Alois Schöpf
Kurz muss weg!
5. Teil des Essays
"Der Bundespräsident fordert
die Wiederherstellung eines Vertrauens,
dessen Zerstörung er mit unterstützt hat."

Die Veröffentlichung des Ibiza Videos hatte nur am Rande etwas mit dem Anliegen zu tun, der Parteibuchwirtschaft in Österreich und der damit einhergehenden angeblichen Korruption ein Ende zu bereiten. In Wahrheit stand die Selbstermächtigung von Leitmedien im Vordergrund, die wahre Macht im Staate abseits jeder demokratischen Legitimation und zumindest auf Gebieten, die von der sogenannten öffentlichen Meinung beherrscht werden können, zu übernehmen.

Dies gilt vor allem für das mächtigste Medium im Lande, den durch Zwangsgebühren opulent ernährten ORF, dessen durch Bildschirmpräsenz besonders prominenten Mitarbeitern es ein Anliegen ist, durch priesterliches Gehabe und inquisitorisches Heruntermachen marketinghöriger Politiker nicht nur ihre exorbitanten Gehälter, sondern auch ihre noch exorbitanteren Nebenverdienstmöglichkeiten in Vergessenheit geraten zu lassen.

Dass dieser Selbstermächtigung gleichsam als Nebenwirkung auch die Aufgabe zufällt, den nostalgisch über ihr schütteres Haar streichenden und aufgrund ihres Marsches durch die Institutionen müde gewordenen Altrevolutionären einen narzisstisch-nostalgischen Rückblick auf die sogenannte 1968-er Revolution zu erlauben, darf nicht unerwähnt bleiben.

Neben dieser gleichsam geistesgeschichtlichen Verpflichtung, eine ganze Generation noch vor ihrem biologischen Ende vor der Erkenntnis ihrer eigenen Verblendung zu bewahren, hätte natürlich nach einem halben Jahrhundert sozialdemokratischer Kunst- und Kulturdominanz eine länger währende Machtübernahme durch eine Regierung rechts der Mitte die Gefahr mit sich gebracht, dass all jene, die sich noch nicht mit beträchtlichen Pensionen aufs gesicherte Altenteil zurückziehen konnten, möglicherweise ihrer Privilegien in Gestalt von Pöstchen und Posten, Stipendien, Projektförderungen und umfänglichen Vorlässen verlustig gegangen wären. Auch das musste unter allen Umständen verhindert werden.

Insofern verrieten die Demonstrationen, die am Wiener Ballhausplatz sofort nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos, in dessen Zentrum bekanntlich zwei FPÖ-Politiker standen, mit ihren offenbar bereits auf Reserve produzierten Plakaten „Kurz muss weg“ die eigentliche Zielrichtung des gerade laufenden Medienputsches. Und vor allem aus diesem Grund musste es den durch die triumphale Wiederwahl der Regierung Kurz um ihren Sieg betrogenen Medienleuten, Oppositionspolitikern und Staatsanwälten der WKStA wie ein Geschenk des Himmels erscheinen, dass ihnen mit Thomas Schmid nicht nur der beflissene Exekutor der machtbewussten konservativen Regierungsmannschaft ins Netz ging, sondern dass sie dabei auch auf einen geradezu pathologischen Info-Messie stießen, dessen 300.000 Chats, obgleich unter fragwürdigen Umständen beschlagnahmt, unter juristisch fragwürdigen Umständen ausgewertet und ganz bestimmt unter fragwürdigsten Umständen an die Öffentlichkeit gespielt, einen unerschöpflichen Fundus für ein immer neues Aufkochen kleinbürgerlicher moralistischer Wut- und Neidattacken angesichts einer aus pastoralsäkularer Sicht unverzeihlichen Niveaulosigkeit im Kontakt der politischen Würdenträger zueinander abgaben.

Nicht nur das hartnäckige Gerücht, dass sich unter den 300.000 Chats auch 1000 Abbildungen männlicher Geschlechtsorgane befinden sollen, sondern auch die Tatsache, dass es durch die Veröffentlichung von Interventionen prominenter Chefredakteure bei Schmid umgehend zum Abschuss zweier besonders eitler Ehrgeizlinge kam, lässt zwar auf strafrechtlich wenig Relevantes schließen. Dafür eröffnet es den Blick auf die Horizonte eines zutiefst abgründigen österreichischen Gesellschaftsromans, für den derzeit jedoch kein ausreichend kompetenter Schriftsteller in Sicht zu sein scheint, gehören doch all jene, die das Handwerk einigermaßen verstehen würden, zur Partei der gouvernantenhaften Ankläger, wenn nicht gar zu den um ihre Bonifikationen bangenden Seilschaften, die sich in den letzten Jahrzehnten um den demokratisch gewählten Wiener Kultur-Hof angelagert haben.

Somit bleibt zuletzt nur die nüchterne Feststellung, dass noch jede Revolution ihre Kinder gefressen hat, in diesem Fall einen Rainer Nowak, Chefredakteur der „Die Presse“, der gern Generaldirektor des ORF geworden wäre, weshalb er noch in den Diensten der katholischen Styria-Group mit dem Handy am Ohr beflissen seine Netzwerke aufbaute. Und es erwischte einen Mathias Schrom, dessen karrierebewusstes Emporkrabbeln schon vor Jahren unser aller verehrter Ötztaler Blogger an die Öffentlichkeit gebracht hat, und der offenbar auf einem FPÖ-Ticket einer darüber lange Zeit lediglich im Verborgenen wütenden Nachrichten-Redaktion aufs Haupt gedrückt wurde. Dass nun ein solcher Mann von einem ORF-Generaldirektor, der selbst als Inhaber eines ÖVP-Erste-Klasse-Tickets in seinen Job einrücken durfte, umstandslos fallen gelassen wird, ist die logische Folge all jener Verfilzungen, in die, wie der ehemalige Stiftungsrat Andreas Braun es dieser Tage im „Der Standard“ betont, ORF-Stiftungsräte verflochten sind, die nach dem Gesetz unabhängig sein sollten, nach alpenländischer Realität jedoch ihre Position nicht ihrer Kompetenz, sondern einer Schleimspur verdanken, die sie im Laufe ihrer Karriere mit beredter Zunge zu den Mächtigen der jeweils richtigen Partei gelegt haben.

