Literarische Korrespondenz:
Egyd Gstättner
Betrifft:
Beantwortung der Frage, wie es mir und meinem Buch geht.

Lieber Alois!

Ich freue mich, dass ich meinen Roman geschrieben habe, und es ist mir eine Freude, dass mein Verlag ihn produziert hat, das ist mein Wunsch und mein Ziel gewesen. Den Wunsch erfüllt, das Ziel erreicht.

Dass ich mein Ziel (wieder einmal) erreicht habe, ist für mein (Seelen-)Leben von wesentlicher Bedeutung. Aber dass der Roman nicht nur produziert, sondern publiziert worden ist, kann man leicht übersehen und vergessen. (Zarte Anzeichen gibt es wohl, aber es lohnt kaum, die im Detail aufzulisten).

Ich glaube, es macht heute kaum noch einen Unterschied, ob man ein Buch publiziert oder nicht publiziert. Die Annonce ist alles, der Rest nichts. Ich glaube, dass das literarische Leben im Lauf meines eigenen Lebens zum Erliegen gekommen und gestorben und heute so gut wie tot ist.

Ich spreche nicht nur von meiner, sondern von der Literatur insgesamt. Für die Medien, insbesondere die elektronischen Medien, insbesondere den ORF (und seinen Bildungsauftrag mit allem Pipapo) ist sie gestorben. Für die Printmedien lebt sie im Wesentlichen nur noch, wenn sie auf Longlists, Shortlists und bei Preisverleihungen vorkommt. Für Schule und Unterricht ist sie gestorben (und damit ist alles weitere auf Sand gebaut). Sie spielt im Großen und Ganzen keine öffentliche – und damit auch keine private Rolle mehr.

Ich spreche, wie schon gesagt, nicht in erster Linie von meiner Literatur, sondern von der Literatur insgesamt, die zu einem „Special-Interest“-Produkt für Literaturhausinsassen und ein paar Germanisten herabgesunken ist, künstlich zur Existenz gebrachte Schmuckstückchen in ein paar geschützten Werkstätten.

Da ich mit einer Buchhändlerin verheiratet bin, kenne ich die Zahlen – wenigstens hier: Da gehöre ich wohl zu den Bestverkauften (was die beamteten „Experten“ indigniert ignorieren und was aus ihrer Sicht vermutlich sogar gegen mich spricht…).

Aber wir sind alle einer wie der andere unerheblich und irrelevant: Wir erfahren ungefähr die Aufmerksamkeit, die Ornithologen oder Philatelisten erfahren. Eigentlich sind wir, einer wie der andere, Saison für Saison literarische Leichen.

Manche werden obduziert, die meisten nicht einmal das. Manche werden – wie es sich die mafiösen Karrieremacher des Literaturbetriebs ausschnapsen – als Literaturchristbäume aufgeputzt, aber auch die sind nur Christbaumleichen.

Ein bisschen Gerangel um ein bisschen öffentliches Geld. Man kann zwischen strahlenden Christbaumleichen und finsteren Nichtchristbaumleichen – und solchen, die überhaupt gleich im Märchenwald abgestorben und stehengelassen worden sind – unterschieden. And the winner is…

Aber es lebt nichts mehr!
Soviel zu Deiner Frage, wie es mir geht.

Liebe Grüße Egyd

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Egyd Gstättner

Egyd Gstättner (* 25. Mai 1962 in Klagenfurt) ist ein österreichischer Publizist und Schriftsteller. Egyd Gstättner studierte an der Universität Klagenfurt Philosophie, Psychologie, Pädagogik und Germanistik. Schon während des Studiums begann er mit Veröffentlichungen in Zeitschriften wie manuskripte, protokolle, Literatur und Kritik oder Wiener Journal. Seit seiner Sponsion 1989 lebt er als freier Schriftsteller in Klagenfurt, wo er zahlreiche Essays u. a. für die Süddeutsche Zeitung, Die Zeit, Die Presse, Falter, Kurier und Die Furche verfasste. Besonders bekannt wurde er im Süden Österreichs mit seinen Satiren in der Kleinen Zeitung. Darüber hinaus schrieb und gestaltete er Features für die Österreichischen Radioprogramme Ö1 und Radio Kärnten sowie für den Bayerischen Rundfunk.1993 wurde er zum Dr. phil. promoviert. 1990 erschien die erste eigenständige Buchpublikation („Herder, Frauendienst“ in der „Salzburger AV Edition“). Bis 2018 wurden insgesamt 34 Bücher Gstättners bei Zsolnay, Amalthea, in der Edition Atelier und seit 2008 im Picus Verlag Wien publiziert. Seit 2016 hat er einen zweiten Wohnsitz in Wien. Gstättner ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter.

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