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Helmuth Schönauer bespricht:
TALON 32
Kulturgeschichte der Spielkarten und Kartenspiele
Herausgegeben von
Wolfgang Altfahrt und Rainer Buland

Unter einem Heuhaufen von digitalen Versprechungen, Stock-Bildern und Werbebotschaften ist ab und zu ein Schatz verborgen: Ein analoges Bilderbuch: Es ist nicht für die Masse, sondern für Vereinsmitglieder und Freunde von regionalen Kleinodien gedacht.

Der Verlag Hofinger ist Spezialist beim Aufspüren dieser Kleinodien. In seinem Verlagsprogramm kommen regionale Künste und Kunsthandwerke zur Sprache, deren sich die wissenschaftliche Forschung nur selten annimmt. In einer vagen Beschreibung könnte man von einem gedruckten Regio-Wiki sprechen, das mehrmals im Jahr an die Öffentlichkeit gebracht wird.

Seit einem Jahrzehnt publiziert der Verlag das Jahrbuch des Vereins TALON, dabei handelt es sich um einen österreichisch-ungarischen Spielkartenverein mit den Hauptsitzen in Wien / Budapest / Salzburg.

Die Bezeichnung Talon könnte man als Nichtkartenspieler als magisches Genre nehmen, worin für ein Spiel ein Satz Karten, Steine oder Vouchers ausgegeben wird. Der Talon wird dadurch zu einem literarischen Gefäß, aus dem sich Eingeweihte bedienen dürfen.

In der konkreten Anwendung als Fachzeitschrift geht es um frisch aufgetauchte Schweizer Whist Karten, bei denen die Urheberfrage nicht geklärt ist. Spielkarten sind Kunstwerke mit offenem Urheberrecht, weshalb sogenannte Spielkartenfabriken ein umfangreiches Archiv führen, um die Erscheinungsformen diverser Spielkarten über Jahrhunderte hinweg zu dokumentieren.

Im Beitrag über Ikonographie von Sammelkarten geht es um die Ästhetik sowohl von einzelnen Spielkarten, als auch um ihren Kontext in einem Talon. Wie Kapitel während eines Romans miteinander korrespondieren, tun dies auch einzelne Spielkarten im Talon.

Regionale Highlights werden in Graz und Klagenfurt aufgesucht, wo es eine besonders starke Sammeltätigkeit für selten publizierte Exemplare gibt.

Ein bislang unbekanntes Patience-Spiel und Karten aus dem 1. Weltkrieg für ein Soldaten-Tarock fügen sich logisch in den bislang vorhandenen Forschungsstrang ein, der sich etwa generell mit der Geschichte des Jassens oder dem Firmenporträt einer Kartenfabrik beschäftigt.

Das Bildmaterial ist breit ausgelegt, sodass der Eindruck von erhabenen Kunstwerken für den Spieltrieb entsteht. Üblicherweise bekommt man die Spielkarten nämlich nur als rasche Bildfolge in den Blick, wenn Karten ausgespielt und schnell wieder eingesammelt werden. Als Komposition in der Hand sieht man zudem nur Teile einer Spielkarte, denn niemand kann es sich leisten, ein Set statt als Handfächer etwa wie ein Leporello in der Hand zu halten, nur um die Kartenmotive bestaunen zu können.

Nicht nur das Bildmaterial zwingt zur Verlangsamung, auch der Disput über Spielkarten und Kartenspiele hat eine gewisse Bedächtigkeit, wenn die Raritäten einzeln erforscht und im Verein auf den Tisch gelegt werden.

Im Vorwort erläutert Rainer Buland aus Salzburg den Wert von Privatsammlungen und daraus entstehender Forschung. Dabei entsteht ein Kommunikationsstil, der den wissenschaftlichen Succus mit der Liebenswürdigkeit des Vereinslebens kombiniert. 

TALON ist für Vereinsmitglieder ein intimer Kalender mit sehenswerten Motiven, für Vereinsgäste eine Einladung, in den Fundus jeweiliger Regionalgeschichte einzutreten. Und wie schon der Untertitel österreichisch-ungarisch sagt, ist die Region für diese Beforschung genügend groß, um darin Thesen und Interferenzen ins Spiel zu bringen.

Im Vorwort wird ein gewisser Klaus Reisinger zitiert, der ein sechsbändiges Werk Tarocke herausgebracht hat.

Klaus Reisinger: Tarocke. Kulturgeschichte auf Kartenbildern. Österreich unter den Habsburgern, Kaiserreich Österreich, Österreich-Ungarische Monarchie, Erste Republik, Österreich unter dem Nationalsozialismus, Zweite Republik. 6 Bände. Eigenverlag, Wien 1996 ff., ISBN 3-9500025-1-0.

Dieses Mammutwerk wird nach dem Tod des Tarock-Forschers 2006 unverblümt und spielerisch fortgeführt. Das Jahrbuch TALON lässt sich daher auch als x-ter Band einer Kulturgeschichte der Spielkarten lesen.

Alle Sinne werden befriedigt, dennoch sagt ein echter Tarockaner: Nur selber spielen ist noch schöner.

TALON 32. – Kulturgeschichte der Spielkarten und Kartenspiele.
Jahrbuch des Vereins TALON auf das Jahr 2023. Farbige Abbildungen.Herausgegeben von Wolfgang Altfahrt und Rainer Buland.
St. Johann: Verlag Hannes Hofinger 2023. 288 Seiten. EUR 29,90. ISBN 978-3-9505074-6-1.

Der TALON – österreichisch-ungarischer Spielkartenverein Wien/Budapest ist eine internationale Vereinigung, die sich für Spielkarten, ihre Geschichte, Herstellung, Ikonographie und Verwendung (Kartenspiele) interessiert. Der Schwerpunkt liegt auf dem ehemaligen Gebiet von Österreich-Ungarn.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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