Ein Stiftungsrat, der im Verhältnis zu seinem gesetzlichen Auftrag als korrumpiert bezeichnet werden muss, ein Generaldirektor, der als eine in den meisten anderen Bereichen inakzeptable Hausberufung jegliche Distanz zur eigenen Kollegenschaft und damit ausreichend Autorität vermissen lässt, eine ÖVP, die sich aus feigem Opportunismus der öffentlichen Meinung gegenüber ihrer eigenen Führung, mit der sie Wahlen gewann, berauben ließ, beraten von einem Ethikrat, der die moraltheologische Escort-Dame des Wiener Bischofs Waltraud Klasnic vorsitzt, und eine Regierung, die nur noch versucht, sich bis zum gesetzlich vorgeschriebenen Wahltermin über die Runden zu retten, um die Rechnung vom Wähler nicht schon früher präsentiert zu bekommen: Dieter Bornemann, der Vorsitzende des Redakteursrates und oberster Journalisten-Vertreter des ORF wäre schön blöd, wenn er nicht die Gunst der Stunde nützen würde, als Vertreter des mächtigsten Mediums im Lande und damit auch für alle Kolleginnen und Kollegen in den anderen Medien ganz offen Redaktionsstatuten einzufordern, die die Freiheit der neu erstandenen Vierten Gewalt im Staate abseits jeder demokratischen Legitimation durch das Volk, das Parlament oder durch den Obersten Gerichtshof für alle Zeiten festschreiben sollten.

Um dieses Ziel zu erreichen, darf in den Nachrichtensendungen des ORF und in bester realsozialistischer Tradition der allabendliche journalistische Dreschflegel gegen eine angeblich korrupte ÖVP und die insgesamt korruptionsgefährdete politische Elite nicht fehlen. Dies vor allem deshalb, weil die juristische Suppe, um es populär auszudrücken, die sowohl noch bei Heinz-Christian Strache als auch bei Sebastian Kurz auf gerichtliche Klärung wartet, in einer Weise dünn ausfällt, dass die mit Ibiza begonnene und nunmehr strikt aufrecht zu erhaltende Desavouierung der Regierung Kurz 1 ohne moralistische Dauer-Gehirnwäsche der Bevölkerung nicht erfolgreich Bestand hätte und somit die Gefahr bestünde, dass Kurz nach Abwicklung der zweifelsfrei künstlich in die Länge gezogenen Untersuchungen durch die WKStA noch rechtzeitig vor den nächsten Wahlen zurückkehren könnte und selbige vielleicht noch höher gewinnen würde als er sie schon einmal gewonnen hat. Denn ein relevanter Teil der Bevölkerung ist wahrlich nicht so blöd, um nicht zu begreifen, was sich da in den letzten zwei Jahren abgespielt hat.

Was gegen Sebastian Kurz vorliegt, ist lediglich der Verdacht, sich bei einer sechs Stunden währenden Befragung im parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Widersprüche verwickelt zu haben und, auf persönliche Anordnung hin oder nicht, über Inserate des Finanzministeriums gezinkte Umfragen bei dem vom ORF als gefährliche Konkurrenz eingestuften und daher, wenn möglich im Zweifelsfall auch über Metoo zu disqualifizierenden Herrn Fellner im Sender oe24TV lanciert zu haben. Letzteres ein besonderer Lachschlager, da jeder, der auch nur im Geringsten etwas mit Medieneinschaltungen zu tun hatte, genau weiß, dass Werbung auch dann mit Redaktionsberichten belohnt wird, wenn mit weihrauchgeschwängerter Geste behauptet wird, dass sich zwischen Redaktion und Anzeigenabteilung kosmische Abgründe auftun. Der literarisch Interessierte möge lediglich die Literaturbeilage der hochmögenden deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“, die dort geschalteten Inserate von Verlagen und ein paar Seiten weiter die dazu passenden Buchempfehlungen studieren, um zu wissen, wie die Dinge wirklich liegen.

Dass dieses großartige und zugleich von menschlicher Niedertracht gekennzeichnete Schauspiel von unserem Bundespräsidenten in regelmäßigen Abständen mit die Handlung befördernder und die verlogene Moral vertiefender, langweiliger und betulicher Zwischenaktmusik bedacht wurde, mag als Antwort ausreichen, weshalb Alexander Van der Bellen als präsidiale Fehlbesetzung mit Verantwortung dafür trägt, dass das Vertrauen in eine dem Aufstieg einer neuen, unlegitimierten Vierten Gewalt hilflos zusehenden politischen Elite zu Recht verloren ging.

PS: Gleichzeitig mit der Veröffentlichung des vorliegenden 5. Teils des Essays wird zeitgleich auch der Gesamttext online gestellt.

Literatur:
Christian Neuhäuser, Christian Seidel: Was ist Moralismus? Über Zeigefinger und den Ort der Moral. Reclam 14273.


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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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