Helmuth Schönauer
Fan-Leichnams-Prozession
Die alternative Kulturszene demonstriert
für lärmige Locations in Innsbruck.
Stichpunkt
1.
Neulich an einem Mai-Samstag wälzt sich eine formidable Prozession über Stunden durch Innsbruck. Ausgelassenes Publikum marschiert zwischen sogenannten Event-Haubitzen: auf diesen vierzehn Spezialfahrzeugen sind Mobil-Bühnen und Verstärker installiert wie bei legendären Karnevals-Umzügen oder Loveparades. Und immer wieder hält der Zug an und Live-Musik erschallt in den Straßenzügen. Publikum wechselt vom Gehsteig in den Demozug, und aus diesem changieren Diskutierende auf den Gehsteig.
2.
Was auf den ersten Blick wie eine konventionelle Fronleichnamsprozession aussieht, erweist sich im Gespräch mit den Musizierenden und Eventierenden als sogenannte Fan-Leichnams-Prozession.
Menschen aus der Alternativkultur, jugendliche Multikünstler und Evententwickler demonstrieren vor den Augen des neuen Gemeinderats dafür, dass endlich genügend Locations geschaffen werden, damit die Jugend sich austoben und verwirklichen kann. Konsumfreie Zonen sozusagen. Festivalgelände, Clubgebäude und Partygelände sind dann auch die Schlagwörter, die immer wieder auf Schildern gezeigt werden.
3.
Die Demo-Route dieser fröhlichen Protestexpedition berührt im Laufe des Tages jene Lokalitäten, die in den letzten Jahren stillgelegt und geräumt worden sind: Weekender, Utopia, Hafen, Mausefalle, Hofgarten, Stadtcafe sind die bekanntesten der neun ehemals angesagten Locations, an denen die ehemaligen Kundschaften jetzt noch einmal vorbeiziehen.
Bitter: Das Lokalsterben hat zu einem Fan-Sterben geführt!
Die Hauptforderungen gehen anderntags in die Medienberichterstattung ein:
– Erhöhung der Kurtaxe von zwei auf drei Euro, und dieser Euro soll dann in die Alternativkultur gehen.
– Die Schaffung konsumfreier Räume.
– Und die Stadt soll es machen und Kulturstätten zur Verfügung stellen.
4.
Für Nichtfans der Szene, ob schon tot oder noch halb lebendig, stellen sich ein paar Fragen.
– Alle bisherigen Locations wurden privat initiiert, entwickelt und durchkalkuliert. Die öffentliche Hand hat regelmäßig unterstützt, aber dennoch nicht die diversen Konkurse verhindern können.
– Müsste nicht zuerst einmal von privater und künstlerischer Seite etwas verwirklicht werden, ehe dann die Subventionen einsetzen?
– Gesucht wird in der Hauptsache Raum, auf dem man, der Polizei und den Anwohnern entrückt, feiern kann bis zum Umfallen. Die Sillschlucht hat diesen Zweck erfüllt, bis sie zur Baustelle für den Brenner Basistunnel geworden ist.
– Es fehlt in der Stadt nicht nur an Wohnraum, sondern auch an Brache, auf der man sich austoben kann. Bei der Nutzung von Arealen wird man sich daher immer entscheiden müssen, ob man darauf wohnen oder lärmen will.
– Die Partykultur wird unhinterfragt als Kultur-Flow bezeichnet, den man den Jugendlichen anbieten muss. Ein Teil dieser Kultur stammt aus Großbritannien, wo man nach dem Niedergang der Pop-Musik auf Vinyl mit Event-Musik das Publikum bei Geld und Stange zu halten wusste.
– Mittlerweile ist der Kern der Eventkultur in Großbritannien selbst zusammengebrochen. Die Szene ist also von der Wurzel an kaputt, und nicht, weil Innsbruck keine Location hat. Vergleiche dazu: „Nix mehr los“ Warum das Londoner Nachtleben in der Krise steckt. DER STANDARD / APA 6. Mai 2024.
5.
Die Wohnungsnot versucht man verbal zu lindern, indem man permanent von Aufstocken spricht. (Zynischer Satz des ehemaligen grünen Stadtrats Fritz: Verdichten kann man nur, was schon dicht ist.)
Vielleicht sollte man auch die Events-Not lindern, indem man bestehende Einrichtungen aufstockt. Warum nicht neben der Bobbahn ein Event-Land einrichten, damit die sanitären Einrichtungen für die zwanzig Bobfahrer endlich von Tausenden genützt werden können? Warum nicht das Fußball-Absteiger-Stadion Tivoli neu als Austragungsort für Events nützen? Warum nicht den Flughafen neben der Piste nützen, wo doch die Anwohner schon alle Lärm-resistent sind?
6.
Bei der eingeforderten Kultur geht es oft bloß um nächtelangen Krawall, der mit einer gesitteten Wohnkultur nicht kompatibel ist. Nicht umsonst sind Nachtruhen am Flughafen, im Transitverkehr und bei Open-Airs internationaler Standard für dicht verbautes Gebiet. Sollte man nicht besser an einer Kulturform arbeiten, die mit der Stadt kompatibel ist, anstatt darauf zu warten, bis diese eine Lärm-geschützte Immobilie findet und spendet?
7.
Vielleicht liegt der Sinn der ganzen Alternativszene in der Demo selbst. Was spricht eigentlich dagegen, diese Prozession einmal im Monat durchzuführen. Unter dem Applaus von Künstlern, Feiernden und Einwohnern? Als Fan-Leichnams-Prozession?
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