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Thomas Nußbaumer
Uraufführung der Oper
"Bergkristall"
von Michael FP Huber (Musik)
und Alois Schöpf (Libretto)
nach Adalbert Stifter
Besprechung

Mit der Oper Bergkristall nach der gleichnamigen Erzählung von Adalbert Stifter gelang dem Tiroler Komponisten Michael F. P. Huber und dem Schriftsteller Alois Schöpf ein origineller Wurf, der in den Kammerspielen des Tiroler Landestheaters uraufgeführt wurde. Regie führte Thomas Gassner, die musikalische Ausführung besorgte das Tiroler Ensemble für Neue Musik unter der Leitung von Hansjörg Sofka.

Hannah-Theres Weigl (Sanna), Lisa-Marie Hilber (Konrad), Statisterie (Doubles Konrad/Sanna) © Birgit Gufler Hannah-Theres Weigl (Sanna), Lisa-Marie Hilber (Konrad), Statisterie (Doubles Konrad/Sanna) © Birgit Gufler

Der Plot ist rasch erzählt: Am Heiligen Abend machen sich die Geschwister Sanna und Konrad auf den Weg zu ihren Großeltern, die überm Joch im Nachbardorf wohnen. Beladen mit einem Rucksack voller Geschenke werden sie auf dem Rückweg von einem Schneesturm überrascht und erst nach etlichen, bangen Stunden gefunden.

Ensemble © Birgit Gufler Ensemble © Birgit Gufler

Adalbert Stifters ergreifende Erzählung thematisiert einerseits die Wirkung der sich unheimlich wandelnden Natur auf die Kinder und andererseits die Sorgen und Ängste der sie suchenden und erwartenden Erwachsenen. Die Rettung der Kinder wird zu einem wahren Erlösungs- und Auferstehungsfest, als ob Weihnachten und Ostern zusammenfallen würden.

Annina Wachter (Schusterin) © Birgit Gufler Annina Wachter (Schusterin) © Birgit Gufler

Alois Schöpf hat die Geschichte, die im Libretto im Rückblick erzählt wird, nach mehreren Richtungen hin vertieft und eine Reihe von begleitenden und ursächlichen Konflikten eingewoben, beispielsweise die Rivalität zwischen den Nachbardörfern Gschaid und Millsdorf, die dazu führt, dass die Geschwister und deren Mutter, die schöne Schusterin, ein Außenseiterdasein erdulden müssen, die Unzufriedenheit des Großvaters mit seiner Tochter, weil sie einen armen Schuster geheiratet hat, die Erkenntnis des Schusters, dass er seinen Kindern zu wenig Zuneigung schenkt, und seine gescheiterte Freundschaft mit dem Hirten Philip.

Die glückliche Rettung der Kinder in der gemeinschaftlichen Verbindung aller Beteiligten wird am Ende wesentliche Konflikte auflösen und Gewissensbisse heilen.

Annina Wachter (Schusterin), Alec Avedissian (Schuster), Extrachor (Dorfbewohner) © Birgit Gufler Annina Wachter (Schusterin), Alec Avedissian (Schuster), Extrachor (Dorfbewohner) © Birgit Gufler

Michael F. P. Huber folgt den im Libretto ausgearbeiteten Emotionen und Stimmungslagen mit größter Konsequenz und Ernsthaftigkeit.

Die anfänglich idyllisch wirkende Szenerie, in der der Lehrer Stifter mit Schulkindern ein Frühlingslied einstudiert und ein Priester unter Blasmusikklängen einen Baldachin durch das Dorf dirigiert, wird auch musikalisch rasch als porös und brüchig demaskiert. Insbesondere die Darstellung der elterlichen Ängste wirkt sehr lebensecht und beklemmend.

