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Helmuth Schönauer
Guten Morgen halbe Million!
Stichpunkt

In den letzten Wochen gibt es aus der Abteilung Varia des ORF schöne Sachen zu berichten.

Angeblich soll die Fernseh-Legende Teddy Podgorsky aus Angst gestorben sein, dass seine Gagen als Ruheständler bekannt würden. Er ist umsonst gestorben, denn die Hörwut des Publikums richtet sich vor allem auf die Gute-Morgen-Sendung eines Millionärs, der Wert darauf legt, dass es nur knapp eine halbe Million brutto ist, die er als Wecker-Marke kassiert.

Tatsächlich soll der Sender Ö3 einen gigantischen Zulauf an Hörwütigen erfahren haben. Selbst die taubsten Senioren sollen auf Ö3 gewechselt sein, um endlich ein Millionärsgefühl zu erfahren.

Diese Spontan-Ö3-ler sind inzwischen enttäuscht, denn eine Marke, die beschädigt ist, funktioniert nicht mehr. Tatsächlich müssen auch große Fans des Star-Moderators zugeben, dass nichts mehr so ist wie früher, als sie ihm noch unreflektiert an den Lippen gehangen sind. Kaum verspricht er sich oder flacht einen Witz unnötig ab, schießt dem Publikum schon seine Gage durch den Kopf.

Bei dieser Entlohnung solche Fehler?

Damit gleicht der Weck-Star einem Fußballer, bei dem bekannt geworden ist, was er verdient. Kaum macht er einen Fehler, wird er ausgepfiffen. Jede Bewegung wird in finanzielle Einzelteile zerlegt: Einmal Einwurf von der Seitenlinie 50.000,-; einmal Ecke schießen 80.000,-; einmal Elfer verschießen kostet den Verein 100.000,- und womöglich noch Punkteverluste.

Aber auch in der Opernszenerie kommt man auf satte Beträge, wenn man sogenannte Indisponiertheiten in Euro umrechnet. Da können ein falscher Einsatz oder das Verfehlen einer halben Note schon mal zu einem sechsstelligen Betrag führen, der sich auf die nächsten Gagen-Verhandlungen auswirkt.

Bei all diesen Stars poppt kaum eine Neid-Debatte auf, weil alle ja freiwillig am Wirken der Kassierenden teilnehmen. Beim ORF ist das aber eben nicht so. Durch das aufgepoppte Gagen-Desaster ist seine Marke als öffentlich rechtlicher Sender fundamental beschädigt.

ORF – Wie wir. Diese sogenannte Dachmarkenkampagne bewirkt nur noch Hohn und Spott. Niemand will so desaströs wirken wie zur Zeit der ORF.

Eine ähnliche Kampagne-Verhunzung erfuhr im Bürgermeisterwahlkampf in Innsbruck auch der bisherige Kampagnen-Meister: Willi – menschlich wie du!
Die Leute wenden sich erbost ab, so menschlich wie Willi will niemand mehr in Innsbruck sein.

Das Glaubwürdigkeitsdesaster des ORF wird uns noch lange nachhängen. Denn Interviews, Unterhaltung, Argumente, Prognosen, alles was gesendet wird, erscheinen auf den Bildschirmen vor dem Hintergrund der Beträge, die die Akteure von uns abkassieren.

Dieser Tage hat der öffentlich rechtliche Monopolist seine Unschuld verloren.
Es versüßt den Tag nur noch mäßig, wenn man von einem (Halb-)Millionär geweckt wird.


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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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