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Helmuth Schönauer
KAFKA als Währung
Eine Deppensichere Fernsehserie
Stichpunkt

1.

Ab einer gewissen Patina durch den Mediengebrauch steht nicht mehr das Werk zur Diskussion sondern sein Wert als Währung. Selbst im Welt-kleinen Österreich durchstoßen manche Künstler die gepanzerte Decke des Archivs und machen sich in dieser Art selbständig.

So seltsame Namen wie Schiele, Fendrich oder Qualtinger werden dann genauso behandelt wie Bitcoin oder Stablecoin. Man weiß nichts Genaues, aber kann durch permanente Medienpräsenz locker darüber reden.

Untrügliches Zeichen für den Währungscharakter eines Werks ist seine Verwurstung zu TV-Serien. Die Vorteile dieser Stoffe liegen auf der Hand:
– Jeder kann mitreden.
– Für jeden ist Platz für seine persönliche Interpretation.
– Der Diskurs ist überschaubar bis hin zum bloßen Setzen eines Likes.


2.

Im Frühjahr 2024 wurde die erste Staffel von KAFKA als Sechser-Block ausgestrahlt. Etwa 200.000 bis 100.000 Menschen haben im Schnitt in Österreich die einzelnen Folgen gesehen. In Deutschland das Zehnfache, 2 Millionen bis 1 Million. (Man vergleiche, wie lange da Buchhändler beraten und Amazon zustellen müssten, bis diese Massen erreicht sind.)

Die Kritik zur Serie verlief wohlwollend wie bei der Beschreibung der Krypto-Währung Bitcoin. Die Skala der Bewertung fällt aus wie in Zeiten archaischer Schulnoten-Beschreibungen.
Die häufigsten Kommentare:
– Habe ich nicht gesehen.
– Ich getraue mich nicht, darüber zu reden.
– Ich finde es wunderbar.
– Das wird die Zukunft sein.


3.

TV-Serien des KAFKA-Zuschnitts funktionieren tadellos, indem sie unterhalten, heimisches Personal beschäftigen, den Stoff in einer Weise aufbereiten, die den Sehgewohnheiten entspricht.

Die Serie zeigt mustergültig, wie heutzutage erzählt wird: nämlich mit schnellen Schnitten, einem rabiat-schlichten Plot und einer Vermengung von biographischen Fußnoten und Werksbeschreibungen.

Der Held geht beispielsweise durch die Altstadt und hat seinen Biographen bei sich, dem er drei Pointen aus dem Werk erzählt. Wir sehen und hören:
Das Pflaster reißt ihm die Beine entzwei.
Das Fenster ist blind, dennoch blickt eine Frau daraus hervor.Ein Passant schmatzt im Vorbeigehen wie ein wild gewordenes Kind zu Hause am Tisch.

Das Drehbuch führt zwei Algorithmen zusammen: jenen mit den Schlüsselwörtern aus dem Werk und jenen aus der Biographie. Die Serie KAFKA wird dadurch wundersam authentisch, indem vorgeblich ja nur Originalzitate verwendet werden.


4.

Der Dichter Franz Kafka ist zwar Namenspatron und Spender origineller Sätze, die Story und den Wert als TV-Serie bestimmen aber die Kafka-Macher. Im konkreten Fall sind drei Profis am Werk, denen man Kompetenz, Kühnheit und großes Kaliber zuschreiben kann. Alle drei sind rund um das Jahr 2024 auf der Höhe ihrer Medienpräsenz.

a) Reiner Stach zwackt sich 18 Jahre seines Lebens ab, um gut zweitausend Seiten über Franz Kafka zu schreiben. In Stil und Sorgfalt für diese Biographie setzt er neue Maßstäbe. Zudem huldigt er dem klugen Anspruch an sogenannte Sachbücher: Jede Generation muss ihre wichtigen Stoffe neu vermessen, um zu sehen, ob sie noch aktuell sind.

b) David Schalko nennt sich gut beraten durch den Zeitgeist Fernseh-Format-Entwickler. In der Beschreibung von Berufsbildern liegen sogenannte Entwickler seit Jahren unangefochten an der Spitze des Wohlbefindens, weil sie unabhängig vom Ausgang der beruflichen Geschichte auf Zukunft und Optimismus hindeuten.
Man denke nur an Hotel-, Tourismus-, Stadt-, Landschafts- oder Bibliotheksentwickler.

c) Daniel Kehlmann wird von den einen als Wunderkind populistisch-germanistischen Erzählens betrachtet, von den anderen als Meister für verborgenen Kitsch. Gerechterweise greift man meist am besten auf seine Eigendarstellung zurück: Ein Erzähler operiert mit Wirklichkeiten.


