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Helmuth Schönauer
Sauerkraut-News (Gerüch[t]e)
Stichpunkt

Seit der Erfolgsschriftsteller Felix das Land in Richtung Osten verlassen hat, weil er keine Tourismusabgabe zahlen will, ist der Betrieb auf den Volksbühnen zusammengebrochen, denn der Autor hat ja auch seine Stücke mitgenommen.

Die wütende Abreise geschah so abrupt, dass vieles, das gerade für die Adventszeit in Erprobung war, mitten auf der Bühne abgebrochen werden musste. Die Kisten mit Kostümen und Kulissen sollen ganze Eurosprinter gefüllt haben.

Sogar das still in den Dachstuhl gepresste Brennerarchiv soll der Autor in seinem Furor gestürmt haben mit dem Verlangen, sie sollen seine halb-verrotteten Skripten auf der Stelle exhumieren. Noch bin ich nicht tot! Auch wenn ich schon einen Nachlass habe, bin ich deshalb noch nicht tot! – hat er mehrmals gerufen.

Gerüchtehalber will er den Nachlass nochmal verkaufen, diesmal dem neuen Bundesland, nachdem ihm das alte so übel mitgespielt hat, indem es ihm statt eines Ehrengrabes die Tourismusabgabe ins Haus geschickt hat.

In einer ausgesprochenen Notmaßnahme, wie man andernorts Zelte aufbaut, hat man nun in Tirol einen Volksstücke-Wettbewerb ausgerufen, um die anstehende besinnliche Zeit für die Bühnen zu retten. Denn ohne Volksstück im Hintergrund lassen sich am Adventmarkt weder Kiachl noch Sauerkraut verkaufen. Beide gelten als Volksstücke der Kulinarik.

Ein Osttiroler Autor, der üblicherweise üble Krimis schreibt, ist dem Land flott zur Seite gesprungen und hat angeblich fünf Treatments für Volksstücke (Sagas) vorgelegt, die von der Einmann-Jury einstimmig angenommen wurden. Als Juror fungierte übrigens erstmals der neue Landeshauptmann mit der Begründung, dass er die Kulturagenden des Landes übernommen hat.

Die fünf Sagas im Stile von Felix, die demnächst als Notnagel auf die Bühne kommen sollen:

– Mattle-Saga (alias Piefkesaga)
Ein kleiner Elektrobetrieb muss nach der Lawine die Stromverbindung zu den einzelnen Häusern wieder herstellen. Dabei ist der Chef Tag und Nacht unterwegs, bis wieder alle Leitungen stehen. Als besonderen Service verlegt er zu allen Inhabitants ein kostenloses WLAN, damit sie ordentlich surfen können, wenn sie wieder einmal unter einer Lawine liegen.

– Kein Platz für Wölfe (alias Kein Platz für Idioten)
Den ganzen Tag lang geht der etwas im Kopf eingeschränkte Jäger durch die vierspurige Dorfgasse auf und ab, und ruft das ganze Stück lang: I muaß den Wolf schießen! Hot eahm wer gsechn? I tuas fiar ins – gegen die Narrischen in Brissl!

– Wamperloch (alias Vomperloch)
Im Wamperloch haben sich die Adipösen ein unauffälliges Camp eingerichtet, sie wollen dem Fresszwang entsagen und dem Konsum, der sie Tag und Nacht mit Wurst und Käse heimsucht. Am Tal-Ausgang steht eine Waage, und nur wer normales Gewicht hat, darf aus dem Wamperloch heraus und seine Angehörigen wieder in die Arme nehmen. Draußen haben sie schon eine kleine Ausstellung installiert, um den Nachfahren das Schicksal der Wamperten zu zeigen, sollten sie die Radikalkur nicht überleben.

– Die Grüne im Auto (alias Die Frau im Auto)
Eine grüne Vizelandeshauptfrau, die bisher als Rollator des Chefs auf Fotos fungiert hat, kann – endlich abgewählt – der Politik entsagen. Sie kauft sich einen SUV,  was ihr während der Herrschaft der grünen Partei versagt geblieben ist, und hält darin einen Monolog, was man ihr alles angetan hat.

– Signa (alias Stigma)
Im Kaufhaus in bester Lage der Hauptstadt hat sich ein Mogul eingenistet, indem er die ganze Anlage zu einem Steuerparadies ausgeweitet hat. Wer von hier aus seine Gespräche führt, kriegt eine Steuererleichterung. Eine Standleitung ist Tag und Nacht in Betrieb, um auf kürzestem Weg einen Kontakt ins Finanzministerium aufzubauen. Das Unternehmen ist nach einer Zahnpaste benannt, die den Firmengründer als Kind beeindruckt hat, weil es die erste Zahncreme mit Streifen war. Aus der Tube namens Signal ist ständig Signa herausgekommen, wenn man gedrückt hat. Am Schluss kam dann ein L und zeigte an, dass die Tube leer war.

Sobald die fünf Volks-Notstücke in Betrieb und auf die Bühne gehen, wird auch das Landesstudio Tirol seine Berichterstattung updaten.  Es ist daran gedacht, den bisherigen Felix-Adjutanten in der Literaturabteilung nach seiner Pensionierung durch einen neuen Korrespondenten zu ersetzen. Der soll vor allem den Transfer der Stücke von der Bühne ins Brennerarchiv mit Reportagen und Filmessays dokumentieren. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit natürlich!



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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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