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Ronald Weinberger
Perry Rhodan oder frei von irdischen Fesseln
Über Science-Fiction
Essay

Kein anderes Literatur-Genre ist der Realität derart entrückt wie die Science-Fiction. Dies bietet Chancen für Autoren und Leser gleichermaßen: Erstere können ihrer Vorstellungskraft beinahe ungehindert freien Lauf lassen und letztere dürfen in Gedankenwelten eintauchen, die ob ihrer in der Regel schier unbegrenzten räumlichen/zeitlichen Weiten und Tiefen oft phantasieanregender und faszinierender sind als jede andere Literaturgattung es bieten kann.

Science-Fiction bedient keineswegs eine kleine Minderheit, wie man aus dem Filmbereich weiß, wo Kino-Kassenschlager wie Star Wars & Co. reüssieren und Film-Klassiker wie Stanley Kubricks 2001 – Odyssee im Weltraum Publikum wie Kritik ins Schwärmen brachten und bringen.

Eine exzeptionelle Rolle nehmen heutzutage die ersten beiden Folgen der Avatar-Reihe ein: Teil 1, Avatar – Aufbruch nach Pandora erwies sich als der erfolgreichste Film weltweit nach Einspielergebnis, und der Ende 2022 in die Kinos gekommene Teil 2, Avatar – The Way of Water scheint einen ähnlichen Erfolgsweg einzuschlagen.

Ich möchte mich freilich hier auf die Science-Fiction-Literatur beschränken und stütze mich dabei, in Teilen meiner Ausführungen, auf die ausführlichen Angaben und Beschreibungen unter dem Titel Science-Fiction in der deutschsprachigen Internet-Enzyklopädie Wikipedia, aus der ich freilich zum Zwecke textlicher Genügsamkeit nur ein paar mir wesentlich erscheinende Einzelheiten präsentieren möchte.


Von der Fiktion zur Science-Fiction

Menschen haben seit jeher einen Hang zu Fiktionen. Sie haben die Welt unterhalb unserer Füße und die oberhalb unserer Häupter mit einer Fülle herbeiphantasierter, häufig genug zudem simpel herbeigewünschter Wesenheiten bevölkert – und blickt man nur wenige Jahrhunderte zurück, so gehörten etwa in (nicht nur) unseren Breiten Schratte, Elfen, Wichtel, Nixen und Kobolde zum täglichen und nächtlichen Inventar der von uns bewohnten Welt.

Gott, Teufel, Engel et cetera nahmen dabei gar unbestrittene und unverrückbare Positionen ein. Anders ausgedrückt: Die reale Welt, deren Definition und Abgrenzung zur eingebildeten nicht wenigen von uns heute nicht schwerfällt, war einst unentwirrbar mit der fabulierten amalgamiert. Die um 1700 einsetzende Aufklärung trug entscheidend zum Aufkommen rationalen Denkens bei.

Apropos Blicke auf Jahrhunderte zurück, mit der Betonung auf diejenigen himmelwärts. Mondwesen und Mond- bzw. Erdreisen (mit wahrhaft phantastischen Reisemitteln) von Menschen und Lunariern, später Analoges in Bezug auf den Mars, spielten eine erhebliche Rolle in der allmählich sich in Richtung Science-Fiction entwickelnden Literatur.

Das von dem an der Universität Zürich tätigen Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft Philipp Theisohn verfasste, von mir inhaltlich und sprachlich als exzellent erachtete Buch mit dem Titel Einführung in die außerirdische Literatur (2022; Matthes & Seitz Berlin) erlaubt Einblicke in die nicht anders als üppig zu bezeichnenden seinerzeitigen literarischen Bemühungen, das (bewohnte) All und die Erdbewohner zu fassen und sozusagen unter einen Hut zu bringen.


Entwicklung der genuinen Science-Fiction

Science-Fiction als Begriff wurde erstmals 1851 vom britischen Dichter und Essayisten William Wilson eingeführt. Als Genre-Bezeichnung ist er ab 1929 etabliert. Science-Fiction entzieht sich, bis heute, einer klaren Definition, soll heißen Abgrenzung, zu verwandten Gebieten, wie utopische und dystopische Literatur, Horrorliteratur, fantastische Literatur und dergleichen. Eine gängige Kurzdefinition lautet:

Science-Fiction verschreibt sich den Auswirkungen der Technik auf den Menschen und deren utopisch-futurologischen Extrapolation.

