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Helmuth Schönauer bespricht:
Stefan Verra
Körpersprache gendert nicht.
Weibliche und männliche Signale verstehen
und Erfolgsfaktoren gezielt einsetzen.

Wie weit darf ich als Mann im Bus die Beine spreizen, ehe ich von Mitfahrenden wegen sexueller Belästigung angezeigt werde? – Diese Frage ist nicht so sehr wegen des Inhalts bemerkenswert, sondern wegen der Überlegung, wer sie beantworten könnte.

Stefan Verra ist die erste Adresse, wenn es um Kunst, Kommunikation und politische Strategie rund um den Körper geht. Die sogenannte Körpersprache ist nämlich älter als die gesprochenen Sprachen, daher ist sie mehr oder weniger überall verständlich, noch ehe jemand den Mund aufgemacht hat.

Der Körpersprachen-Autor ist weit mehr als ein bloßer Berater oder Coach, der öffentliche Anliegen oder Personen betreut. Die vorgestellten Überlegungen probiert er stets am eigenen Körper aus, sodass sein Tun teilweise dem eines Schau-Künstlers entspricht, der mit dem Stilmittel Körperhaltung die diversen Botschaften unterlegt.

Neben dem künstlerischen Aspekt sollte man den öffentlichen, wenn nicht gar politischen Charakter seiner Überlegungen hervorheben. Seine Kunst wird ja zwischendurch selbst zur Hauptaussage jener Personen, die sich von ihm Tipps geben lassen.

Und drittens ist Stefan Verra ein Unterhaltungskünstler. Wenn man ihn bucht, hat man auf jeden Fall fröhliche Stunden in Aussicht, egal wie heftig das vorgestellte Programm anschließend vom Publikum angewendet wird.

Zur Unterhaltungskraft gehört auch der Hinweis auf die exzellente mündliche Sprachführung des Autors, der dem Mundartgebiet des Osttirolerischen entstammt, das nicht gerade als Reservat für gute Redner gilt.

Die Verra-Bücher lassen sich am ehesten mit gedruckten Kabarettprogrammen vergleichen, sie machen Lust auf ein Bildungshappening und ermöglichen gerade durch die didaktischen Lehrbilder eine Art Vorglühen in Sachen Körpersprache.

Der erste Absatz ist als literarischer Taser angelegt: In Bachelor-Methode wird nämlich ein Satz durchgegendert, erst dann kommt die Vernunft zum Zug. Obwohl die Sprache natürlich auf die Thematik Geschlecht eingehen soll, ist der Umgang im schriftlichen Gebrauch noch nicht so weit, dass er ein durchgegendertes Textbild vertrüge.

Das Lektürepublikum ist nämlich nicht auf Sternchen hin ausgebildet, und man kann nicht zwei Sachen gleichzeitig machen: Lesen lernen mit Sternchen und Lesen über Körpersprache. Daher ist das Buch ohne Gender-Sonderzeichen geschrieben.

Im Schlusskapitel wird diese These zur Hauptaussage ausgepackt. Man soll sich nie mehr als einen Rucksack umschnallen! – Auf das Thema bezogen heißt es, entweder du genderst einen Text, um zu zeigen, was alles gegendert werden kann (die meisten Arbeiten an der Uni halten sich an dieses Diktum), oder du vermittelst einen Inhalt.

Für die Körpersprache bedeutet der Rucksack: Entweder du nimmst jenen, der für die Anmache entwickelt ist, oder jenen für die Arbeitswelt. – Mischen geht garantiert schief.

Der dramaturgische Verlauf des Programms hält sich an Überlegungen wie:
– Gibt es überhaupt Unterschiede der Körpersprache zwischen den Geschlechtern?
– Warum geht es versteckt immer um Anmache und Fortpflanzung?
– Welchen Grundprinzipien folgen männlich und weiblich in Bezug auf Körpersprache?

Die unterhaltsamen Fallbeispiele berichten von einer Bar zu Zeiten der Neandertaler, wo wenig Zeit ist, sich mit Paarungsvorbereitungen herumzuschlagen. Die Körpersignale dienen der Beschleunigung des Vorgangs, so dass dieser womöglich noch am gleichen Tag abgeschlossen werden kann.

Als Gutachter bei Gericht hat der Autor Einblicke in die diversen Verrenkungen und Körperübungen, welche das Justizpersonal an sich verrichtet, ehe es in den neutralen Talar schlüpft.

Eine Geräuschprobe aus dem Fitnessraum zeigt die Präferenzen der Geschlechter: Während Männer grundsätzlich grunzen, wenn sie eine Hantel sehen, verfallen Frauen in einen hohen Ton, der als Achtung, herschauen! gedeutet werden kann.

Problematisch wird es mit der Körpersprache meist im Bereich der Arbeitswelt, wenn die Anbahnungs- und Achtungssignale vermischt werden. Für die saubere Trennung dieser beiden aufreizenden Lebenswelten wird Viktor Frankl zitiert: Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt die Macht unserer Wahl. (107) Schon bei den Neandertalern gehorcht dieser Raum der Überlegung: Er wirbt, sie entscheidet. (51)

Die Praktikabilität dieser Strategien wird mit einer Unmenge an Beobachtungen verdeutlicht. Man beachte, wie sich Männer und Frauen einen Pullover ausziehen, wie Silberrücken einen Grillabend veranstalten, um letztlich zu zeigen, dass sie allein sein wollen. Wie Männer die Mimik von Filmhelden nachahmen, ohne zu bedenken, dass man selbst immer der einzige im Raum ist, der die eigene Mimik nicht sieht. Wie Frauen ein Täschchen tragen, hat Auswirkungen auf ihre Haltung, wenn sie auf den Tisch hauen.

Die Schaubilder zeigen es: Hier wird sauber vorgeführt, was jeder von uns unreflektiert schon ein Leben lang macht.

Hinter diesen Schaubildern steckt auch die heftige Botschaft des Autors: Trotz aller Digitalisierung und künstlichen Intelligenz sind die Knackpunkte einer Biographie immer noch analog gestaltet: Paarung, Karriere, Einsamkeit, Tod.

Wer sein eigenes Leben halbwegs begreifen will, muss es analog in die Hand nehmen. Dazu gehört auch die Reflexion der eigenen Körpersprache.

Manche Erkenntnisse sind so logisch, dass man fast erschrickt, wie einfach sie formuliert sind. Wir nehmen die Menschen analog zuerst in Umrissen wahr, während wir ihnen digital gleich ins Gesicht fahren.

Die Eingangsfrage vom breit sitzenden Mann beantwortet Stefan Verra beinahe flehentlich: Diese gespreizten Beine sind das Grausigste, was ein Mann verströmen kann. Bitte Männer, klemmt die Beine etwas zusammen, nur so kann eine vernünftige Kommunikation entstehen!

Stefan Verra: Körpersprache gendert nicht. Weibliche und männliche Signale verstehen – und Erfolgsfaktoren gezielt einsetzen. 80 Abbildungen.
München: Ariston 2023. 221 Seiten. EUR 20,60. ISBN 978-3-424-20271-7.
Stefan Verra, geb. 1973 in Lienz, ist einer der gefragtesten Körpersprache-Experten in Europa.


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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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