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Helmuth Schönauer
Zombie-Post
Stichpunkt

Ein Gedicht, das sich unterschreiben lässt, nennt sich Resolution. Es ist sprachlich sehr wertvoll, hat aber politisch keine Bedeutung. In pandemischen Zeiten sind Unmengen von Resolutionen unterwegs, die kreuz und quer herumgeschickt werden und dabei mutieren und immer ansteckender werden.

Die Resolutionen erreichen dabei die Schlagkraft von Kettenbriefen, und wenn jeder seinen Bekanntenkreis zugepostet hat, verpufft die Sinnhaftigkeit dieser Post mit einem einzigen Atemzug.

Das Wesen einer Resolution ist es nämlich, die Adressen von Freunden abzuklappern, um zu sehen, wer schon gestorben ist. Außerdem vermittelt eine Resolution Identität, ja manchmal sogar Corpsgeist, auch wenn dieses Wort nicht mehr ausgesprochen werden darf.

Besonders viele Resolutionen entstammen in jüngster Zeit der Verzweiflungs-Tastatur von Künstlern, die wieder einmal nichts zu beißen haben und reumütig jenen Staat um Hilfe angehen müssen, den sie eben noch verhöhnt haben.

Allmählich dämmert ihnen, dass sie keine Künstler sind, sondern Kulturarbeiter, Kunstbeamte oder bestenfalls künstlich aufgeblasene KMUS. Denn ein Künstler wäre ja frei von irdischen Dingen wie Arbeit, Lohn und Wohnung.

Der wichtigste Satz der Resolutionen lautet immer: Wir brauchen Planungssicherheit!

Nun haben wir in den letzten Jahrzehnten aber unter der Prämisse gelebt, dass die Bösen die Beamten sind, weil sie Planungssicherheit haben. Und die Guten sind natürlich die Künstler, weil sie frei sind und sich in jeder Sekunde ihres Lebens selbst verwirklichen.

Planung versus Selbstverwirklichung zerreißt oft die künstlerische Seele des Individuums.

In der allgemeinen Krise ist längst das Grundeinkommen durch die Hintertür herangeschlichen. Alle, die noch etwas vom freien Markt geflüstert haben, füllen jetzt tonnenweise Formulare aus, die eine Schwerkraft vom Bleisatz entwickeln, selbst wenn sie in Österreich digital verschickt werden

In den meisten Resolutionen ist auch die Rede von Aufsperren, Aufmachen, Loslegen.

Dabei wird allerdings nie erklärt, was man aufsperren soll. Die Halle, den Saal, das Foyer, ok. Aber man müsste auch ein Programm aufsperren. Und was soll in irgendeiner Einrichtung so toll sein, dass sich ein Kunstfreund in Maske unter ängstliche Zuschauer mischt, um ängstliche Künstler ihre Angstprogramme verwirklichen zu sehen?

In Tirol, wo ohnehin nur Felix gespielt wird, gibt es todsicher kein Stück, das so wertvoll wäre, dass man es aufsuchen sollte, um anschließend noch vor der Impfung zu sterben.

Aber den Künstlern geht es vielleicht gar nicht ums aufsperren, sie wollen mit diesen Resolutionen nur auf sich aufmerksam machen, dass man sie kurz als Favorit in die Suchmaschine eingibt, um später einmal an sie zu denken.

Jeder, der sich als Künstler fühlt, darf selbstverständlich eine Künstlerresolution unterschreiben. Eine Ausnahme sollte man aber aus Definitionsgründen machen: Wenn jemand sein Werk bereits zu Lebzeiten für viel Geld an ein Archiv verkauft hat, und dabei die Steuererleichterung des Nachlasses genossen hat, dann sollte man ihn für tot halten.

Wer seine Kisten schon im Brennerarchiv gebunkert hat, sollte besser nicht mehr durch die Gegend raunzen und die Lebenden in Schrecken versetzen, wenn seine Zombie-Hand aus dem Jenseits herausgreift und etwas Sinnloses unterschreibt.

Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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