Annina Wachter (Schusterin), Susanna von der Burg (Großmutter), Statisterie (Doubles Konrad/Sanna) © Birgit Gufler Annina Wachter (Schusterin), Susanna von der Burg (Großmutter), Statisterie (Doubles Konrad/Sanna) © Birgit Gufler

Huber hat das großartige Tiroler Ensemble für Neue Musik mit solistisch geführten Holz- und Blechblasinstrumenten, Streichinstrumenten, Schlagwerk und E-Piano besetzt. Mitunter mischen sich (elektronische) Cembalo- und Orgelklangfarben ins dichte harmonische Netz.

Sascha Zarrabi (Philip), Extrachor (Dorfbewohner*innen) © Birgit Gufler Sascha Zarrabi (Philip), Extrachor (Dorfbewohner*innen) © Birgit Gufler

Auffallend ist die Vorliebe für dunkle und schimmernde Klangfarben (Fagott, Blech, Viola, Cello) und die oft kontrapunktische Führung der Stimmen bei gleichzeitiger rhythmischer Vielfalt. Die Gesangslinien wirken stringent, die gelegentlichen Chorsätze, ausgeführt vom Kinderchor und von Mitgliedern des Extrachors des Tiroler Landestheaters, und Ensembles überzeugend.

Johannes Maria Wimmer (Großvater) © Birgit Gufler Johannes Maria Wimmer (Großvater) © Birgit Gufler

Kritisch anzumerken ist, dass die Darstellung der psychischen Belastungen der Eltern und Großeltern im Vergleich zum erlösenden, neue Perspektiven andeutenden Finale überdimensional groß wirkt. Auch Thomas Gassner, dessen Regie vor allem im ersten Teil durch witzige, humorvolle Pointen punktet, kann mit dem Finale offenbar wenig anfangen, denn was schwer und dramatisch begonnen hat, verpufft gegen Ende zunehmend in überraschenden, rational aber kaum noch nachvollziehbaren slapstickartigen Einlagen.

Unterhaltungswert ist der neuen Oper jedoch nicht abzusprechen, wozu auch das märchenhafte, fantasieanregende Bühnenbild von Esther Frommann, das im Zentrum eine runde Turm- und Plattformkonstruktion mit aufgemaltem Berg- oder Waldgeistgesicht erkennen lässt, beiträgt.

Sascha Zarrabi (Philip), Hannah-Theres Weigl (Sanna), Lisa-Marie Hilber (Konrad), Extrachor (2. Suchtrupp) © Birgit Gufler Sascha Zarrabi (Philip), Hannah-Theres Weigl (Sanna), Lisa-Marie Hilber (Konrad), Extrachor (2. Suchtrupp) © Birgit Gufler

Uneingeschränktes Lob gilt dem sängerischen Ensemble in seinen hübschen zeitlos kleinbürgerlich-ländlich wirkenden Kostümen (ebenfalls von Frommann).

Hannah-Theres Weigl als Sanna und Lisa-Marie Hilber als Konrad berühren durch ihre schönen Sopranstimmen und schauspielerischen Fähigkeiten. Annina Wachter als Schusterin ist die überragende Erscheinung dieser Uraufführung und glänzt, indem sie mit ihrer klangvollen, in allen Lagen ebenförmige Stimme ein großes Panorama an Emotionen entfaltet.

Dale Albright (Lehrer Stifter) © Birgit Gufler Dale Albright (Lehrer Stifter) © Birgit Gufler

Susanna von der Burg stellt eine in jeder Hinsicht überzeugende Großmutter dar, die in bester Übereinstimmung mit dem Bassisten Johannes Maria Wimmer als Großvater, der im Stück auch als Priester auftritt, agiert. Dale Albright als Lehrer Stifter kann seine Meisterschaft im komischen Fach souverän ausspielen.

Als hervorragend erwiesen sich auch der dynamische Bariton Alec Avedissian in der Rolle des Schusters und der in der Höhe so wendige und biegsame Tenor Sascha Zarrabi als Hirte Philip und Bote.

Die schon genannten jungen und erwachsenen Chormitglieder sowie die Statisterie des Tiroler Landestheaters fügten sich bestens in ein stimmiges künstlerisches Gesamtbild.

