Print Friendly, PDF & Email

Alois Schöpf
Pleifer eröffnet mit Hader.
Notizen

Wenn ein sogenannter Kabarettist sein Publikum im Alleingang zwei Stunden lang unterhält, nennt man es Kleinkunst. Dabei ist es oft ganz große Kunst.

Das fängt im konkreten Fall schon damit an, dass Josef Hader, der dieser Tage als Vielgeehrter seinen 60. Geburtstag feierte und zur Wiedereröffnung des Treibhauses sein neues Programm vorstellte, gestern Montag 1500 Personen aus allen Altersklassen, jedoch durchwegs auf der Höhe des Zeitgeists, in den Saal Tirol des Congress Innsbruck lockte. Und damit vielleicht ein Publikum, das bei den sonstigen Konzertveranstaltungen nur selten anzutreffen ist, dazu animierte, einmal den Schritt von der Alternativ- zur Hochkultur zu wagen. Denn beide liegen oft näher beieinander als sie von einer hinterwäldlerischen Kulturpolitik behandelt werden. Flächendeckende Abwesenheit von Prominenz, geringe mediale und finanzielle Unterstützung hier! Bussi Bussi und viel Geld dort!

Von solch pädagogischen Nebeneffekten abgesehen ringt einem die pure Tatsache Bewunderung ab, dass eine Einzelperson, lediglich bewaffnet mit einem Glas angeblichen Alkohols, einem Tischchen und einem Sessel gegen ein Publikum antritt, das zwar in einer Weise wohlgesonnen ist wie es schon vor Jahrzehnten war, als ähnlicher Applaus aufbrandete, wenn ein Karl Farkas die Bühne betrat.

Dass ein solcher Vorschuss an Sympathie naturgemäß vom Künstler im Laufe des Abends wieder eingelöst und für seine nächsten Auftritte ein Depot angelegt werden muss, verdeutlicht eine im unbedingten Hier und Jetzt zu erbringende Leistung, die durchaus mit jener eines Onkologen zu vergleichen ist, der sich für eine mehrstündige, über das Leben oder den Tod des Patienten (des Kabarettisten) entscheidende Operation rüstet.

Josef Hader unterscheidet sich von vielen seiner Kollegen dadurch, dass er sich in seinen Programmen nicht über andere, sondern fast ausschließlich über sich selbst lustig macht und sich als Medium des Zeitgeists vor den Spiegel seines eigenen Schwadronierens stellt.

Dabei geht es für den 60-jährigen naturgemäß um das Älterwerden inklusive Stuhlgang und ausbleibenden Erektionen, es geht um viel zu junge Freundinnen, um die eigene Prominenz, den eigenen, mittels SUV nach außen hin präsentierten Wohlstand; und es geht vor allem um die Flucht ins Weinviertel vor der lauten Stadt und um die Flucht in den Alkohol, es geht um Migration, Rassismus, Politik und es münden beide Teile des Programms jeweils – auch hier das Unvergleichliche des großen Mannes – zuletzt in eine poetische, surrealistische Verdichtung, wenn aus oberösterreichischen Rübenfeldern das Meer und aus einem bösen Wolf der persönliche Freund wird, mit dem man durch die Gasthäuser zieht. Unglaublich!

Unglaublich auch die Meisterschaft, mit der Hader das Publikum austrickst, indem er vor der Pause das Weinviertel und den Wein besingend die Bühne verlässt und nach der Pause stockbesoffen wieder betritt, um sein Programm wortidentisch, allerdings stark illuminiert noch einmal abzuspulen, bis er, unter Applaus und Gelächter, endlich begreift – checkt, dass er in seinem Rausch die falsche Diskette eingelegt hat.

Das Lachen ist am Markt der Aufmerksamkeit ein wertvolles Produkt. Damit wird man von Hader ausreichend bedient, die Karte dürfte sich also gelohnt haben. Wenn man dennoch nachdenklich den Saal verlässt, ist dies genau jenes Momentum, das die Kleinkunst von, siehe oben, großer Kunst unterscheidet.

Irgendwie hat letztere nämlich immer noch etwas mit der Frage zu tun: Wer sind wir? Was bin ich als dieser heutige Mensch? Nichts anderes versucht Hader im nach außen hin chaotischen Wirrwarr seiner alle Register des Ausdrucks bedienenden Suada zu umschreiben. In diesem Sinne mit uns selbst konfrontiert bleibt eben nur durch Lachen gegen Depression geschützte Nachdenklichkeit übrig.


Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Elfriede Beer

    Herr Schöpf, Sie haben mir aus der Seele gesprochen! Es war ein durch und durch gelungener Abend mit viel Spaß, Nachdenklichkeit und Freude! Ein großes Dankeschön Ihnen für die treffende Beschreibung des gestrigen Abends und ein noch größeres für den riesengroßen „Kleinkünstler“ Josef Hader und seinem Busenfreund und Spießgesellen Rudl!

Schreibe einen Kommentar