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Literarische Korrespondenz:
Hannes Hofinger an Alois Schöpf
Alois Schöpf an Hannes Hofinger
Betrifft:
Unerträgliche zeitgenössische Musik

Lieber Alois,

ich habe nun ein paar Tage verstreichen lassen und nachgedacht!
Soll ich den Alois mit meiner unqualifizierten Meinung zu seiner Oper ärgern? Oder besser die Goschn halten?
Du kennst mich. Es geht nicht anders!

Es war das erste Mal in meinem doch schon langen Leben und das erste Mal bei meinen ziemlich zahlreichen Besuchen von Konzerten, Opern und Schauspielen, dass ich nach der Pause den Raum verlassen habe.

Bei Bergkristall erging es mir so. Vermutlich verstehe ich wirklich absolut nichts von Musik. Da haben auch die letzten sechs Jahre Klavierunterricht nichts geändert.

ICH HALTE DIESE ART VON MUSIK NICHT AUS!

Für meine Ohren nur schrecklich. Auch das Stück an sich bietet schon keine Spannung, man kennt die olle Geschichte, es zieht sich und zieht sich …
Als besondere Qual saß neben mir eine mittelalterliche Dame, die pausenlos lachte, kicherte und sich köstlich amüsierte, auch wenn die Szene noch so traurig war. In der Pause konnte ich feststellen, dass diese Frau eine der zig Kinderchoreltern war und vermutlich ihr Kind sooo lustig fand, ohne eine Ahnung vom Stück zu haben.

Seltsamerweise lachte sie auch, wenn kein Kinderchor auf der Bühne war. Leute gibt´s…

PS: In der Annahme, dass etwa 20 Kinder im Chor waren und somit deren Eltern bei der Premiere anwesend waren, ist die super Auslastung auch nicht mehr so überraschend!

Also verließ ich die heiligen Hallen Richtung St. Johann. Und da las ich bei einem Glas Wein Dein Libretto im Programmheft. Und ich fand es wirklich gut!

Folglich mein versöhnlicher Abschluss: DU kannst nichts dafür, dass ich Kunstbanause diese Art von Musik einfach unerträglich finde. Für mich kein Wunder, dass Menschen mit vergleichsweise wenig Ahnung, was Kunst ist, solchen Opernverlockungen gerne widerstehen (obwohl ich die Rockoper im TLT vor Wochen ganz toll fand).

Irgendeine Göttin (vielleicht die Heilige Polyhymnia?) hat doch der Menschheit Harmonie ins Hirn gespritzt oder? Warum muss man diese schöne, die Sinne beflügelnde Musik modernisieren? Das verstehe ich nicht. Obwohl ich mich nicht zu den allerdeppertsten unter Gottes Geschöpfen zähle und relativ häufig diese Musentempel besuche. Und Opern liebe (Karte für La Traviata ist bereits bestellt). Im Gegensatz zu Operetten.

Vermutlich liegts am Alter.
Folglich vielleicht im nächsten Leben (ich glaube nicht an dieses).
In diesem Leben werde ich mich nicht mehr daran gewöhnen.

WILL ICH AUCH NICHT!

Hannes


Lieber Hannes!

Ich danke dir sehr herzlich für deinen ehrlichen Brief.

Vorab möchte ich festhalten, dass es das Recht eines jeden Menschen ist, ein Theaterstück zu besuchen oder nicht. Oder eine Oper in der Pause zu verlassen oder nicht.

Übrigens sollte es meines Erachtens auch ein Recht darauf geben, im Theater, wie etwa zu Rossinis Zeiten, Tomaten auf die Bühne zu werfen. Wenn man derlei heute versuchen würde, erhielte man mit Sicherheit eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch oder Sachbeschädigung inklusive Gerichtsverhandlung und einer bedingten Strafe mit anschließendem Hausverbot.

