Print Friendly, PDF & Email

Literarische Korrespondenz:
Alois Schöpf an Jochen Klönne
Betrifft:
Antwort auf deine Belehrung der Tiroler!

Lieber Jochen!

Zuerst einmal möchte ich dir danken, dass du dir die Mühe gemacht hast, so ausführlich zu meinen Überlegungen „Zusammenschluss der Gletscherskigebiete Pitztal – Ötztal – Tourismuspolitisches Multiorganversagen“ Stellung zu nehmen. Gleichzeitig betrachte ich deine Einwände als ein perfektes Beispiel für jene Kritik, die über den Tourismus in Tirol immer wieder geäußert wird und die, erlaube mir gleich von vornherein diese Einschränkung, vor Klischees und Vorurteilen nicht zurückschreckt.

Auf drei dieser Klischees und Vorurteile in deinem Brief möchte ich näher eingehen, um zuletzt auf das vielleicht von meiner Seite zu wenig klar formulierte eigentliche Ziel meiner Artikel-Serie hinzuweisen. Ihre Absicht ist es nämlich nicht, die heimischen Touristiker zu verteidigen, sondern ganz im Gegenteil, sie daran zu erinnern, dass ihr Wirtschaftszweig als eine kollektive Gesamtleistung der Gesellschaft ohne eine ehrliche intellektuelle Verständigung mit den vom Tourismus betroffenen, aber nicht unmittelbar von ihm profitierenden Einheimischen, aber auch mit den Gästen des Landes Opfer eines naturreligiös motivierten Regulierungswahns zu werden droht.


1.

Du schreibst als Replik auf meine Kritik, wonach die Petition des pensionierten Lehrers (dazu mein PS ) Gerd Estermann ca. 170.000 Personen unterschrieben haben, von denen etwa 150.000 wahrscheinlich auf einer Landkarte nicht einmal angeben können, wo das Gebiet liegt, in dem der von Ihnen abgelehnte Zusammenschluss zweier Skigebiete verwirklicht werden soll:

„Und warum werden die Unterzeichner der Petition alle stigmatisiert, dass sie nicht wüssten, wo die inkriminierten Täler und Gebirge sind? Das müssen sie auch nicht, denn müsste man immer und zu jedem Thema alle Hintergrundinfos haben, dann dürfte dein Essay nicht geschrieben worden sein.“

Abgesehen von deinem erkenntnistheoretischen Einwand, demzufolge genau genommen überhaupt nie etwas geschrieben werden dürfte, solange man deiner Vorstellung gemäß nicht alles über ein Thema, also alles über die Welt weiß, frage ich mich, wie jemals eine Demokratie, der Austausch von Argumenten und eine politische Willensbildung funktionieren sollen, wenn ein Teil der daran Beteiligten der Pflicht enthoben ist, sich zumindest ein Mindestmaß an Basiswissen über ein Problem anzueignen.

Du hast dich im Hinblick auf mein Essay besonders darüber geärgert, und wahrscheinlich war dies die Hauptmotivation, mir überhaupt zu schreiben, dass ich in aus deiner Sicht verächtlicher Weise über die sogenannten „Naturbewegten“ gesprochen und sie in die Nähe einer neuen religiösen Bewegung gerückt habe, bei der der monotheistische Gott bzw. das kommunistische Arbeiterparadies bzw. das faschistische Volk durch die geheiligte Natur ersetzt werden.

Genau diesen Vorwurf muss ich insofern aufrechterhalten, als du ein Bemühen um Faktenwissen und vernünftige Argumentation zugunsten von guter Absicht und Weltenerrettung zurückstellst, ein aus meiner Sicht typisches Zeichen für ein vernunftfernes, ja vernunftfeindliches totalitäres Denken, das sich dadurch auszeichnet, dass der Traum von einer besseren Welt gewaltsam über die Verhältnisse einer immer kritikwürdigen, unreinen, weil realen Welt gestülpt wird und die konkreten Schicksale der Menschen, in diesem Falle das wirtschaftliche Fortkommen einer ganzen Region, keinerlei Berücksichtigung finden: die Notwendigkeit nämlich, dass Leute in einem Land wie Tirol mit inzwischen über 700.000 Einwohnern von irgendetwas leben müssen, wozu ihnen neben einer unrentablen Berglandwirtschaft und Industrieansiedlungen eben nur die Dienstleistungs- und im besten Falle noch ein wenig die Kreativwirtschaft zur Verfügung stehen. Solches scheint dich in deiner Botschaft aus dem industriellen Zentrum Deutschlands sehr wenig zu kümmern.


