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Helmuth Schönauer
Auto - Luder, zwei Selbstläufer!
Stichpunkt

1.
Bei einem Stehereignis am Landhausplatz, der nach einem NSDAP-Mitglied benannt ist, wird dem agrarischen Landesrat und der blassgrünen Landesrätin eine Petition überreicht. Wind bläst in die Mikrophone und dem Landesrat kommt in einem Tourette-ähnlichen Anfall das Wort Luder aus, das er instinktiv bereut, wie man an seiner Grimasse sieht, die auch dem Wind geschuldet sein kann. (Warnung: Tourette-ähnlicher Anfall ist hier eine literarische Diagnose, keinesfalls eine medizinische.)

In der Aufarbeitung des Luder-Sagers muss man viel technischen Aufwand betreiben, um Luder am Interview-File zu entdecken. Analog scheint diesen Ausdruck überhaupt nur der Landesrat in seinem Kopfinnern gehört zu haben, sonst ist nichts nach außen gedrungen, was dieses Makel-Wort umschreiben könnte.

Politikpersonen, Petitions-Übergebende, ja sogar die blassgrüne Landesrätin selbst sind nicht im Stande, in Echtzeit den Luder-Sager zu hören. Erst im Studio, beim Zusammenschneiden diverser Floskeln für die Abendsendung, erscheint es den Tontechnikern für möglich, dass da ein schmutzig-sexistisches Wort dabei sein könnte.

Es folgt die übliche Aufarbeitung solcher Vorfälle, die einem permanenten Provinzwahlkampf geschuldet sind. Der Landesrat vermeidet es, dieses Wort noch einmal zu verwenden, und bemüht sich, umso heftigere Grimassen zu schneiden, wenn ihm etwas Queres vor den Stimmbändern liegt.

Von Heimatkundlern lässt er das Unwort Luder verteidigen, wonach alles ein Luder ist, was man nicht auf Anhieb versteht.

2.
Dieser Tage kommt es abermals durch denselben Landesrat zu einem Luder-Sager, diesmal aber hört man das Luder nicht einmal auf einer digitalen Tonspur.

Der Landesrat für Verbauung im ländlichen Raum hat inzwischen die Wahl, die Demontage früherer Kollegen und falsche Prioritätensetzungen klaglos überstanden. Nur das Tourette-ähnliche Reißen ist ihm geblieben, wenn er in die Nähe eines heiklen Wortes kommt.

Das Unwort ist in diesem Fall aus Blech. Andere sagen Auto dazu. Wenn es in einem Satz auskommt, kann man froh sein, wenn es niemand hört. Was den Feministinnen das Luder, ist den Grünen und den Außerfernern das Auto.

Jetzt ist wieder Pressekonferenz, der Wind ist wieder der einzige, der nachfragt. Alle anderen schreiben auf, was der Wortspender zur Presse sagt. Ja, es wird zu einem Scheiteltunnel am Fernpass kommen, sagt der Landesrat, und fügt für sich im Innern hinzu: Denn das Auto ist ein Luder.

Abermals wird der Landesrat in der Presse zerrissen, weil er Scheiteltunnel ähnlich ausgesprochen hat wie seinerzeit Luder. Auch diesmal wird er wieder von Heimatkundigen verteidigt, die davon sprechen, dass der Scheiteltunnel nur ein Wort ist. Es ist genaugenommen ein Tunnel, der eine Frisur trägt, einen Scheitel eben. Oder zweifelt ihr an der Intelligenz des Landesrats? fragt jemand, der es gut mit ihm meint.

– Bis der Fernpassscheiteltunnel fertig ist, wenn er überhaupt außerhalb von Wortfügungen jemals gebaut wird, gibt es keine Verbrenner-Motoren mehr! Niemand wird sich mehr den Fernpass emporquälen und an den obersten Spitzkehren hängen bleiben! Alle werden elektrisch über den Berg gleiten und untendurch wird die Außerfern-Bahn surren, um das Klima zu entlasten! Ihr glaubt doch nicht im Ernst, dass ein Scheiteltunnel auch nur angedacht ist!

3.
Die Lehre aus diesem Vergleich Sex versus Auto ist: Alle politischen Bereiche beherbergen zu gewissen Zeiten diverse Tabu-Areale, in die man nicht verbal eintreten soll. Die Kunst geglückter Überlebenspolitik besteht darin, dass du dich völlig aus dem aktiven Wortschatz zurückziehst und diesen einer KI überträgst.

Einer KI würde der Luder-Sager nie passieren, wie sich mit einer netten Anfrage (Was ist ein Luder?) sofort beweisen lässt.

4.
Als Publikum diverser Themen und Aussprüche stehen wir oft vor einer Nebelwand politischer Absichten. Der Bau des Scheiteltunnels am Fernpass steht im Regierungsprogramm und wird demnächst losgehen.

Nun gilt es, die Öffentlichkeit langsam mit dem Thema vertraut zu machen.
Eine gute Methode ist es, den durch den Luder-Sager bekannt gewordenen Landesrat einen Ballon Scheiteltunnel für Autos starten zu lassen.

Wenn das Publikum aufjault, kann man noch immer den Rückzieher machen und behaupten, das Wort sei einem herausgerutscht. Wenn es durchgeht, ist man dem Ausbau-Ziel schon ein Stück näher gekommen.

Wir als Publikum sind wie immer Testpersonen für ein Sprachspiel. Wir können nichts dafür oder dagegen tun. Aber merken sollten wir es wenigstens.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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