Ich möchte diesen meinen Brief mit zwei Erlebnissen aus meiner eigenen Musik-Geschichte beginnen. Um die Arbeit des Regisseurs Thomas Gassner und seiner Bühnenbildnerin Esther Frommann kennen zu lernen, lud Operndirektor Michael Nelle den Komponisten Michael FP Huber und mich in die Oper von Peter Eötvös Der goldene Drache, basierend auf einem Libretto von Roland Schimmelpfennig, in die Kammerspiele ein.

In der Mitte der Aufführung stellte ich mir die Frage: Was tu ich eigentlich hier? Warum schau´ ich mir das an? Ich verstehe Bahnhof! Dass ich der Versuchung nicht erlag, nach der Pause zu gehen, ergab sich ganz einfach daraus, dass ich mich vor Huber und Nelle ob meines Banausentums geschämt hätte. Also hielt ich durch.

Eine Stunde nach der Aufführung und einem anregenden Gespräch über das Stück und seine Musik war ich froh, nicht gegangen zu sein. Einen Tag später war es soweit, dass ich mich, wenn man mich vor die Wahl gestellt hätte, Tosca von Giacomo Puccini oder das sperrige und im Grunde auch sehr brutale Werk von Peter Eötvös noch einmal anzuschauen, ohne viel nachzudenken für letzteres entschieden hätte. Unter Zwang hatte ich mich auf etwas eingelassen, was mir im Nachklang sehr viel zurückgab.

Vor einigen Jahren besuchte ich in Hamburg die Oper Lulu von Alban Berg mit der unvergleichlichen Barbara Hennigan als Lulu, Kent Nagano am Dirigentenpult und in der Regie von Christoph Marthaler. Nach der zweiten Pause war das ursprünglich volle Opernhaus merklich gelichtet, etwa ein Drittel des Publikums hatte die Flucht ergriffen, obgleich dieser Klassiker der Moderne bekanntlich aus dem Jahre 1935 stammt.

Ob es die zeitgenössische Literatur oder der Autorenfilm, die bildende Kunst oder eben auch die zeitgenössische Musik ist: Man muss sich darauf einlassen. Und nicht einmal das genügt. Man muss Vorkenntnisse mitbringen. In diesem Fall musikgeschichtliches Wissen, viel Hörerfahrung, Entschlüsselung der Harmonien, Entschlüsselung der Instrumentation.

Entscheidend ist aber doch stets die Bereitschaft, sich einzulassen. Und frustrierend ist es, wenn – und leider ist dies in den letzten Jahrzehnten einem viel zu toleranten, nicht mit Tomaten um sich werfenden Publikum gegenüber viel zu oft geschehen – Kunstwerke die Bereitschaft sich einzulassen nicht mit künstlerischer Substanz belohnen, sondern sehr oft mit hohler Show und Marketinggeklingel.

Genau das führte, angeführt vom Scharlatan John Cage mit seinem 4 Minuten 33 Sekunden-Stück zu einer heuchlerisch beklatschten, in Wahrheit jedoch nachhaltigen Verärgerung, die dazu geführt hat, dass die zeitgenössische Musik heute laut Untersuchung der AKM nur noch einen Liebhaber-Anteil von 1 % des Musikmarktes aufweist.

An dieser Stelle ist es nun höchste Zeit, die Musik von Michael FP Huber zu verteidigen: Sie ist nicht schwer verständlich, sie arbeitet mit unglaublich vielen musikalischen Formen wie etwa Tänzen, klassischen Arien oder Marschformen, sie ist gebildet, kenntnisreich und vor allem: sie ist, wenn man sie entschlüsseln kann – und dabei ist der Widerstand, den sie einem entgegensetzt, verhältnismäßig gering – wunderschön und löst zumindest bei mir das Bedürfnis aus, sie so bald wie möglich wieder zu hören. In diesem Sinn also kein Vergleich zum wirklich enigmatischen Peter Eötvös.

Alle diese Überlegungen münden mitnichten in den Vorwurf an dich, du hättest eben durchhalten müssen. Nein, wie schon gesagt: Das Recht des Publikums, jederzeit zu gehen, ist und bleibt heilig. Dennoch könnte es sein, dass du gerade an diesem Abend für die Musik Michael FP Hubers in gleicher Weise wenig empfänglich warst, wie es uns allen ergeht, wenn wir an gewissen Tagen nicht einmal Bach, Mozart und schon gar nicht Richard Wagner ertragen können.