2.

Geradezu ärgerlich und abgehoben wird deine Kritik, wenn du Arm in Arm mit unseren populistischen und jeden Wind des Zeitgeists erschnuppernden Provinzpolitikern gegen die angeblichen oder auch wirklichen Sauforgien der Touristen in Mallorca und Ischgl vom Leder ziehst.

Hast du dir vielleicht schon einmal überlegt, dass es sich hier möglicherweise auch um deine Landsleute handelt, die ein ganzes Jahr über fleißig funktionieren und deine Republik am Laufen halten und als Ausgleich dafür zumindest einmal ein paar Tage im Jahr die Sau herauslassen wollen, wie das so heißt, ein weltweit, in allen Kulturen übrigens feststellbares anthropologisches Faktum, das so zum Leben gehört wie die Geburt und das Begräbnis. Meine Art zu feiern ist sicher eine andere, deine wahrscheinlich auch, zumal ich jene, wie sie in Ischgl oder Mallorca gepflegt wird, physisch noch nie ausgehalten habe.

Dennoch frage ich mich, aus welcher gouvernantenhaften Autorität heraus du dich über deine Zeitgenossen erhebst? Ich habe dieselbe Frage auch schon an meinen Tiroler Kollegen und Fotografen Lois Hechenblaikner gestellt, der sich nicht zu blöd war, ganze Serien von denunzierenden Fotos zweifelsfrei nicht gerade appetitlich feiernder Touristen zu publizieren (https://schoepfblog.at/alois-schopf-schlimmer-als-mitterer/).

Ganz abgesehen von der Frage: Worin bestehen eigentlich die klimaschädigenden Folgen der Après-Skiorgien, abgesehen von der Schädigung der Leber derer, die sich daran beteiligen? Ist es nicht geradezu einer der Vorteile des Massentourismus, dass er durch die Zentralisierung touristischer Gelüste den Rest des Landes und seiner Natur von diesem Publikum befreit? Und sind jene sogenannten Individualtouristen, die stolz darauf sind, stets neben den touristischen Trampelpfaden einher zu marschieren, nicht eine viel bedenklichere Klientel, die parasitär die von dir als erhaltenswert betrachteten traditionellen Lebensgewohnheiten von Gesellschaften als wahre Avantgarde, der die Massen nachfolgen, untergräbt?


3.

Am Ende deiner Überlegungen schwingst du dich, typisch deutsch müsste man fast schon sagen, zu einer imperialistischen oder, wenn du willst, auch kolonialistischen Belehrung der Tiroler auf, was sie zu tun haben, um in deinem Sinne wieder in die Schar der Naturbewegten aufgenommen zu werden.

„Weniger Landschaftsverbrauch, weniger Beton, weniger nahe an Flüssen wohnen, den Flüssen mehr Raum geben, die Wälder schonen und die Almen intakt lassen bzw. stärken, schonenden Tourismus, Erosionsflächen reduzieren, Autos raus aus dem Gebirge, weniger Fleisch fressen (wie überall).“

Leute, die solche Bußpredigten halten wie du, wurden früher als fahrende Jesuiten an hohen Festtagen in den Dörfern herumgereicht, um den Leuten von der Kanzel herab (ich habe das selbst noch als kleiner Ministrant erlebt, und wir mussten beide im Gymnasium, das wir besuchten, als Probepublikum solche Predigten über uns ergehen lassen. Hast du das ganz vergessen?) ordentlich die Leviten zu lesen. Ob je ein Tiroler oder Österreicher, von euch Deutschen liebevoll Ösis genannt,  jemals auf die Idee käme, den Leuten in Duisburg, Bochum oder Düsseldorf Vorschriften zu machen, wie sie ihre Städte zu gestalten haben, auf dass sie einem hochmögenden Umweltgedanken entsprechen?

Zumal deine Vorschläge, die du den Tirolern zur Verbesserung der Welt machst, zum Großteil ohnehin längst umgesetzt sind und hierzulande sehr wohl in Bezug auf Landschaft, Flussläufe, Erosionen, Wälder und Almen strenge Raumordnungsgesetze und Gefahrenpläne bestehen. Besonders freundlich ist natürlich dein Vorschlag, dass du als pensionierter Kohlemanager und Bewohner eines der am dichtesten bevölkerten Gebiete Europas uns Berglern und Älplern das Autofahren verbieten möchtest und nicht zugleich einbekennst, dass der Großteil des durch unser Land ziehenden Transitverkehrs die wirtschaftlichen Metropolen Deutschlands mit jenen Norditaliens verbindet und somit, wenn schon, folgerichtig nicht den Tirolern, sondern den Deutschen und den Italienern das Autofahren verboten werden müsste.

