmes Sterbemittel erhalte, das ich selbst einnehmen kann, um mein Leben zu beenden. Das ist ein Menschenrecht, das ich einfordere!


Nachtrag:

Ich war vor kurzem im Spital, mit drei etwa Gleichaltrigen im Zimmer, die bei gemeinsamen Gesprächen die verlogenen Ethikaussagen jüngerer Gutmenschen heftig kritisierten und für sich persönlich ebenfalls Sterbehilfe einforderten.

Leider sind Menschen in höherem Alter nicht immer fähig, sich gut auszudrücken und zu formulieren. Deshalb werden ihre Aussagen von den ethischen Wichtigmachern nicht beachtet und überhört. Die menschenverachtenden, polemischen Äußerungen irgendwelcher nicht Betroffener werden aber übermäßig wahrgenommen, weil sie ja mit geschickter Sprache behaupten, Menschen “vor dem Sterben zu schützen”.


Ethik

Bei den Wünschen und Rechten innerhalb unserer Gesellschaft sind die Sterbenden immer im Nachteil, weil sie leise sterben und dann nicht mehr da sind. Als Anteil der Gesellschaft “nehmen sie ab” und werden erst wieder von Sterbenden, die dann nachkommen, “aufgefüllt”. Gesellschaftlich sind sie eher peinlich und unangenehm und werden deshalb weniger bis garnicht beachtet und wahrgenommen.

Sie gehen nicht auf die Straße, schreien nicht, beflegeln keine Polizisten – sie sterben und sind dann weg. Darum hat es auch in unserer “Ethischen Wahrnehmung” so lang gedauert, bis diese Menschen und ihr Leid beachtet werden. Erfreulicher Weise dürfen aber inzwischen wenigstens unsere Haustiere ethisch sterben.

Die Gesetzesänderung bezüglich der Sterbehilfe ab 1. 1. 2022 wurde zwar ausgesprochen, aber ich stellte inzwischen fest, daß von der Gegenseite mit großer Niedertracht alles unternommen wird, dass Menschen, die ein ethisches und selbstbestimmtes Sterben wünschen, dieses möglichst nicht bekommen!

Gottfried Rennhofer

In

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Werner H. Ritter

    Liebe Herren!
    Viele, die ass. Sterbehilfe blockieren, sehen nicht, dass es dabei um das Thema GRUNDRECHTE geht, die unbedingt gelten. Und dass die BRD wie Österreich s ä k u l a r e Staaten sind, die nicht einfach – unter der Hand – eine bestimmte Religion, ein sog. „christliches Menschenbild“ o.ä präferieren dürfen.
    Der säkulare Staat muss um der Freiheit seiner Bürger willen auf Zwang und Einflussnahme seitens welcher Weltanschauung auch immer verzichten.
    Die deutschen institutionalisierten Kirchen taten sich leider seit jeher unendlich schwer, den liberalen Rechtsstaat als normative Ordnung anzuerkennen. Ich vermute, in Österreich ist dies ähnlich…
    Falls die Kirchen wirklich vorhaben, sich als Parallelgesellschaften im Staat zu verstehen, wäre das auf Dauer ihr „Aus“. Sie würden sich damit zu frommen, immer kleiner werdenden und dann letztlich bedeutungslosen Konventikel entwickeln. Ich glaube nicht, dass sie das ernsthaft wollen können.

  2. Otto Riedling

    Ganz einfach:

    Ein Betroffener müsste dieses Gesetz wieder beim VfGH beeinspruchen.

  3. Rainer Haselberger

    Weg mit dem „Sterbeterror“ der Bevormundungsgesellschaft.
    Sanierung des Sterbeverfügungsgesetzes so, dass alle Verzweifelten Zugang zu einem humanen Lebensende haben!

  4. Reinhard Nicolaus

    Die arrogante Hilfeverweigerung der vorgeblichen Gutmenschen wird in diesem Beitrag zurecht gegeißelt. Zu wenig wird dabei allerdings die Quelle berücksichtigt, aus der sie sich überwiegend speist: die Religion, ein seit Jahrhunderten „bewährtes“ Herrschaftsinstrument, das früher gerne auch mal mit Waffen daherkam und sich heute eher auf den Einsatz der religiösen Moralkeule spezialisiert hat. Sterbewillige, die teilweise unermessliches Leid zu erdulden haben, müssen das als Gesinnungsterror empfinden.

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