Der Friede zwischen zeitgenössischer Musik und Publikum, den herzustellen es hoch an der Zeit wäre, weshalb ich auch glaube, dass unsere Korrespondenz vielleicht auch für andere Leute von Interesse sein könnte, kann aus meiner Sicht nur hergestellt werden, wenn wir in unserer Ausformung als neugierige Bildungsbürger bereit sind, für einige Stunden zumindest die Unkultur des beim geringsten Widerstand erfolgenden Wegzappens hintanzustellen und in gleicher Weise, wie wir vernünftigerweise ein teures Restaurant mit Hunger und Durst betreten, auch geistig vorbereitet zu sein, uns mit Geduld auf unbekanntes Terrain einzulassen.

Diese Bereitschaft muss jedoch, und dafür sind nicht nur die Künstler selbst, sondern auch Intendanten, Eventmanager und Dramaturgen dem Publikum gegenüber verantwortlich, damit belohnt werden, dass man sich den Kunstgenuss nicht quasi onanistisch selbst zu verschaffen hat, weil man ja immer etwas denkt und fühlt, auch wenn es nichts zu denken und zu fühlen gibt, sondern dass es das Kunstwerk ist, weswegen man vom Theater, der Oper, dem Kino oder von einer Ausstellung bereichert, belehrt, bewegt, erschüttert oder erfreut nach Hause zurückkehrt.

Womit ich zuletzt nur noch eine Bemerkung im Hinblick auf die Wochenvorschau des schoepfblog schuldig bin, in der vermerkt wurde, dass ich die Musik der soeben verstorbenen Tina Turner in gleicher Weise nicht aushalte, wie du offenbar die Musik von Michael FP Hubers Bergkristall nicht ausgehalten hast.

Die Antwort ist auch hier sehr einfach: Weil ich mich nie auf sie eingelassen habe und sie daher in gleicher Weise nur als ein Geschrei empfinde, wie es viele tun, die mit dem Genre Oper nichts anfangen können, weil sie diese Art von Musik ebenfalls nur als ein unverständliches Geschrei empfinden.

Mit herzlichen Grüßen

Alois


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Hannes Hofinger

Hannes Hofinger (* 21. Dezember 1947 in St. Johann in Tirol) ist ein österreichischer Schriftsteller, Bibliothekar und Verleger. Hannes Hofinger ist Chronist und Heimatforscher und verlegt vor allem Kleinodien aus der Umgebung von St. Johann in Tirol.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Günter Lierschof

    BERGKRISTALL Oper von Michael F. P. Huber. Text von Alois Schöpf. Nach der gleichnamigen Erzählung von Adalbert Stifter.
    DER BERG RUFT!