 

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Thomas Nußbaumer

Thomas Nußbaumer ( geb.1966 in Hall in Tirol) ist ein österreichischer Musikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Volksmusikforschung / Ethnomusikologie. Nußbaumer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Innsbrucker Sitz der Universität Mozarteum Salzburg, Abteilung für Musikwissenschaft, Abteilungsbereich Musikalische Volkskunde, seit 2010 als Universitätsdozent für Volksmusikforschung. Daneben arbeitet er als freier Kulturjournalist.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Susanne Preglau

    Ich hatte die große Freude, die Premiere von „Bergkristall“ in den Kammerspielen des Tiroler Landestheaters am 21.5. zu besuchen.
    Parallel zur vorliegenden Besprechung von Thomas Nußbaumer möchte ich auf die Kritiken von Wolfgang Otter in der Tiroler Tageszeitung und Markus Stegmayr in der Kronenzeitung vom 23.5. eingehen.

    Wolfgang Otters Gesamteinschätzung –
    „Der Tiroler Bergkristall wollte nicht recht funkeln“ – hat leider im Zuge der Kritik an Bühnenbild und Regie die grundlegende Qualität und Beurteilung dieser uraufgeführten Oper völlig außer acht gelassen.

    Otter schreibt: „die dramatische und berührende Erzählung von Adalbert Stifter“ …. „blitzte auch immer wieder in Text und Musik auf und sorgte für die starken Momente dieser Premiere“.
    Weiter wird mit keinem einzigen Wort auf die Musik bzw. das Libretto eingegangen, was sowohl in Nußbaumers als auch Stegmayrs Besprechung klar im Vordergrund steht.
    Zumindest wird die „musikalische Leistung und Schauspielkunst“ des Ensembles erwähnt.

    Der Kritik an der Regie „einer Inszenierung, die ratlos machte“ und der Verortung von „Blödelei und Klamauk“ folgen bis zu einem gewissen Grad sowohl Nußbaumer, der neben „witzigen, humorvollen Pointen“ auch „rational kaum nachvollziehbare slapstickartige Einlagen“ ortet, als auch Stegmayr, der „dem Witz und der Aberwitzigkeit für Stifter Verhältnisse viel Raum“ gelassen sieht.

    Ich möchte in diesem Zusammenhang auf den Versuch einer zeitgemäßen, ironischen Brechung der biedermeierlichen Idylle des Schulinspektors Adalbert Stifter (wie etwa bei der Darstellung der kirchlichen Prozession) hinweisen, obwohl auch ich den „Witz“ eines Eisbärenkopfs in der Höhle nicht wirklich nachvollziehen konnte.

  2. Helmut Schiestl

    Warum spielt man diese Weihnachtsoper denn mitten im Mai? Noch dazu, wo es eine „Familienoper“ sein soll, also nicht nur für Nerds oder sonstige unterirdische Kautze, die im Hochsommer „Stille Nacht“ singen und sich als Weihnachtsmänner verkleiden.

    1. schoepfblog

      Hallo Helmut!
      Die Antwort ist ganz einfach und reduziert sich auf ein Wort: Corona! Dadurch hat sich alles verzögert. Aus der Sicht der Kreativen: Hauptsache, es ist realisiert worden.
      Alois

    2. Michael F.P. Huber

      Lieber Helmut,
      die ursprünglich geplante Premiere hätte in der Tat zur passenden Vorweihnachtszeit stattfinden sollen. Dank Corona wurde zweimal verschoben, immer im Hinterkopf, ob nicht wieder ein Theatercluster der Premiere einen Strich durch die Rechnung machen könnte. Letztendlich ist es dann der spätmöglichste Termin geworden, und das ist nun eben mitten im Mai ! Nachdem uns nun Intendant, Operndirektor u.v.a. verlassen, war ein neuerliches Ausweichen auf Weihnachten nicht mehr möglich, dann wäre eben alles geplatzt. Mich stört der Termin inzwischen nicht mehr, ich bin froh, es überhaupt erleben zu dürfen !

      Herzliche Grüße, Michael

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