Alois Schöpf
Bitte weniger schimpfen!
Apropos

Zugegeben: Es ist seltsam, wenn ein Kolumnist, der vom Kritisieren lebt, seinen Zeitgenossen ausrichtet, sie sollten weniger schimpfen. 

Wobei ja auch die Möglichkeit besteht, dass er durch seine Berufserfahrung beides besser unterscheiden kann: Einerseits das Kritisieren als Versuch, etwas Konkretes als tauglich oder untauglich zu bewerten. Andererseits das Schimpfen als pauschale Wut, alle seien korrupt und dumm, nur man selbst nicht, und die Katastrophe sei unaufhaltsam!

Mit Letzterem war ich in geradezu beängstigender Weise bei zahlreichen Begegnungen in der Vorweihnachtszeit konfrontiert. 

Da wurde nach dem gepflegten Abendessen und bei gutem Wein nicht nur über die unfähige Regierung, die korrupte ÖVP und die verblasenen Grünen hergezogen, da wurden auch pauschal der Tourismus, der Kraftwerksbau, die untauglichen Maßnahmen gegen den Transit, gegen die Migration und gegen den Klimawandel in Grund und Boden verdammt.

Zum Jahresabschluss daher zur Erinnerung: Wir erleben, zumindest in Mitteleuropa, die längste Friedensperiode unsere Geschichte. Wir leben länger, gesünder, unser Problem ist eher der Überfluss, nicht der Mangel. Und wir können reisen, uns fortbilden, Instrumente lernen und auch von all dem nichts tun. Wir sind nämlich so frei wie noch nie!

Wer da noch schimpft, sollte sich ernstlich fragen, warum er es tut. Mit der Realität kann es nicht viel zu tun haben.

Erschienen in der Tiroler Tageszeitung am 31.12.2023

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 7 Kommentare

  1. Rudolf Heinz

    Guten Morgen Alois!
    Volltreffer. Dieser Beitrag tut wohl! Danke.
    Einen Teil der Negativstimmung in unserem „Paradies“ Tirol erzeugt der tägliche Negativ-Journalismus.
    Es gibt für mich keine Diskussion über eine kritische Berichterstattung, die ist sehr wichtig.
    Und jeden Tag müsste man die Bevölkerung erinnern, dass wir seit 80 Jahren keinen Krieg mehr hatten.
    Ich wünsche Dir fürs Neue Jahr 2024 Gesundheit, Freude und Glück und weitere solch positiver Beiträge.

  2. Klaus Reiter

    Sehr geehrter Herr Schöpf!
    Ich kann Ihnen zu Ihrem „Bitte weniger schimpfen!“ nur beipflichten. Bin auch der Meinung, es ist ein großer Unterschied zwischen berechtigter und sachlicher Kritik und dem Jammern und Schimpfen.
    „Wir sind nämlich so frei wie noch nie!“ – auch das wird leider zu wenig geschätzt oder liegt es daran, weil eben Freiheit mehr geistige Energie in Anspruch nimmt.
    Schöne Grüße und alles Gute im neuen Jahr!

  3. Josef Mascher

    Lieber Alois,
    du hast mir wieder einmal aus der Seele gesprochen.
    Die Zufriedenheit mit der gegenwärtigen Lage sollten eigentlich alle kennen, die in unserer Generation aufgewachsen sind – trotz der Baustellen. Aber auch da ist anscheinend Nachholbedarf.
    Für die Jüngeren ist es natürlich schwerer, da sie mehr oder weniger vor vollen Trögen aufgewachsen sind.
    Aber der bewusste Blick in die Krisenregionen sollte auch ihnen zu denken geben. Möglicherweise muss man das erlebt haben, um es wirklich zu begreifen. Was hoffentlich nicht eintritt.
    Liebe Grüße

  4. Jenewein

    „Unser Problem ist der Überschuss , nicht der Mangel „!!!

    Ja was sind denn das für neue Erkenntnisse?

    Nix mehr mit „du bist die Hure der Reichen „?
    Nix mehr mit „will haben“?
    Nix mehr mit „ich will“?
    Nix mehr mit „Geiz ist geil“?

    Was ist denn mit Ihren los, werter Herr Schöpf?

    Geläutert?
    Einsichtig?
    Belehrbar?

    Doch danke für diesen Satz.
    Sie haben mir die Worte aus dem Mund gestohlen!

  5. Andreas Perterer

    Sehr geehrter Herr Schöpf!
    Gerade am vorletzten Tag des Jahres haben Sie es wieder, wie meistens, auf den Punkt gebracht!
    Nur „Schimpfen“ bringt uns nicht weiter! Positiv in die Zukunft schauen, mehr zufrieden sein und dankbar sein für die vergangenen Jahre, die wir in Frieden und Freiheit verbringen durften!
    Mehr Vertrauen den demokratischen Institutionen und deren Vertretern schenken, wenn diese auch für so manche Fehlentscheidungen verantwortlich sind. Menschen machen auch Fehler, aber solange das Positive überwiegt, sollten wir Vertrauen schenken!
    Danke für Ihre Arbeit als Koluminist und Ihre journalistische Tätigkeit.
    Alles Gute für 2024 und bleiben Sie gesund!

  6. Peter Hechenberger

    Hallo Herr Schöpf,
    Ihren Ausführungen in der Kolumne „Bitte weniger schimpfen“ vom 30.12.2023 kann ich nur zustimmen. Diese Stammtisch-Jammerei bringt uns nicht wirklich weiter und eine positive Lebenseinstellung ist wichtig.
    Umgekehrt verdrängt und verleugnet der Mensch, was uns daran hindert, uns vernünftig weiter zu entwickeln.
    Bei zwei Punkten muss ich daher widersprechen: Erstens leben wir nicht gesünder, wir stecken nur eine enorme Summe in unser Gesundheitssystem, die Krebsrate steigt weiter, Wohlstandskrankheiten nehmen in allen Richtungen stark zu und mindern schleichend unsere Lebensqualität. Von den psychischen Problemen ganz zu schweigen.
    Und das Thema Freiheit sehe ich ebenfalls kritischer als viele andere. Industrie, Medien und das Web beeinflussen uns nicht nur, sondern manipulieren die Gesellschaft. Es nimmt uns die Fähigkeit des freien Denkens. Aldous Huxley hat dies bereits vor Jahrzehnten sehr treffend beschrieben.
    Mein Fazit: (Fehl-)Entwicklungen kritisch wahrnehmen und lösungsorientiert agieren.
    Freundliche Grüße

  7. Andreas Niedermann

    Schimpfen, lieber Alois, ist gesund. Wie Fluchen. Emotionsabfuhr. Vielleicht ein wenig langweilig für diejenigen, die zuhören müssen und nicht einstimmen wollen, mögen, können.
    Natürlich ist deine Analyse nicht falsch, aber wir sind keine rationalen Wesen. Das beweist doch schon allein der Umstand, dass die Mehrheit eine Partei wählen wird, die bereits x-fach bewiesen hat, dass sie es nicht kann. Das ist, sozusagen, tätliches Schimpfen.
    Wir alle kennen ja die Definition von Wahnsinn, oder?

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