Print Friendly, PDF & Email

Helmuth Schönauer bespricht:
Simone Dark
Verspieltes Glück
Der Bozen-Krimi
Das Buch zum Film

Krimis sind im Literaturbetrieb das, was in der Landwirtschaft die Massentierhaltung ist. Ein aus den Fugen geratenes Genre, das ähnlich dem berühmten Tanker schwer steuerbar ist und lange Vorlaufzeiten braucht, um Missstände abzustellen.

Längst nämlich sind Krimis in allen Medien verankert und machen darin einen Großteil des Angebots aus. Das Fernsehen etwa besteht an manchen Tagen bloß aus Kriegsberichterstattung und Krimis, was bewirkt, dass immer mehr Menschen beiden Kas aus dem Weg gehen.

Die Krimis, die wir jetzt am Bildschirm und in den Regalen aushalten müssen, sind noch vor der Pandemie in Auftrag gegeben worden und haben sich offensichtlich nicht mehr stoppen lassen. Und jetzt, mitten im Krieg, wirken diese Recherchen und Witze um aufwändig drapierte Leichen wie eine Verhöhnung all jener Menschen, die im echten Krieg echt ums Leben kommen.

Wenn in diesen Tagen viel von Moral und Sanktionen die Rede ist, so muss man den Buchhandlungen, Verlagen und Autorinnen zurufen: Hört auf mit diesen sinnentleerten Wortspielereien, die sich durch die Hintertür in die Literatur eingeschlichen haben und so tun, als wäre das eine ernsthafte Kunst!

Nach dieser Einleitung muss der Rezensent ausnahmsweise seine Emotion an den Beginn seiner Lektüreerfahrung setzen.

„Oh je, ein Bozen-Krimi, das ist wahrlich kein Genuss. Was soll dieses Leichen-Spiel? Und für Autorinnen, die als Zulieferer fungieren, ist es wohl eine schwache Ausrede, wenn sie vorgeben, deshalb Krimis zu schreiben, um darin den Macho-Kult der Männer zu karikieren. Und für den Bozen-Krimi gilt: Deshalb hat man sich also in der Autonomie die Zweisprachigkeit erkämpft, um später beide Sprachgruppen mit einem solchen Flach-Text unter jedem intellektuellen Niveau zu halten!“

Simone Dark muss anlässlich des Systems „Bozen-Krimi“ alle persönlichen Empfindungen über Bord werfen und tapfer das vorgegebene Drehbuch über neunzig Minuten ausfüllen, wie man früher als Serienschreiber in den Jerry-Cotton-Heften die Matrix über sechzig Seiten ausfüllen musste.

Für Massenware haben weder Tierärzte Zeit, um eine ordentliche Fleischbeschau durchzuführen, noch haben Rezensenten die Zeit, einen Massentext mit Hingabe zu studieren.

Es genügt im einen Fall der automatisierte Stempel, welcher den toten Schweinehälften aufgedrückt wird, und im Falle des Bozen-Krimis der Klappentext.

„Der Holzschnitzer Vitus Höllrigl liegt erstochen in seiner Werkstatt. Doch offenbar hat jemand versucht, ihn noch zu retten. Also Mord im Affekt? Kommissarin Sonja Schwarz und ihr Kollege Jonas Kerschbaumer müssen nicht lange nach Verdächtigen suchen, denn durch seine Spielsucht brachte Höllrigl viele gegen sich auf. Beim Hotelier Staffler hatte der Ermordete hohe Schulden. Auch Höllrigls Tochter Edith, die sich und ihren schwer kranken Sohn nur mühsam über Wasser hält, hätte ein Motiv. Und welches Geheimnis verband Vitus Höllrigl mit der Hebamme Valeria Meixner? Privat entfremdet sich Sonja immer mehr von Riccardo, da dieser bereit ist, sehr weit – für Sonja zu weit – zu gehen, um den entscheidenden Schlag gegen den Mafiaboss Lagagna zu führen.“

Wem das zu wenig detailgenau ist, der kann sich die Klappentexte der anderen Südtirol-Krimis hinzuheften. Die Romane „Kaltes Weiß“ und „Die Taten der Opfer“ sind nach ähnlichem Muster abgewickelt. Der „Unterhaltungswert“ ist angesichts der kriegerischen Lage in Europa unerheblich.

Als Literaturwissenschaftler und Bibliothekar denkt man in diesen Stunden an die Kollegenschaft in der Ukraine, die sich mit seriöser Literatur beschäftigt und unter widrigsten Umständen auf die Kraft der literarischen Fiktion setzt. Die ukrainischen Autoren dächten nicht einmal im Traum daran, solche durchgeblödeten Texte zu schreiben, wie sie bei uns als Serienprogramme laufen.

Als Autor möchte man in dieser Zeit, wo es um Leben und Tod geht, mit seinen Büchern nicht neben einem Krimi im Regal zu stehen kommen, auch wenn vielleicht beides nicht gelesen wird.

Wenn der ganze Kontinent von Sanktionen spricht und die gewohnten wirtschaftlichen Abläufe zur Disposition stellt, so kann im Literaturbetrieb nicht das schaurige Business as usual weitergepflogen werden.

Liebe Leser, Autoren, Verleger und Buchhandlungen: Macht einmal eine kleine Krimi-Pause, schon aus Gründen des Anstands und der Solidarität mit den echten Opfern.

Simone Dark: Verspieltes Glück. Der Bozen-Krimi. Das Buch zum Film.
Bozen: Edition Raetia 2022. 175 Seiten. EUR 14,90. ISBN 978-88-7283-808-2.
Simone Dark, geb. 1982 in Freiburg im Breisgau, lebt in Südtirol.

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Schreibe einen Kommentar