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Helmuth Schönauer
Achtung Allergiker:
Gedankenpollen!
Stichpunkt

1.

Schlichte Vergleiche sind leider sehr selten möglich, weil die Welt so kompliziert ist. Im Frühjahr freilich tut sich ein kleines Vergleichsfenster auf, wenn unerwartet früh wieder alles zu blühen beginnt und die Allergiker mit den Taschentüchern zur Nasenpflege ausrücken müssen.

Ach die Pollen! Sie kommen, wenn man sie nicht braucht, und sind außerhalb ihres Geturtels zwischen zwei Gebüschen für hormonlose Gemüter äußerst lästig.

Und damit schlägt die Stunde des kühnen Vergleichs: Die Gedanken sind wie die Pollen!


2.

Tatsächlich haben wir ja einen Großteil unseres Körpers versiegelt wie die Erdoberfläche, damit nichts Erdiges uns berührt. Und dennoch gibt es Phasen, wo wir alle zu Allergikern werden, uns einsperren, mit Spray garnieren und uns impfen lassen, wenn gar nichts mehr hilft.

Bei den biologischen Pollen stellt sich jedes Jahr die Frage, ob die Pollen aggressiver oder wir schwächer geworden sind.

Die gleiche Frage stellt sich aber auch bei den Gedanken. Wenn sie uns jäh überfallen: Ist dann die Diskussions-Atmosphäre aggressiver geworden? Oder schwächeln wir Gedankenträger, weil wir nichts Zugespitztes mehr ertragen?


3.

Nach der vegetativen Eruption beruhigen sich die Nasenschleimhäute automatisch wie das politische Bewusstsein nach einem zugespitzten Wahlkampf.

Die Menschen gehen zur Tagesordnung über und ältere Gemüter sinnieren, ob sie das nächste Frühjahr überhaupt noch erleben werden. Denn irgendwann ist für jeden der letzte Pollenflug!

Freilich ist das heurige Frühjahr besonders Pollen-aggressiv, weil die Goldregenblüte und der Wahlkampf in Innsbruck zusammenfallen. Selbst robuste Charaktere werden da zu Allergikern.


4.

Für Gegenmittel der medizinischen Pollen-Entgleisung fragen Sie bitte Arzt oder Apotheker! Für die geistigen Pollen-Attacken hingegen, die meist auf ungesunden Medienkonsum zurückzuführen sind, gibt es zumindest in der Erwachsenenbildung ein bewährtes Hausmittel.

Ausblenden – einblenden – umblenden


Ausblenden: Alle Nachrichten mit schlechten Vokabeln wie Krieg, Kanzler, Konkurs oder Klima ausblenden, indem man die Nachricht nicht anklickt und schon gar nicht liest.

Einblenden: Wenn schöne Wörter am Schriftbild erscheinen, wie Kindheit, Kaninchen, Kandiszucker oder Karussell, sofort die Augen schließen und rund um das jeweilige Wort einen rosaroten Flash aufbauen wie damals, als man noch allabendlich in ein Bilderbuch geschaut hat.

Umblenden: Wenn schlechtes Karma aus dem Kanal herauskriecht, sofort den Sender wechseln oder zumindest auf stumm schalten, bis die Medien-Kolik vorbei ist.

Diese Tipps zum Medienkonsum lassen sich auch für die normale Kommunikation im Smalltalk-Modus anwenden. Wenn eine kommunikative Kreissäge Geschichten aus dem depressiven Kosmos zu erzählen beginnt, sofort eine der drei Blend-Maßnahmen einsetzen! Oder unter irgendeiner fadenscheinigen Ausrede gehen!

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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