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Literarische Korrespondenz:
A. Schöpf an die Damen und Herren
Leserbriefschreiber
Betrifft:
Guter und böser Kommunismus bzw.
guter und böser Wolfgang Schüssel

Sehr geehrte Damen und Herren!

Die erstaunliche Fülle an Leserbriefen und die darin enthaltene Empörung, aber auch ausdrückliches Lob legen den Verdacht nahe, dass ich, um mir diese leicht süffisante Bemerkung erlauben zu dürfen, gegen ein zentrales Dogma einer säkularen Religionsgemeinschaft verstoßen habe, eine Ketzerei, gegen die von den Rechtgläubigen ähnliche Argumente ins Feld geführt werden, wie sie auch in der hinlänglich bekannten Kriminalgeschichte des Christentums seit Jahrhunderten verwendet wurden.

Der mir besondere Niedertracht unterstellende Vorwurf mehrerer Mails, deren Autoren mir leider, wie in solchen Fällen üblich, eine Publikation untersagten, lautet, die Redaktion der Tiroler Tageszeitung habe mich beauftragt, vor dem Hintergrund der Innsbrucker Gemeinderatswahlen etwas gegen die Linken zu schreiben.

Ich möchte diesen Vorwurf nützen, um einmal zur höheren Ehre meiner diversen Chefs in der TT festzuhalten, dass ich während der 33 Jahre, die ich für diese Zeitung schreibe, noch nie, ich wiederhole: noch nie! – eine inhaltliche Vorgabe erhalten habe, nicht einmal in Form eines Wunsches!

Ein weiteres, sehr oft vorgetragenes Argument zielt auf den angeblich miesen und korrupten Charakter Wolfgang Schüssels ab, der es gewagt hat, als mit der ÖVP Drittplatzierter ein Bündnis mit der Haider-FPÖ einzugehen und die Partei von einem christlich/sozialen angeblich auf einen neoliberalen Kurs umgepolt hat. Ich schätze Schüssels Charakter, abgesehen von einem kolportierten Hang zur Untugend des Geizes und der Geldgier, mitnichten als so niederträchtig ein wie viele, die in ihren Mails für ihre Vermutung ebenso wenig Beweise vorlegen können. Ich möchte nur daran erinnern, dass seine Regierungszeit sogar von der Deutschen Wochenzeitung “Die Zeit” mehrfach als vorbildlich für Deutschland hingestellt wurde. 

Die Tatsache jedenfalls, dass jemand einen miesen Charakter hat, hat keinerlei Einfluss darauf, ob sein Argument richtig oder falsch ist. Oft ist es geradezu bedauerlich und schwer zu verdauen: aber zwischen großartigen Autoren, Komponisten, aber auch Politikern und ihrer Anständigkeit oder Unanständigkeit besteht leider kein stringenter Zusammenhang.

Das Einzige, das man Schüssel tatsächlich vorwerfen kann, ist die Tatsache, dass er zwar den Kommunismus als toxisch einstuft, zugleich jedoch als braver Katholik regelmäßig die Sonntagsmesse besucht. Mit diesem Verhalten dürfte er allerdings nicht allein dastehen, denn sonst könnten nicht gleich mehrere Leserbriefschreiber mich daran erinnern, dass ich ja auch nicht von der katholischen Kirche verlange, dass sie sich in Anbetracht ihrer Gräueltaten, die sie begangen oder zumindest gesegnet hat, umbenennt.

Dieses Argument lässt allerdings, und ich möchte dies keineswegs als Vorwurf verstanden wissen, auf eine elementare Unkenntnis dessen schließen, was ich, auch in diesem Blog, zur christlichen Religion zu sagen habe. Unter anderem, dass sie auf Basis abstruser theologischer Behauptungen einen menschenfeindlichen, etwa in Sachen Sterbehilfe sogar menschenrechtswidrigen Kodex vertritt, dass sie im Hinblick auf ihre moralische Autorität auch in Anbetracht tausendfacher Missbrauchsfälle komplett abgewirtschaftet hat, als Machtfaktor jedoch immer noch existent ist, weshalb Politiker, die sich über volkskulturellen Opportunismus hinaus als christlich definieren, zumindest für mich in gleicher Weise unwählbar sind wie solche, die von sich behaupten, Kommunisten zu sein.

Womit wir beim entscheidenden Argument angelangt wären: dass es auch einen neuen Kommunismus gebe und geben dürfe, der, aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt habend, sich nun glaubhaft demokratisch gebärde und von charismatischen und sympathischen Politikern und Politikerinnen repräsentiert werde. Diese Forderung basiert auf der Annahme, dass die von mir ins Feld geführten 100 Millionen Opfer eben nicht dem echten, dem ursprünglichen, dem Gemeinwohl verpflichteten Kommunismus anzulasten seien, sondern seinen Aberrationen – in gleicher Weise, wie auch die christlichen Kirchen die Botschaft Jesu Christi verraten und verkauft hätten.

Dem ist entgegenzuhalten: Sowohl das Christentum als auch der Kommunismus sind, wenn man ihre Botschaften nur genau genug liest, von allem Anfang an totalitäre Botschaften, die sich nur solange tolerant geben, solange sie kein Machtfundament in der Gesellschaft und keine dementsprechende Durchsetzungsfähigkeit haben. Sowohl das Neue Testament, vom Alten wollen wir erst gar nicht reden, als auch der Urtext des Kommunismus, das Kommunistische Manifest bauen ihren nach außen hin blendenden Humanismus auf der Gewalt der Höllenqualen einerseits und der Diktatur des Proletariats anderseits auf. Beide Ideologien sind, um es nochmals zu sagen, im Kern totalitär, Andersdenkende, Ungläubige ausschließend, menschenverachtend und somit auf alle Zeiten toxisch. Die Aberration ist ihr Wesen und nicht ihre Verfehlung.

Ich werde mit diesen knappen Überlegungen keinen Altlinken und Plus-Kommunisten überzeugt haben. Wenn beide Glaubensbrüder mir aber immerhin konzedieren, dass ich mir bei meiner TT-Kolumne mehr gedacht habe, als in 1900 Zeichen Platz findet, habe ich für mich schon alles erreicht.

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Jenewein

    Werter Herr Schöpf,
    letztmalig bezugnehmend auf „guter oder schlechter Herr Dr .Schüssel“:
    War das nicht jene Regierung, die nach ihrer Angelobung flüchten musste?
    Jene gegen die wöchentliche Demonstrationen stattfanden?
    Jene die von Sanktionen belegt wurde?
    Sofern ich mich recht erinnere.

    Woher die „Zeit “ ihre Erkenntnisse damals bezogen hat , das entzieht sich wiederum meiner Kenntnis.

    Mit besonderen Grüßen.

  2. Rainer Haselberger

    Sehr gut gesagt, Herr Schöpf!

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