Science-Fiction muss sich einer ständigen Aktualisierung eines Teiles ihrer Grundlagen, etwa technischer Provenienz, stellen. Wenn z. B. Pioniere wie Jules Verne und Herbert George Wells gigantische Kanonen oder absurd erscheinende dampfgetriebene mechanische Apparate zum Kern ihrer Werke machten, so erfinden heutige Autoren sozusagen ähnlich gewagte Apparaturen für Zwecke von Zeitreisen oder als Antriebssysteme. In anderen Worten: Science-Fiction ist auch ein Spiegel des Zeitgeistes und der Themen, die zum Zeitpunkt der Entstehung der Romane die Öffentlichkeit bewegen.

Das bringt mich zu modernen Technologien als Zukunftsvisionen der Science-Fiction, die zum Teil heute schon Realität sind. Diese sind, in Schlagworten: Künstliche Intelligenz, Roboter, Raumfahrt (allerdings überlichtschnelle, interstellare), Gedankenlesen, Zeitreisen, Außerirdische und Unsterblichkeit.

Es wird nicht selten harte von weicher Science-Fiction unterschieden. Erstere, die hard SF ist durch wissenschaftliche Genauigkeit und dazugehörige Details geprägt. Im Mittelpunkt stehen die Naturwissenschaften, vor allem Astronomie, Physik oder Gentechnologie sowie technische Fortschritte, freilich alles phantasievoll extrapoliert.

Zweitere, die soft SF, befasst sich mehr mit philosophischen, psychologischen, politischen und gesellschaftlichen Themen. Hierfür dienen folglich die Geisteswissenschaften als Grundlage.


Zur Geschichte der genuinen Science-Fiction

Obwohl etliche Autoren die Parodie namens Wahre Geschichten von Lukian von Samosata aus dem 2. Jahrhundert als erstes Werk des Genres ansehen, da hierin Merkmale wie Mond- und Planetenreisen, extraterrestrische Bewohner und künstliches Leben vorkommen, hat in Europa die Zeit der eigentlichen Science-Fiction erst im 19. Jahrhundert begonnen.

Hier wären vor allem die von mir bereits genannten Jules Verne und H. G. Wells zu nennen. Bekannt gewordene, da viel gelesene deutschsprachige Vertreter waren unter anderen der Breslauer Mathematiker und Physiker Kurd Laßwitz, der 1910 verstarb, und später der in Zwickau geborene und im Jahre 1945 verstorbene Wissenschaftsjournalist und Ingenieur Hans Dominik.

Um und vor allem nach dem 2. Weltkrieg kam es vor allem in den USA zu einem enormen Aufschwung der Science-Fiction-Literatur. In der englischsprachigen SF-Literatur kam es zum Aufstieg von Schriftsteller-Stars, wie des russisch-amerikanischen Biochemikers Isaac Asimov, des britischen Physikers Arthur C. Clarke und des amerikanischen Marineoffiziers Robert Heinlein.

Spricht man von Europa, so darf der in Medizin ausgebildete Stanislaus Lem keineswegs fehlen; die Werke dieses 2006 verstorbenen Polen wurden in 57 Sprachen übersetzt und mehr als 45 Millionen Mal verkauft! Er zählt damit zu den meist-gelesenen Science-Fiction-Autoren überhaupt. Auf über 20 Millionen Verkäufe (!) brachte es der 1957 entstandene Roman Andromedanebel des russischen Paläontologen Iwan Antonowitsch Jefremow.

Lassen wir es nun aber bei der Aufzählung von Science-Fiction-Autoren bewenden, von denen eine erhebliche Anzahl noch leben und registrieren: Es sind fast ausnahmslos schriftstellernde Akademiker, die das Science-Fiction-Literaturgenre zur Blüte brachten und bringen.


Ein erstaunlicher Rekordhalter

Ich komme jetzt zu einem Superlativ in der Science-Fiction-Literatur, nämlich zu einem Werk, das – würde es in Buchform vorhanden sein – sich offenbar unaufhaltsam einer Gesamtseitenanzahl von 200.000 nähert. Ich meine die seit dem 8. September 1961 ununterbrochen, Woche für Woche erscheinende Heft-Serie namens Perry Rhodan.

Mit über einer Milliarde verkaufter Hefte wurde sie zur erfolgreichsten Heftroman-Serie der Welt und zum ältesten, meistgelesenen und langlebigsten Produkt der deutschen Literatur nach dem 2. Weltkrieg. Einer der Autoren dieser Serie (A. Eschbach) machte darauf aufmerksam, dass sie sogar die längste fortlaufende Erzählung der Literaturgeschichte sei.

