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Helmuth Schönauer
Das Tirol Knie
Notizen

Kas

Eine gute Marke muss ständig in Schuss gehalten werden. Je wertvoller eine Marke ist, umso sensibleren Umgang erfordert sie. Selbst Elon Musk musste einen Verfall seiner Marke Twitter in Kauf nehmen, als er sie zu grob behandelte und in X umbenannte.

Tir⸧l ist eine feine, sensible Welt-Marke. Deshalb beschäftigt sich eine ganze Holding damit, sie zu schützen, zu putzen und weiterzuentwickeln. In jüngster Zeit wurde sogar heftig darüber diskutiert, weil jemand bedauerte, dass Tirol keinen eigenen Käse hätte, der das Land in der Welt bekannt machen würde.

Nicht umsonst braucht jede Region die Dreierformel Fahne – Hymne – Leibspeise, um als Dreifaltigkeit der Identität im weltweiten Markenhaufen bestehen zu können.

Als Leibspeise der Tirolernden gilt schon seit Jahrhunderten der Kaspressknödel, der nach einem patriotischen Marken-Käse verlangt. Die Vorfahren haben diesen als Graukas schon längst erfunden, freilich gab es damals zum Unterschied von den Holding-Heinis heutiger Tage keine Erfinderprämie.

Und in der Tiroler Gegenwartsliteratur wurde der Graukas bereits 1997 von einem Untergrunddichter in einem hymnischen Gedichtband besungen.

Kostenloser Download: https://ulb-digital.uibk.ac.at/download/pdf/5432494.pdf


Knie

Zur Kraft einer Weltmarke gehört freilich auch die Offenheit, auf allen Betätigungsfeldern im Bedarfsfall Weltformat zu erlangen. 

So hat sich aus den unheimlichen Verletzungen von Sport-Treibenden in den letzten Jahren das sogenannte Tirol-Knie zu einer allseits geschätzten Dienstleistung entwickelt. Jede Sportler-Person, die etwas auf sich hält, muss im Laufe der Karriere mindestens einmal nach Innsbruck, um sich das Knie reparieren zu lassen.

Die medizinischen Einrichtungen in Innsbruck und Hochrum werden in diesen Kreisen wie Wallfahrer-Tipps gehandelt. Immer wieder stellen simple Sportärzte auf der ganzen Welt ihre Weltstars vor das Ultimatum: Entweder Rum oder Karriereende!

Tatsächlich ist man im Land auf diese Promis bestens vorbereitet. In Hochrum hat man neben dem Aufwachraum ein eigenes Interview-Zimmer eingerichtet, von dem aus die frisch Operierten die Grüße in die ganze Welt richten können. Dabei werden ihre Gesichter zu einer Kernbotschaft geschminkt: Was immer du auch hast, wenn du in Tirol operiert bist, kannst du wie Lazarus die Krücken wegwerfen und weitermachen!

Ein besonderer Service während dieser Glücks-Interviews besteht darin, dass die Kamera vom strahlenden Gesicht aus kurz auf das Tirol-Knie hinunterfährt, das im flüchtigen Schwenk die Konturen eines Tiroler Adlers angenommen hat. Und neben dem Kopfkissen liegen wie zufällig allerhand Logos und Buttons, die darauf hinweisen, bei welchen Firmen das operierte Knie in Diensten steht.

Während Weltsportler durchaus die Größe haben, sich nur dann das Tiroler Knie operieren zu lassen, wenn dieses auch kaputt ist, legen sich heimische Schi-Künstler oft mitten in der Saison ins Hochrumer Bett, um endlich die Werbeverträge im TV unterzubringen.

Den Sponsoren ist es schließlich egal, ob jemand mit Schi im Zielraum steht und während des Interviews seine Sponsor-Kekse zeigt, oder ob er dies ohne Schi im Bett erledigt.

Im Tirol-Knie sind jedenfalls medizinische Operation und touristisches Marketing preisverdächtig vereint.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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