H.W. Valerian
Von den Opfern der kommerziellen Musikindustrie
Notizen

„ … jene Moderne, die es zwar gibt, die vom Publikum akzeptiert und geliebt würde, die jedoch von den Opfern der kommerziellen Musikindustrie als zu anstrengend, von den subventionierten Avantgardisten hingegen als zu simpel abgetan wird.“ So Alois Schöpf in seinem Brief an die Egerländer-Fans, erschienen allhier am 13. August 2021.

Danke schön, Herr Schöpf! Melde mich hiermit zur Stelle, und zwar als ein solches Opfer.

Wie ich schon öfter dargelegt habe, bin ich irgendwann um 1965 oder ‘66 der damals so genannten Beat-Musik verfallen und nie mehr davon losgekommen, bis heute nicht. Während ich dies schreibe, läuft Sounds of the Sixties mit Tony Blackburn auf meinem Computer, eine wöchentliche Sendung von BBC Radio 2. Eben jetzt: „Let’s Dance“ von Chris Montez. Tolle Musik, nach wie vor!

Das Entscheidende in unserem Zusammenhang ist hingegen dies: Ich bin Zeit meines Lebens nie über diese Musik hinausgewachsen. An erzieherischen Versuchen hat’s wahrlich nicht gefehlt, und zwar von Eltern und Professoren ebenso wie von mir selbst. Aber nichts hat gefruchtet.

Ich erinnere mich, wie mich meine Mutter im Alter von fünfzehn oder sechzehn Jahren in ein klassisches Konzert mitnahm. Es sei an der Zeit, meinte sie. Aber ich konnte der Musik nicht folgen, beim besten Willen nicht. Meine Gedanken begannen zu wandern, dieses und jenes ging mir im Kopf herum. Und all die Zeit war ich festgenagelt auf meinem Sitz. Ein quälender Zustand, wie man sich vielleicht vorstellen kann, verschlimmert noch durch das Orchester. Was die spielten, das war ich unfähig als durchgehendes Musikstück wahrzunehmen.

Daheim auf meiner Couch wär’s bequemer gewesen, bei Gott! Vielleicht während eines meiner selbst zusammengestellten Tonbänder im Hintergrund lief. Genau so geht’s mir bis heute. Noch schlimmer sind Opern. Da kommt nämlich noch dazu, was ich bloß als Gekreische empfinde.

Natürlich bin ich mir der Bildungslücke bewusst, die sich da auftut. Wenn’s nach meiner Mutter ging, gehörte ein Verständnis, wenn nicht gar eine Vorliebe für klassische Musik einfach dazu. Man versteht: bürgerliche Bildung, bürgerliche Lebensweise.

An Erziehung hätte es also nicht gefehlt. Wenn überhaupt bei jemandem, dann hätte bei mir jener Mechanismus funktionieren müssen, der Alois Schöpf offenbar vorschwebt, wenn er „die mit öffentlichen Geldern finanzierten Musikschulen und Musiklehrer“ rügt, „denen es offenbar nicht gelungen ist, ihren Schülern einen einigermaßen treffsicheren Musikgeschmack zu vermitteln.“

Wir wollen uns ein Schmunzeln verkneifen, wenn da prompt wieder Lehrern und Schulen die Verantwortung zugeschoben wird. Das musste ja kommen, so sicher wie’s Amen im Gebet.

Allerdings setzt diese Sichtweise einen geradezu zwingenden Ablauf voraus, wie in der Mechanik: Volkstümliche Vorlieben + (gute) Lehrer = treffsicherer Musikgeschmack (wie auch immer der ausschauen mag). Wenn’s nicht funktioniert, wo liegt dann der Fehler?

Erraten!

Eben deshalb hab’ ich mich eingangs sofort zur Stelle gemeldet. Selbst wenn ich nur ein Opfer der Musikindustrie wäre – ich liebe meine Musik aus den Sixties, dazu noch ein kleines Stückchen nach hinten, fünfziger Jahre, und ein bisschen nach vorne, frühe Siebziger. Aber das war’s.

Was anderes hat mich niemals interessiert, nicht wirklich. Was die Blasmusik angeht, auch die gehobene, so war ich ihr – für meinen Geschmack – viel zu oft ausgesetzt, heute kann ich sie einfach nicht mehr hören. Geht nicht mehr. Einzige Ausnahme vielleicht: Glenn Miller und seine Big Band. Swing. Aber auch da bitte nicht zu viel!

H.W. Valerian

H.W. Valerian (Pseudonym), geboren um 1950, lebt und arbeitet in und um Innsbruck. Studium der Anglistik/Amerikanistik und Germanistik. 35 Jahre Einsatz an der Kreidefront. Freischaffender Schriftsteller und Journalist, unter anderem für "Die Gegenwart". Mehrere Bücher. H.W. Valerian ist im August 2022 verstorben.

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