5.

Inspiriert von diesen drei Meistern ist eine KAFKA-Serie entstanden, die lesende Bewunderer, zufällige Flaneure und von Krimis abgedrängte Literaturmenschen zum Vorbei-Schauen animiert hat.

Dieses Vorbei-Schauen ist auch das Schlüsselwort zum Genießen des Sechser-Packs. Man kann jederzeit einsteigen, abbrechen oder umsteigen, man wird immer einen Satz vorfinden, der einen verfolgt wie ein Kalenderspruch. Die Erzählweise ist fragmentarisch wie das Werk selbst, und in der Bildaufbereitung speedy-schlicht wie ein TikTok-Clip.

Das Ganze erinnert an die Biblia pauperum, als die Menschen noch nicht lesen konnten und sich die Heilsgeschichte von den Außenmauern der Kirchen mit den Augen herunterkratzen mussten. Heutzutage liest ebenfalls kaum noch jemand in gebundenen Schwarten, und statt der Kirchenmauern muss die öffentlich rechtliche Bildungsanstalt über Zwangsgebühren sich in die Haushalte hineinpressen.


6.

Von der Ferne aus betrachtet gleicht die Serie KAFKA einem Passionsspiel, das mit viel Prager Altstadt-Flair touristisch inszeniert ist wie die Passionsspiele in Oberammergau. Die sogenannte Leidensgeschichte entsteht bei Kafka dadurch, dass man die beteiligten Personen zwanzig Jahre in die Zukunft schiebt und somit ihr Ende in den diversen Vernichtungslagern thematisiert.


7.

Die Serie animiert insbesondere klassisch stimulierte Autoren zum Reagieren.
Zum Beispiel sind viele der jüngsten TV-Rezensionen geschrieben wie die Serie selbst. (Kurze Sätze, viel Gliederung, viele Bindestriche.) Dahinter steckt die Überlegung, dass man in Zukunft im Netz wahrscheinlich so schreiben muss, als ob man einen Kafka machte, um Deppen-sicher verstanden zu werden.

Antonio Fian wählt für seine Reaktion im Standard die bewährte Form des Dramoletts. Kafkas neue Briefe. Die Rache des Schriftstellers am Nachlassverwalter Max Brod. (30.3.24)

Kafka geht dabei unruhig auf und ab und diktiert Max Brod ununterbrochen Dankesbriefe an alle, die an der TV-Serie beteiligt gewesen sind. Dabei verwendet er die zeitlose Gruß-Formel: Wie sie vielleicht nicht wissen, absolviere ich gerade meinen hundertsten Todestag.


8.

Erbauliche Kafka-Definitionen
– Franz Kafka war ursprünglich ein Autor, der vor hundert Jahren gestorben ist. Er gilt als einer der internationalsten Autoren des vergangenen Jahrhunderts. Seine Werke führen Titel wie Stoßgebete: Schloss, Prozess, Verwandlung.
– Aus dem Zustand, den die Lektüre bei den meisten hinterlässt, hat sich der Ausdruck kafkaesk entwickelt, eine Mischung aus Groteske und Bürokratie.
– Hinter dem Titel KAFKA in Majuskelschrift steckt aktuell eine Fernsehserie, die in der ersten Staffel in sechs Folgen Leben, Werk, Zitate und Plots zu einem Kafka-Kosmos verbunden hat.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. c. h. huber

    wie recht du hast, lieber helmuth! diese unnötige rolle für verena altenberger hat mich auch gestört. irgendwie unnötig aufgemotzt dadurch, das ganze.

  2. Helmut Schiestl

    Die Kafka-Serie hat mir wider Erwarten gut gefallen! Lediglich die Besetzung des Schriftstellers Robert Musil mit Verena Altenberger fand ich deplatziert. Ist das heute ein Muss für eine Filmproduktion, dass man Rollen gegen jede Vorlage oder historische Tatsachen mit dem anderen Geschlecht besetzt, damit man die Kohle dafür bekommt? Wäre schon mal zu hinterfragen. Und wenn man mir jetzt damit kommt, dass zur Shakespeare-Zeit alle Frauenrollen von Männern gespielt wurden, dann hatte das ja wohl andere Gründe und war – zumindest von heute aus gesehen – nichts anderes als eine Diskriminierung von Frauen!

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