Wie schon gesagt: Es würde sowohl für dich als auch für mich zu weit führen, alle von dir angeführten Punkte im Hinblick auf den alpinen Weltuntergang bzw. seine Verhinderung genau auszudiskutieren, sodass ich zuletzt auf die eigentliche Fragestellung meiner Essay-Serie verweisen möchte. Ihr Übertitel lautet: „Tourismuspolitisches Organversagen“.

Gemeint ist damit, dass es eben nicht meine Aufgabe bzw. die Aufgabe irgendeines anderen Essayisten ist, unbezahlter Weise einen Wirtschaftszweig zu verteidigen, der durch eine traditionell ausgeprägte tiefe Verachtung allen intellektuellen, schriftstellerischen, aber auch künstlerischen Tätigkeiten gegenüber inzwischen bei der eigenen Bevölkerung so in Misskredit geraten ist, dass kaum noch eines seiner Projekte verwirklicht werden kann (dies dürfte deinen Vorstellungen sogar entgegenkommen). Als Beispiel führte ich ja nicht nur das dramatische Versagen aller öffentlichen Stellen im Hinblick auf das Hotelressortprojekt am Obernberger See an, sondern eben auch die Petition gegen den Zusammenschluss der Skigebiete Ötztal /Pitztal.

Noch wesentlich dramatischer als eine zunehmend ablehnende Haltung der eigenen Bevölkerung dem Tourismus gegenüber ist jedoch die Untergrabung der staatlichen Souveränität, wie auch du sie in deiner Stellungnahme signalisierst, indem du ungeniert von Deutschland aus mit deinen Vorschlägen in die Belange eines fremden Landes einzugreifen versuchst, ungeachtet der Tatsache, dass nach bisheriger demokratiepolitischer Konstruktion unserer Nationalstaaten ein Volk durch Wahlen und Abstimmungen über sich selbst zu bestimmen hat und dadurch souverän ist.

Diese Souveränität wird jedoch nicht nur durch die EU und unsere zugegebenermaßen offenbar unfähigen Politiker untergraben, welche wahrscheinlich nicht einmal die Verträge gelesen haben, unter die sie ihre Unterschrift setzten, – Verträge, die es uns etwa verbieten, Wölfe und Bären, welche eine über Jahrhunderte entwickelte Berg-und Almwirtschaft bedrohen, abzuschießen. Oder die es verbieten, in Regionen Kraftwerke zu bauen, in denen die Genvariante eines weltweit vorkommenden Unkrautgewächses angesiedelt ist.
Eine Analyse, dies alles neben ignoranter Denkverweigerung nicht verhindert zu haben und hilflos weiterhin nicht zu verhindern, sollte den Abschluss meiner Artikelserie bilden, ein Plan, der von mir leider durch die Ereignisse einer sehr turbulenten österreichischen Innenpolitik noch nicht verwirklicht wurde.

Dein Brief ist mir Ermahnung, hier an ein argumentatives Ende zu kommen.
Herzliche Grüße in mein geliebtes nördliches Nachbarland
Alois


PS: Wenn ich bedenke, welchen abgrundtiefen Unsinn ich im Gymnasium angefangen vom protofaschistischen Machwerk „De bello Gallico“ des Urtyps aller Diktatoren Julius Caesar über den Religionsunterricht inklusive seiner metaphysischen Verschwörungstheorien und seiner perversen Sexualmoral bis hin zur Geschichte als einer Serie von Schlachten zwischen hormonell überdosierten Wahnsinnigen über mich ergehen lassen musste – wenn ich all dies bedenke und weiter bedenke, dass ein durchschnittlicher Lehrer die Schule, in der er über Jahre belehrt wurde, verlässt, um auf die Universität oder Lehrerbildungsanstalt zu gehen, um dort das Belehren zu lernen, und daraufhin in die Schule zurückkehrt, um nach Lehrplan, siehe oben, den Rest seines Lebens die Schüler zu belehren, was er naturgemäß nach der Pensionierung nicht lassen kann, denn was hätte er denn schon anderes in seinem Leben gelernt? – wenn ich all dies bedenke, so bitte ich doch um ein gewisses Verständnis, wenn ich eine Petition, die ein pensionierter Lehrer ins Leben gerufen hat, unter Belehrungsverdacht im Sinne eines zu priesterlichen bzw. cäsaristischen bzw. machistischen Selbstverständnisses stelle.

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Schreibe einen Kommentar