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Helmuth Schönauer
Entkinderpornung
Stichpunkt

Manche Themen sind zeitlos, sodass man Artikel darüber ohne Datumsangabe schreiben kann. So werden in regelmäßigen Abständen Porno-Ringe ausgehoben, in der schlimmsten Form geht es dabei um Kinder.

Anschließend kommen wie die Finger einer Hand die fünf Maßnahmen zum Zug, die für alles abgerufen werden, was man als Gesellschaft nicht hinkriegt.

1. Wording
Manchmal hilft es, das Problem einfach umzubenennen, und schon fällt es aus der bisherigen Statistik und ermöglicht einen Neustart.

Endlich wird die verharmlosende Kinderpornografie, die bekanntlich Lust und Freiwilligkeit suggeriert, in das umbenannt, was das Verbrechen wirklich ist: Sexuelle Gewalt an Kindern.

Auch unter dem alten Namen haben freilich Insassen in Gefängnissen das Widerwärtige der Verbrechen erkannt. Die sogenannten Kinderschänder gelten seit Jahrzehnten als die Underdogs in der Gefängnishierarchie.

2. Strafverschärfung
Ungeachtet des bisher möglichen Strafrahmens bei der Verurteilung einer Straftat soll die Strafe jeweils verdoppelt werden, selbst wenn es schon lebenslänglich wäre.

In jüngster Zeit sind anlässlich der sexuellen Straftaten an Kindern tatsächlich wieder die Strafen erhöht worden, wenn auch nur um Monate.

3. vorauseilende Unterschrift
Wann immer eine Berufsgruppe sich an Verbrechen an Kindern beteiligt, sollen ab jetzt Neueintretende unterschreiben, dass sie die Kinder in Ruhe lassen.

Bei der Lehrerschaft sorgt eine Empfehlung des Unterrichtsministers für ziemliche Unruhe, wonach Unterrichtende unterschreiben sollen, dass sie sich Kindern keinesfalls sexuell nähern werden.

Bei Künstlernden, die diesen Erlass in manchen Branchen schon geschluckt haben, kommt erschwerend hinzu, dass sie überhaupt nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen.

Am besten sollte das auch für Lehrende gelten. Freilich ist dann ihr Auftritt sichtbar für die Wäsche, wenn sie ohne Kinder unterrichten sollen, damit „es“ nicht passiert. Denn auch das Homeoffice ist, pervers angesteuert, ein Paradies für Pornogucken.

4. In den Unterricht einbauen
Wenn etwas geschieht, was sich die Erwachsenen nicht erklären können, taucht sofort der Vorschlag auf, es in den Unterricht einzubauen, damit die Kids von klein auf lernen, was ein Nogo ist.

So sollen sie in der Schule lernen, wie man zu Hause gewaltfrei Konflikte löst, sie sollen lernen, wie nett die Demokratie sein kann, wenn man zur Wahl geht, auch wenn man nicht wahlberechtigt ist, sie sollen am Beispiel des Jausenbrots lernen, was gesunde Ernährung ist, auch wenn sie vielleicht gar keine Jause von Zuhause mitbekommen haben.

Im Falle der Gewalt an Kindern hieße das, dass man sich entsprechende Bilder gemeinsam anschaut um dann zu sagen:
– Gell lieber Bub, das machst du später nicht, auch wenn es dich noch so überkommt!
– Und gell Mädchen, du gehst sofort zur Polizei, wenn jemand von dem Ding zwischen den Beinen auch nur spricht.

5. Arbeit vor Ort
Früher einmal ist der Sparefroh an die Schule gekommen und hat die Kinder klassenweise abgeholt und vor Ort in die Sparkasse geführt, wo sie ihre Sparschweine zertrümmern durften. Mittlerweile ist es auch für viele Betriebe üblich, an die Schule zu gehen, um das schöne Wirtschaften vorzuzeigen und anschließend leckere Facharbeiter zu rekrutieren.

Kunsteinrichtungen, die ja permanent unter Besucherschwund leiden, infantilisieren fallweise das Programm ebenfalls und machen auf Kinderoper, Kinder-Slam-Poetry und oder Faust und Mephisto als Kasperl mit skandinavischer Gretl.

Der Vorschlag, am Vormittag für Heranreifende Puff-Besuche mit Leistungsschau zu inszenieren, wäre da nur naheliegend. Die Präventiv-Arbeit vor Ort funktioniert aber eben immer dann nicht, wenn sie pädagogisch unterfüttert ist.

Das Verbrechen ist nämlich das Überspringen der Grenze und nie dessen Inszenierung als Lehrstoff.

Bis die Gesellschaft ein Curriculum für die Bekämpfung von Verbrechen hat, sind die Verbrecher schon längst fertig mit ihrer Arbeit, sodass letztlich nur der Besuch eines Kriminalmuseums bleibt, wenn man die Kids davon abhalten will.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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