Ein von damals bis heute gänzlich in sich stimmiges, inhaltlich und zeitlich evolvierendes Werk, das offenkundig derart spannend gehalten ist und sich nicht selten auf erstaunlich hohem sprachlichen Niveau befindet, sodass es gegenwärtig jede Woche in einer Druckauflage von circa 60.000 Exemplaren erscheint und folglich eine mehr als 60.000 Individuen zählende Leserschaft jeglichen Alters anspricht.

Darunter sind nicht wenige Leser, bei denen in der Jugend durch solche Phantasiewelten Berufswünsche geweckt und eventuell sogar realisiert wurden; soll heißen, eine Anzahl von Angehörigen diverser Fachrichtungen mit mehr oder minder Weltallbezug sind auf die Sehnsüchte und Erwartungen, die diese Serie zu erwecken vermochte, zurückzuführen. Zu letzteren zählt auch der Schreiber dieser Zeilen, mit seinem ab 1967 erfolgten Studium der Astronomie samt Nebenfach Physik an der Universität Wien und dem dann beruflichen Lebensweg als Fachastronom vor allem an der Universität Innsbruck.

Es würde zu weit führen, den ausladenden und höchst komplexen Inhalt dieser Perry-Rhodan-Serie in auch nur einigermaßen angemessener Kürze skizzieren zu wollen. Interessenten an Entstehungsgeschichte, laufendem Inhalt, Autoren, Kritiken, den vielen Spin-Offs in Form von Büchern usw. werden dafür auf den umfangreichen Wikipedia-Artikel Perry Rhodan verwiesen.

Und sollten Sie jetzt ein leises Sehnen verspüren, ein aktuelles Perry-Rhodan-Heft mit seinem stets auffälligen Titelbild mal näher in Augenschein zu nehmen … Kein Problem! In mit Lesestoff gut bestückten Trafiken oder an größeren Bahnhöfen werden Sie in aller Regel jeweils ab Freitag fündig werden. Ab 03.03.2023 ist Heft 3211 mit dem Titel Hüter der Schönheit, verfasst von Verena Themsen und Robert Corvus, erhältlich.

Auf in’s All – auch wenn es nur ein herbeiphantasiertes ist!


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Ronald Weinberger

Ronald Weinberger, Astronom und Schriftsteller, 1948 im oberösterreichischen Bad Schallerbach geboren, war von 1973 bis 1976 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Von 1977 bis zum Pensionsantritt im Dezember 2011 war Weinberger an der Universität Innsbruck am Institut für Astronomie (heute Institut für Astro- und Teilchenphysik) als Fachastronom tätig. Als Schriftsteller verfasst Weinberger humorvolle Kurzgedichte und Aphorismen, aber auch mehrere Sachbücher hat er in seinem literarischen Gepäck: Seine beiden letzten Bücher erschienen 2022 im Verlag Hannes Hofinger, im Februar das mit schrägem Humor punktende Werk "Irrlichternde Gedichte" und im September das Sachbuch „Die Astronomie und der liebe Gott“ mit dem ironischen, aber womöglich zutreffenden, Untertitel „Sündige Gedanken eines vormaligen Naturwissenschaftlers“.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Bernhard Augustin

    Vielen Dank für den Kommentar zu diesem Genre der Literatur. Ich finde solche Literatur wichtig und anregend für eine gute Sicht des Menschen auf die Wirklichkeit in ihrer Fülle.

  2. Margit Jordan

    Solange Science Fiction sich in Fantasiewelten ausbreitet und nicht in realen Eroberungs-Raub-zügen endet, ist es bewundernswert, was Wissenschaft und Technik alles entwickelt und erfindet.
    Es ist erfreulich, dass der Autor Ronald Weinberger mit seinem Text auf weitere Science Fiction-Literatur gekonnt neugierig macht. Schon sein Vortrag im Turmbund weckte reges Interesse und hat in einer lebhaften Diskussion Grenzen und Gefahren der Technik aufgezeigt, die leider auch in Kriegen menschenverachtend und die Menschheit bedrohend eingesetzt wird.

  3. c. h. huber

    wunderschön, wenn literatur, egal welcher art, zu einem so interessanten und erfolgreichen beruflichen lebensweg führt – gratulation!

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