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Helmuth Schönauer
Der Hypo-Roman jubiliert im Archiv.
Stichpunkt

Das beste – weil unauffälligste – Projekt der Tiroler Literaturgeschichte feiert zehnten Geburtstag.

Rund um das Jahr 2013 herum war die griechisch wirkende Wortbildung Hypo bis in das kleinste Kaff Europas vorgedrungen, folglich gab es auch in Tirol Menschen, die den Ausdruck schon einmal gehört hatten.

Gerade war das Desaster der Hypo-Bank in Kärnten in aller Munde, das Wort war ein semantisches Schrapnell, das durch alle journalistischen Texte hindurchzischte. Und auch in Tirol löste das Wort Hypo eher ein Reißen um die Mundwinkel aus, als dass man hätte schmunzeln mögen. Eine missglückte Fusion zwischen Hypo Tirol und Südtiroler Sparkasse sollte schnell aus dem aktiven Wortschatz der jeweiligen Provinzzeitungen gelöscht werden.

Solche Zustände rund um ein Unwort bedeuten in der Literatur, dass es höchste Zeit ist, ein Projekt zu starten, wenn nicht gar einen Roman. Zehn Tiroler Autorinnen erklärten sich daher um 2013 bereit, jeweils einen Hypo-Roman zu verfassen. Die Hypo-Bank spendierte Präsentation und Aufwandsentschädigung für Recherchen, Strom beim Tippen und Suche nach einem Verlag. Die Uni-Bibliothek erklärte sich bereit, die zehn Romane für spontan Lesende zu promoten und für die Ewigkeit zu archivieren.

Die Spielregel für den Hypo-Roman lautete, es müsse etwas mit Geld darin vorkommen. Außerdem sollte die ur-typische Bedeutung des Wortes hypo erzähltechnisch berücksichtigt werden.

hypo war demnach etwas,
– was unter dem Text steckt,
– was auf eine gesellschaftliche Unterzuckerung reagieren möchte im Sinne von Hypoglykämie,
– oder was als Text überirdisch gut ist (hypo-geil)!

Aus dieser leisen Anregung heraus entstanden schließlich zehn formidable Romane, die in hypo-kleinen Verlagen publiziert werden konnten.

Kanon des Hypo-Romans

1. Otto Licha: Sieben: Hypo-Roman.
Rezension: https://lesen.tibs.at/content/erwachsene/otto-licha-sieben

2. Michael Stark: Derivat swap: Hypo-Roman.
Rezension: http://media.obvsg.at/AC11032574-3301

3. Christian Kössler: Tiroler Sensenmann-Blues: Hypo-Roman.
Rezension: http://media.obvsg.at/AC11037992-3301

4. Daniel Suckert: Kommissar Prohaska: Geldstadt Innsbruck : Hypo-Roman.
Rezension: https://lesen.tibs.at/content/erwachsene/daniel-suckert-kommissar-prohaska-geldstadt-innsbruck

5. Martin Kolozs: Lucky man, very lucky : nach wahren Begebenheiten ; Hypo-Roman.
Rezension: https://lesen.tibs.at/index.php/content/erwachsene/martin-kolozs-lucky-man-very-lucky

6. Peter Teyml: Dreiheiligen : Hypo-Roman.
Rezension: http://media.obvsg.at/AC12071463-3301

7. Margit Kröll: Zufallsopfer : Hypo-Roman.
Rezension: https://lesen.tibs.at/index.php/content/erwachsene/margit-kr%C3%B6ll-zufallsopfer

8. Erika und Nora Wimmer: Geldspiel ohne Ende : Hypo-Roman.
Rezension: https://lesen.tibs.at/content/erwachsene/erika-und-nora-wimmer-geldspiel-ohne-ende

9. Max von Gutleben (= Elias Schneitter): Solange noch Blätter an den Bäumen sind, wird der Schnee nicht liegen bleiben. Hypo-Roman.
Rezension: https://lesen.tibs.at/content/erwachsene/max-von-gutleben-solange-noch-bl%C3%A4tter-auf-den-b%C3%A4umen-sind-%E2%80%A6

10. Wolfgang Nöckler: Nicht mal ein Fernzug : Hypo-Roman.
Rezension: http://media.obvsg.at/AC12208291-3301


Unsterblichkeit

Mittlerweile ist der Hypo-Begriff abgekühlt, niemand denkt mehr dabei an ein Desaster im Bankwesen. Selbst die Bestellung eines neuen Hypo-Vorstands geht glatt über die Bühne, wie dieser Tage zu lesen ist. Das einzig Aufregende: Es ist eine Frau an Bord des Vorstands!

Die Romane haben sich als Solitäre tapfer geschlagen, sind fallweise rezensiert und zitiert worden, und bildeten die Grundlage für manchen literarischen Abend. Mittlerweile löst die Uni-Bibliothek ihr Versprechen ein und archiviert sie artig.

Fallweise piepst es in ihrem Katalog, wenn ein Jubiläum ansteht, so wie jetzt. – Der Hypo-Roman ist zehn Jahre alt!

Den damaligen Hypo-Direktor Markus Jochum konnte ich mit zwei Behauptungen dazu überreden, das Projekt tapfer durchzuhalten.

– Einmal durch das Versprechen, dass von seinem Banker-Wirken nichts anderes bleiben werde als das Hypo-Projekt.
(Ist eingetreten.)

– Zum anderen durch das Zitieren einer Schweizer Privatbank: Wir investieren nicht in den Konjunktiv. (Ist ebenfalls eingetreten, indem eher eine Schweizer Großbank Konkurs geht als die Kraft des Konjunktivs in der Literatur.)

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. c. h. huber

    schade, dass man damals keine kurzgeschichten oder gedichtbände zum hypo-buch machen durfte und ich noch keinen roman hatte. aber so ist das leben!

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