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Helmuth Schönauer
Der ORF muss schrumpfen!
Eine literarische Überreaktion

Auch wir Alten sind die Letzte Generation, zumindest was den ORF betrifft. Wenn uns die Kids angeklebt vorjammern, dass das Klima zu überhitzen droht und wir ihnen zu viele Autos und Altlasten hinterlassen, so lassen wir die Helden vom Zebrastreifen am besten eine Zeit lang ins Leere diskutieren, ehe wir ausholen und unsererseits zu jammern anfangen.

Ja, auch wir sind die Letzte Generation, sobald wir an den ORF erinnert werden. Wir leiden darunter, dass der ORF zu einem Selbstbedienungsladen aufgebläht worden ist, der sich auf ein Volksbegehren stützen kann, das mit dem Zauberwort unabhängig paradiesische Redaktionszustände ermöglichte.

Damit man auf nationaler Ebene unabhängig schalten und walten kann, hat man der plötzlich zurückgestutzten Politik kleine Parteisender zugestanden, in denen sie mit ihren Untergebenen fleißig kommunizieren können. Unter dem Titel Föderalismus bekam jeder Landeshauptmann sein persönliches Landesstudio. Er durfte sich in seiner eigenen Sendung austoben und hatte bei Personalfragen das letzte Wort.

Wenn allerdings ein Apparat so großzügig ausgelegt ist, kommt es irgendwann zum Punkt, wo man Luft aus dem Ballon lassen muss, soll er nicht platzen. Als plötzlich mehr passive Mitarbeiter als weiße Elefanten durch die Studios schlenderten, als an den Sendepulten aktive Sendemacher saßen, wurde es Zeit, den Sparstift anzusetzen.

Wie beim Klimaschutz heute spuckte man einfach neue Jahreszahlen aus, zu denen man eine gewisse Bilanzlage erreicht haben wollte. Insgeheim hofften alle, dass die weißen Elefanten mit ihren Sonderpensionen sterben würden, so wie wir heute hoffen, dass vielleicht die Menschheit vor uns ausstirbt, ehe drastische Einschränkungen und Naturgewalten auf uns niederstürzen.

Fakt ist: Im ORF ist jetzt die Bilanzlage kollabiert. Wir müssen Unsummen für die Sonderpensionen der ehemaligen journalistischen Entourage hinlegen und haben folglich kein Geld mehr, um den Sendebetrieb im bisherigen Ausmaß fortzuführen.

Der ORF muss also schrumpfen!

Ein Beispiel könnte er sich am Snack- und Smoothie-Handel nehmen, wo bei manchen Produkten einfach der Inhalt reduziert und die Verpackung aufgeblasen wird. Stichwort: Verfeinerte Rezeptur.

Für den Sanierungsfall ORF sollte das bedeuten, dass man die Landesstudios auflöst, der Immobilienerlös dürfte wahrscheinlich für die Sonderpensionen draufgehen und sich in Nichts auflösen.

Eine Mogelpackung für Gesundschrumpfen könnte auch darin bestehen, dass man jeweils drei Studios zusammenlegt, um die primitivsten Sendenotwendigkeiten abzuwickeln. Ein sogenannter Landes-Notfallsender würde dann 23 Stunden lang Herzensbrecher senden, wobei nichts moderiert wird. Die restliche Sendezeit bestünde aus gestückelten Landhausmeldungen, die stündlich abgestrahlt werden.

Um den vorgeschriebenen Anteil an Katastrophenschutz abzudecken, könnte man  jeden Samstag zu Mittag eine Sirene übertragen, wie man früher Kirchenglocken gesendet hat.

Für Tirol gäbe es einen leisen Verlust, der aber durch die Ausweitung der Sendung Herzensbrecher bei weitem aufgewogen wird. Echte Patrioten geben ja schon heute zu bedenken, dass man am besten patriotisch fühlt, wenn einem niemand dreinredet.

Verlust eins wäre freilich die Tatsache, dass der persönliche Referent des Landes-Felix nichts mehr zu senden hätte. Verlust zwei besteht im Wegfall des umtriebigen Happy Hippi aus Osttirol, der sein täglich Liedlein den letzten Vögeln im Walde vorsingen müsste, statt das ganze Bundesland damit zu quälen.
Verlust drei schließlich wäre die Frischluft, die vom Süden ins Land wehen könnte, weil nicht mehr das erbärmliche ORF-Sonderstudio Südtirol dazwischen funkt.

Die sozialen Brennpunkte Gendern und Femizid könnte Radio Freirad übernehmen. Die Themen Abtreibung und Sterbehilfe sind ohnehin schon längst an die ÖBB ausgelagert worden, die mit stündlichen Railjetverbindungen nach Ost und West garantieren, dass man nach Osten zur Abtreibung und nach Westen zum freigewählten Sterben gefahren wird.

Und das ewige Schifahren, mit dem das Landesstudio sein Publikum durch alle Jahreszeiten prügelt, kann elegant und wortlos dem Wetterpanorama hinzugefügt werden, das ja das eigentliche Highlight der journalistischen Tätigkeit in Tirol ist.

So liebe Letzte Generation, jetzt ist es heraußen, was uns Alte quält! Einen Vorteil gegenüber euch haben wir freilich: Wir müssen uns nicht selbst ankleben, das erledigt für uns die GIS, die uns an den ORF fesselt. Aus der Kirche kann man austreten, nicht aber aus dem ORF.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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