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Literarische Korrespondenz:
Peter Kislinger, ORF Musikredaktion,
zur Oper "Bergkristall",
anlässlich der Besprechung
der Uraufführung von Thomas Nußbaumer

Sehr geehrter Herr Nußbaumer!

In Ihrer Rezension zur Uraufführung von Michael FP Hubers Oper Bergkristall schreiben Sie im Abschnitt über den Plot, die Kinder in Stifters Erzählung werden auf dem Rückweg von einem Schneesturm überrascht.

Weder in Stifters Erzählung noch im Libretto ist von einem Schneesturm die Rede. Die Kinder werden, kaum haben sie die Großeltern verlassen, vom einsetzenden Schneefall überrascht: Als sie auf den Anhöhen gingen […], fielen äußerst langsam einzelne Schneeflocken. Der Schneefall wird reichlicher – kein Wind!

Der anonyme Erzähler erwähnt bloß Schneefall, wiederholt ist von der Stille, der ungeheuren Stille die Rede: In der ungeheuren Stille, die herrschte, in der Stille, in der sich kein Schneespitzchen zu rühren schien, hörten die Kinder dreimal das Krachen des Eises. Dann ist von Licht und Farberscheinungen die Rede, und dass sie mit offenen Augen in den Himmel schauten. Sterne glänzten, funkelten und zitterten […].

Wenige Seiten vor Ende des Texts sagt der Färber: Und knie nieder und danke Gott auf den Knien, mein Schwiegersohn […], daß kein Wind gegangen ist. Hundert Jahre werden wieder vergehen, daß ein so wunderbarer Schneefall niederfällt und daß er gerade niederfällt, wie nasse Schnüre von einer Stange hängen. Wäre ein Wind gegangen, so wären die Kinder verloren gegangen.

Der Schuster ist bei Stifter, als er um die Färberstochter wirbt, übrigens nicht arm. Sein Haus ist geräumig, verfügt über Prunkräume etc.; er hat Angestellte; der reiche Färber willigt letztlich in die Ehe seiner Tochter ein, als / weil der Schuster im Tal angesehen ist, sich sein Ruhm herumgesprochen hat. Dass sich der Librettist hier die Freiheit nahm, den Kontrast zu schärfen, finde ich legitim.

Der Regisseur hat weder mit der Vorlage noch mit dem Libretto (und schon gar nicht mit der Musik) viel anzufangen gewusst und sich bemüßigt gefühlt, zu ironisieren und dramatisieren.

Daher lässt er auch den Lehrer Stifter eine Windmaschine betätigen – für mich ist das ein Eingriff in die Partitur – wenn Komponisten Windmaschinen wünschen, dann findet sich ein Hinweis in der Partitur.

Den Begriff Regietheater finde ich verfehlt – kein Theater ohne Regie; es müsste Regisseurtheater heißen. Ähnliches Misstrauen – oder Gleichgültigkeit – gegenüber dem Stoff, dem Libretto und der Musik vermittelte mir auch das Bühnenbild. Ihren Bemerkungen zum Bühnenbild und den Slapstickeinlagen kann ich nur zustimmen. Vielleicht war beabsichtigt, die Binnenhandlung von Laienschauspielern darstellen zu lassen, den Alltag zu zeigen: die Waschmaschine, die losen Kabel; der Silo (?) mit Treppe in der Mitte wird zum Berg etc.

Die Slapstickelemente und die Ironisierung signalisieren mir Angst vor Pathos, Sentimentaltität, gar Kitsch (wie ein Vorwurf in der germanistischen Sekundärliteratur lautet). Pathos wäre nichts Verwerfliches, die Musik Hubers vermag es in seinen Symphonien zu kontextualisieren; Harmonik, Melodik (und Rhythmusrückungen) bringen genug Distanz.

Dass die Kinder überleben, verdankt sich (bei Stifter) dem Zusammenspiel dreier Faktoren: die Windstille (Zufall für Agnostiker; göttliche Fügung für Gläubige); die Kenntnis und Intelligenz des Knaben (bei Stifter; im Libretto beider Kinder) der Natur und der Fürsorge der Großeltern; und Weihnachten: verstanden als wiederkehrendes Ritual, das kraft der Wiederholung, der Aufhebung der Zeit, Kraft gibt – da ist nichts Metaphysisches dabei.

Stifter und dem Librettisten Schöpf geht es doch auch um die Versöhnung dank der gefundenen lebensbejahenden Solidarität der Täler und der Dorfgemeinschaft – die Kinder und die Färberin sind keine Fremden mehr, sie gehören dazu.

Nichts davon, oder viel zu wenig davon, konnte ich bei der Uraufführung erkennen. Sehr erfreulich, Herr Nußbaumer, fand ich Ihre Würdigung der Musik, Ihr genaues Eingehen auf Fertigkeiten, die Kunst, die Absichten des Komponisten. An einigen Stellen würde ich mir längere orchestrale Passagen wünschen – Atmosphäre, zarte Ausdeutung des Geschehens.

Ich glaube, dass diese Oper lebensfähig ist – mehr Vertrauen in Stifter, den Librettisten und die Musik vorausgesetzt.


Weitere Aufführungen: 04.06.2023/07.06.2023/09.06.2023/16.06.2023/24.06.2023/08.07.2023

 

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Thomas Nußbaumer

Thomas Nußbaumer ( geb.1966 in Hall in Tirol) ist ein österreichischer Musikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Volksmusikforschung / Ethnomusikologie. Nußbaumer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Innsbrucker Sitz der Universität Mozarteum Salzburg, Abteilung für Musikwissenschaft, Abteilungsbereich Musikalische Volkskunde, seit 2010 als Universitätsdozent für Volksmusikforschung. Daneben arbeitet er als freier Kulturjournalist.

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