Helmuth Schönauer
Ruhe sanft weiter!
Zum Tod des Schriftstellers
Walter Kappacher

1.

Dieser Tage ist in Salzburg 85-jährig der Schriftsteller Walter Kappacher verstorben. Selten sind die Nachrufe so perfekt mit Künstlicher Intelligenz geschrieben worden, indem man sich auf den Satz einigte: Er war ein ganz ein Stiller!

In den 1980er-Jahren war Walter Kappacher ein ganz normaler Schriftsteller wie viele von uns. Wir haben zusammen in der Literaturkiste gespielt und uns gegenseitig eingeladen zu Lesungen. Manchmal haben wir auch Bücher von einander gelesen, wobei Akteure mit rezensierendem Nebenjob den Vorteil hatten, diese Lektüre auch beweisen zu können.

Dann ist Walter Kappacher in die Freundschaftsfänge von Martin Walser und Peter Handke geraten. Die beiden hatten ein Interesse, aus ihm einen Stillen zu machen, damit er ihnen nicht gefährlich werden konnte. Er war nämlich in manchen Absätzen besser als die zwei hochdekorierten Text-Gurus. 2009 schließlich, im Schreiber-Alter rund um siebzig, war er für niemanden mehr Ruhm-gefährdend und man hängte ihm den Büchner-Preis um.

Witzig ist auch der gekünstelte Nachruf in der Tiroler Tageszeitung, deren Programm ja seit Jahrzehnten darin besteht, in der Literaturszene alle sanft ruhen zu lassen. Er galt als stiller Vertreter seiner Zunft. Die Betriebsamkeit des Literaturgeschäfts betrachtete er zumeist aus sicherer Distanz.

Walter Kappacher war ein feiner Kerl für die Literaturredaktionen. Er machte keine Arbeit, man konnte still über ihn hinwegsehen. Und wenn man einen raren Namen oder einen Geheimtipp brauchte, konnte man ja immer noch darauf hinweisen, dass er eigentlich gelernter Mechaniker und an Salzburg leidender Reisebürokaufmann gewesen sei. Wenigstens diese Nähe zum Tourismus hätte eigentlich ab und zu eine Notiz im Touristischen Tagblatt (TT) vertragen.

2.

Zeitgleich zur Nachricht vom Tod Walter Kappachers wird aus Charkiw von einem Gleitbombenangriff berichtet, den die meisten von uns unter ferner liefen überfliegen. Die Literaturmenschen halten freilich kurz inne, wenn sie auf den Namen des Schriftstellers Serhij Zhadan stoßen, der vor den Trümmern einer Druckerei steht und sinngemäß ins Netz sagt: Die wollen unsere ukrainische Kultur auslöschen, indem sie unsere Druckereien, Buchhandlungen und Bücher zerstören.

Die heimischen Literaturmenschen in Tirol sind bereits so abgestumpft vom heimischen Literaturbetrieb, dass sie kurz überlegen, was man bombardieren müsste, um diesen Satz Zhadans auf uns münzen zu können. In der Innsbrucker Exlgasse beispielsweise werden in einer Druckerei Gottes-Lobe und Firmungs-Büchlein ausgeliefert. Der katholische Verlag dahinter führt ein ruhiges Leben und hält sich an die Maxime Kappachers, ein ganz Stiller zu sein.

Ein solcher Verlag würde nach dem Bombardement einfach weiter ruhen und niemand würde etwas merken.


Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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