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Helmuth Schönauer
Atmung in der Gender-Pause
Stichpunkt

Wenn du den Kaugummi aus dem Mund tust, versteht man dich besser! So eine Ermunterung eines Rhetoriktrainers gegenüber einem aufstrebenden Redegenie aus der Oberstufe konnte früher eine ganze Arbeitseinheit eines Rhetorikkurses auffressen.

Im vorigen Jahrhundert, muss man wissen, war es durchaus Brauch, sich nicht nur schriftlich auf Prüfungen vorzubereiten, sondern auch mündlich. Für angehende Klassen- und Schulsprecher war es sogar Pflicht, einen gewissen rhetorischen Grundstein mit sich herumzuschleppen, um bei etwaigen Wortmeldungen das nötige Argument griffbereit zu haben.

Im vorigen Jahrhundert gab es tatsächlich in manchen Gesellschaftsschichten auch noch den Glauben, man könne das Reden lernen wie das Tanzen, Schifahren oder Dinieren. In diesen Glauben wurden auch die Grenzen diverser Curricula eingepreist, zumal die Para-Olympics noch nicht geboren waren.

Eine fehlende Zunge galt damals wirklich noch als Ausschlussgrund für rhetorische Höchstleistungen. Mit der Einführung einer Generalinklusion sind diese Einschränkungen mittlerweile obsolet. Jeder kann Schifahren, auch wenn er die Dinger nicht an den Körper anbinden kann, jeder kann Dinieren, auch wenn man ihm gerade den Magen entfernt hat, und jeder kann reden, selbst wenn er eine Zahnspange im Mund einquartieren muss.

Längst sind die rhetorischen Leistungsträger auf TikTok übersiedelt, wo man sich Zungen-Piercings während des Sprechens einblendet und die Hand über den Bildschirm wischt wie früher die Zunge über die Lippen. Da die Gesellschaft sich mittlerweile in einzelne Blasen verkrochen hat, ist eine solche Universalrhetorik weiter nicht störend, denn zwischen den Blasen muss ja nichts geredet werden. Es genügt, sich gegenseitig mit einem Gefühl heimzusuchen.

Bücher werden in dieser Lage nicht mehr beredet, sondern aufgewischt. Nicht der Inhalt eines vorgestellten Buches zählt, sondern das erzählte Gefühl, das es auslöst, wenn man es auf TikTok zeigt.

Solch rhetorische Gegenwartsphänomene führen zu einer bestimmten Traurigkeit zwischen den Generationen. Nicht, dass der behandelte Stoff nicht verstanden würde, macht die Alten stumm und die Jungen wütend, es ist die Akzentuierung, mit der die Gedanken ausgesprochen werden.

Jung und Alt tragen nämlich beim Reden Handicaps herum, die etwa bei Klima-Demos, wo es um den Austausch von Information ginge, schier unüberwindlich werden. Die Alten hören manches nicht, was auf einer gewissen Frequenz gesendet wird. Die Jungen stecken sich flächendeckend Spangen und Piercings auf das Zahnfleisch, um die passende Authentizität zu erreichen. Zwischenfrage: Warum reguliert man das Gebiss, wenn die Welt morgen ohnehin untergeht?

Zum schwer verständlichen Auftreten gesellt sich freilich eine sagenhaft frivole Atemtechnik. Offensichtlich hat sich bei den Kids eine Gesprächsgeschwindigkeit eingenistet, die auf das Abwickeln des Apothekersatzes von den Nebenwirkungen der Medikamente zurückgeht.

Da in der modernen Rhetorik der Geräte-Akku die Pausen setzt und sonst niemand, müssen die Sätze ineinander geatmet werden, damit nicht jemand eine Pause empfindet und denkt, es sei schon aus.

Lange rätselte man unter den Alten, wie die Jungen ihren Shitstorm als eine Wurst herausbringen und wie sie dabei atmen? Man ging von der These aus, dass sie es vielleicht mit den Ohren tun, da sie diese ja von klein auf auf Durchzug gestellt haben. Neueste Untersuchungen ergeben freilich einen überraschend einfachen Zusammenhang zwischen Satzwurst und Atmung: Es ist das Gender-Päuschen in den Wörtern, welches das Atmen ermöglicht!

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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