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Helmuth Schönauer
Geniale Geschäftsmodelle
Stichpunkt

Wenn man nicht selbst davon betroffen ist, bietet das Gericht stets gepflegte Unterhaltung auf hohem Niveau. Zudem ist jede Verhandlung eine Art Dübel, an dem die Verfassung einschließlich der Gesetzestafeln aufgehängt ist.

In der Alltagspraxis schauen Gerichtskiebitze eher beim Strafrecht vorbei, wenn sie etwas über niedere Instinkte, ungesteuerte Emotionen und eruptive Hormonlagen erfahren wollen. Wer unter Einsatz des eigenen Intellekts allerdings etwas über die Geschäfte der Zeitgenossen erfahren will, trägt seine Zuhörer-Ohren eher in den Verhandlungssaal der Arbeits- und Zivilgerichte.

Für Laien in der Arbeitswelt (= Rentner) ergeben sich zwischendurch interessante Geschäftsmodelle, wie man zu Ansehen und Kohle kommt, ohne etwas Besonderes dafür zu leisten.

Hier drei bemerkenswerte Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft:


1. Gesichts-Marke

Im Welt-Ort Ischgl gilt für alles der Weltmaßstab. Ein Gerichtsurteil, das diesen Fremdenverkehrsort berührt, hat Auswirkungen auf die Rechtsprechung in der ganzen Welt.

Im Zusammenhang mit dem Ausbruch von COVID steht kurzfristig der Verdacht im Raum, jemand habe bei der Evakuierung des Tales etwas falsch gemacht.
Aber wie die Beteiligten richtigerweise immer schon betont haben, hat niemand etwas falsch gemacht. Alles war und ist rechtens.

Als Kollateralschaden musste freilich der Chef der Ischgl-Werbung den Hut nehmen, weil man sich ein paar Tage lang ein neues Image verpassen wollte.

Denkste!

Nicht nur, dass der Ort die Ischgl-Marke weiterfährt wie immer, der Freigesetzte konnte nachweisen, dass sein Gesicht die Ischgl-Marke ist. Mit einer solchen Marke im Gesicht könne er nirgendwo mehr Arbeit finden, weshalb er seine Wiedereinstellung verlangt. Das Gericht gibt ihm in erster Instanz Recht, er muss wieder verwendet werden.

Jetzt steht die Ischgl-Marke vor einer Belastungsprobe. Was tun mit dem fälschlicherweise Freigesetzten? Und wie kann man vermeiden, dass das nächste Gesicht zu einer Marke wird? Um Zeit und Rat zu gewinnen, ist man vorerst einmal in Berufung gegangen.

Für alle, die in der Öffentlichkeitsarbeit, Werbung oder im Marketing arbeiten, ergibt sich daraus eine neue Art von Karriereplanung.

Du musst nur dein Gesicht in die entsprechende Marke verwandeln, und schon kannst du nirgendwo sonst mehr anheuern und musst ein Arbeitsleben lang vom Inhaber der Marke ausgehalten werden.

Apropos: Angeblich sind andere Berufsgruppen deshalb pragmatisiert und lebenslang vor falscher Arbeit geschützt, weil sie mit einem Polizei-, Hofrats- oder Lehrergesicht außerhalb ihres Gesichtsfeldes tatsächlich nirgendwo sonst mehr anheuern könnten.


2. Hinauf-Mobben

Im Ringen um die Zukunft des ORF und der Printmedien gibt es anonymisiert immer wieder Kleinnachrichten aus der Mobbing-Szene, worin die eine oder andere Seite schlecht gemacht werden soll.

Tatsächlich ist Mobbing ein Vergehen, das gerichtlich verfolgt werden kann. Die Schwierigkeit ist freilich die Beschreibung des Tatbestands, denn das macht ja die Schärfe von Mobbing aus, dass es nicht wirklich greifbar ist.

Ein Printmedium berichtet jedenfalls von einem Mobbing-Vorfall im Führungsbereich des ORF, der über ein Arbeitsgericht abgewickelt werden musste.

Eine leitende Person wurde gemobbt, vom Leitungsposten entfernt, klagte, bekam Recht und muss jetzt wieder auf einen Leitungsposten gesetzt werden. Da dieser aber schon besetzt ist, muss ein neuer Leitungsposten geschaffen werden. Der ORF bekommt also unter gerichtlicher Auflage einen zusätzlichen Weißen Elefanten.

Böse Zungen behaupten, dass dieses Modell im ORF schon seit Jahrzehnten üblich ist, um alle unterzubringen, die es wollen.

Für einen Leitungsposten in der realen Arbeitswelt ist es also interessant zu wissen: Du musst dich zuerst strategisch mobben lassen, damit du dann deinen Traumposten kriegst, auch wenn du dafür nicht geeignet bist.


3. Direktorinnen-Klonung

Im Zuge der Neubesetzung diverser Kultur-Posten ist auch die Direktion des Tiroler Landestheaters endlich weiblich geworden. Die Pressekonferenz der neuen Direktorin macht neugierig auf die nächste Spielzeit, überall wimmelt es von Glückwünschen und gutem Willen. Eine Kleinigkeit erschien anderntags in der Presse unter der Formulierung: Mehr Direktorinnen um das gleiche Geld.

Ja genau, die Leitung besteht jetzt aus lauter Frauen, die Direktorin genannt werden, egal, was sie in welcher Sparte machen. Aus der Praxis der öffentlichen Verwaltung kennen wir das vom Hofrätetum: Alle werden im Laufe der Zeit Hofrätinnen und Hofräte.

Und hier sitzt der Trick: Zuerst ist der Titel gratis, und wer sich als Publikum aufregt, wird abgewimmelt.
– Geh lass doch dem armen Buam seinen Hofrat!

Später dann wird das Geld zum Titel arbeitsrechtlich eingeklagt.
– Wer Hofrat ist, muss auch als solcher entlohnt werden!

Der erfahrene Glossist getraut sich zu wetten, dass im Tiroler Landestheater die Direktorinnen ab Herbst der Reihe nach ihre Titel einklagen werden. Das Klonen von Direktoren und Direktorinnen führt unbarmherzig zu Aufschlagszahlungen, ob wir nun das dargebotene Theater mögen oder nicht.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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