    Hätte in der Moritat zum Abschluss der Oper einer aus dem Chor das Schild „Wählt Haider“ hochgehalten, wäre – a la Schlingensief – nochmal alles gut gegangen.
    Wieder einmal hat das Bürgertum seine Hausaufgaben nicht gemacht und seine Wendungen und Drehungen nicht reflektiert. Es tut so, als hätten wir immer noch 1823/1824, als Kaspar David Friedrich das Bild „Eismeer“ malte, in dem er den Tod seines Bruders beklagte.
    Den Plot des Bergkristalls von Stifter eins zu eins in die Gegenwart zu übertragen, wird weder unserer Zeit gerecht, die Gletscher drohen abzuschmelzen -, noch den zu verschlingenden Kindern, und auch – dem Autor Adalbert Stifter nicht.
    Erzählinhalte stark zu verkürzen ist das eine, den elegischen Stil Stifters zu übergehen, das andere. Wo bleibt in dem Stück das sprachliche Rauschen der Wälder und das Imaginieren eisiger Landschaften? Etwas davon lässt die Musik ahnen, während die flotte Inszenierung mit ihrem Cuba-Libre Bühnenbild und dem BDM-Chor so schnell als möglich der offensichtlichen Verflachung durch das Libretto entkommen möchte.
    Theaterleute wissen, dass zu Kurt Weill auch ein Bertold Brecht gehört. Das Fehlende muss die Inszenierung kompensieren, was schwer gelingen kann, außer man macht es wie Schlingensief und verdoppelt affirmativ die Simplifizierung der Welt.
    In der Romantik und dann im Biedermeier noch einmal überhöht, versuchten die Künstler die Natur und Religion auszutauschen, um auf der Erhabenheit und den Gefahren der Natur eine menschliche Moral zu begründen.
    Wohin diese naive, gutgemeinte Romantik führte, sehen wir in Ernst Jüngers „Stahlgewitter“ im Extremen(1), in dem der Erste Weltkrieg zu einem läuternden Naturereignis stilisiert wird.
    Die biedere Kalenderspruch-Weisheit: „Feiert das Leben, angesichts der Rettung der Kinder aus Schnee und Eis“, vom Chor schulmeisterlich brav vorgetragen, deutete nicht einmal an, wie absurd in Wirklichkeit das Leben in seiner Überfülle ist. James Ensor (1860-1949)
    Nach der Aufführung hatte ich das Gefühl: Die großartigen Fähigkeiten des Komponisten, der Sänger, Schauspieler, Bühnenbildner und all der anderen, die so Herausragendes leisteten, wurde durch diesen pathetischen Sozialkitsch entwertet.
    Für Peter Kislinger, der mich anregte, das Stück anzusehen.

  2. Hannes Hofinger

    Man muss sich darauf einlassen. Und nicht einmal das genügt. Man muss Vor-kenntnisse mitbringen. In diesem Fall musikgeschichtliches Wissen, viel Hörerfahrung, Entschlüsselung der Harmonien, Entschlüsselung der Instrumentation. (A.Schöpf)

    Lieber Alois,
    ich danke Dir für die ausführliche Antwort auf meinen Beitrag.
    Aber ich muss anmerken, dass ich nicht die geringste Lust verspüre, mir in jahrelangem Studium die von Dir empfohlenen Vorkenntnisse anzueignen zum Zweck, dass ich bei der Musik von Michael Huber in musikalische Verzückung verfalle.
    Es gibt so viel tolle Musik. Und manche davon versetzt mich wirklich in Verzückung. Allerdings – und da gebe ich Dir Recht – abhängig von der Situation, der Aufnahmefähigkeit und der emotionalen Verfassung.
    Es ist einige Jahrzehnte her, da zündete ich zig Kerzen an, warf meinen Plattenspieler an, legte Tschaikowskis Pathétique auf, heulte meinen Liebeskummer auf der Couch aus und tropfte schlussendlich eine Kerze auf die rotierende Platte, ließ mich vom psychedelischen Lichtkreis betäuben. Bis die Platte hin und der Whiskey aus war.
    Ja. Musik ist stimmungsabhängig. Dennoch könnte ich mir nie vorstellen, einen Gabalier oder Hansi in den CD-Player zu schieben.
    Diesbezüglich hast Du auch recht. Aber: Ich würde nie einem Hansi-Fan raten, er solle sich doch mit Mozart einlassen, dessen Musik studieren, um endlich auf den rechten, musikalischen Weg zu gelangen.
    Soll er doch mit Hansi selig werden.
    In diesem Sinne: Danke für Deine Anregungen. Ich bin aber zu alt, um sie noch beherzigen zu können. Ich bleibe bis auf Weiteres bei meinen geschätzten Künstlern und freue mich auf den 2. Juli mit La Traviata. Vielleicht ist es ja auch die Gewohnheit. Was man kennt, schätzt, liebt, das will man immer wieder genießen.
    Dass angeblich lt. Hesiod die Götter vor den Erfolg den Schweiß gesetzt haben, dem kann ich aber auch etwas abgewinnen. Nach jahrelangem, wöchentlichen Besuch der Musikschule habe ich immer noch den Eindruck, das wird wohl nichts mehr…
    So, genug gequatscht, ich muss Klavier üben.

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