Andreas Niedermann
Die Winslow-Therapie
Notizen

„Keller hörte ein Baby schreien. Oder glaubte es zu hören, während sein Hubschrauber mit gedrosselten Rotoren über die Bäume des Dschungeldorfs fliegt.“
Don Winslow, Das Kartell

Mein Freund sagte mir, dass er Don Winslow liest. So dachte ich, okay, schau ich mir das mal an. Don Winslow, ein Prediger, der seine Kanzel in Verlagshäusern erbaut hat. Er ist erklärter Gegner von Donald T. Das ist gut für’s Geschäft.

Dann las ich die ersten zwei Sätze. Und das war’s. Hubschrauberrotoren können nicht gedrosselt werden. Sie rotieren in derselben Drehzahl, ob auf dem Boden oder in der Luft.

Aber das sind natürlich Kleinigkeiten, die nur ein Beckmesserarsch wie mich stören, mir leider sofort die Lust nehmen, weiterzulesen.
Meine erste Sitzung beim Therapeuten ist schon anberaumt…
Vielleicht wäre auch ein Lektorat bei Winslow nötig?

„Blut fließt ihm in die Augen, und er sieht im wahrsten Sinn rot…“
und:
„Die Kugel lässt Keller wie einen Kreisel herumwirbeln.“

Don Winslow ist wieder in Form, und wir sehen seinen Protagonisten wie der „wie ein Kreisel herumwirbelt.“

Man könnte jetzt einwenden, wie man sich das vorzustellen hat, aber mein Therapeut ist dagegen. Er vertritt neuerdings die Ansicht, dass ich das einfach hinnehmen soll (wie ein Mann, wie er hinzufügt), und mich nicht andauernd von solchen Kleinigkeiten irritieren lassen darf.
Da hat er wohl recht.
Es ist nur leider so, dass ich des Lesens mächtig bin, und die bildhafte Sprache Winslows Bilder erzeugt, die mich so irritieren, dass ich nicht mehr weiterlesen kann.

Ich denke, ich werde den Therapeuten wechseln.

„Im Krieg gegen die Drogen geht es oft sehr persönlich zu.“

Mein Therapeut (der Neue) fragte mich, was mich an dieser Formulierung störe. Ich konnt’s ihm nicht sagen. Ich lachte nur ca. dreieinhalb Minuten. Er äußerste den Verdacht, dass mein Gelächter einen „sauren Boden“ haben könnte.

„Sind Sie neidisch auf Don Winslow?“
„Ob ich neidisch bin?“, fragte ich zurück.
„Ja. Sind Sie neidisch?“
„Auf was? Auf die Schreibkunst von Winslow? Oder dass er mit solchem Horseshit durchkommt und Millionen verdient?“
„Ja.“
„Na klar bin ich neidisch. Ich bin arm. Wie kann man da nicht neidisch sein?“
„Sagen Sie es mir.“
„Ich bin auch neidisch auf Sie.“
„Warum?“
„Sie sitzen vor armen neidischen Menschen und tun nichts anderes als Fragen stellen, die dann die armen neidischen Menschen selber beantworten müssen, während ihr verdammter Taxometer tickt und tickt, und sie sich die Zeit vertreiben können, indem sie sich ausrechnen, wieviel diese Frage wieder gebracht hat.“
„Das glauben Sie?“
„Sehen Sie? Schon wieder? Das war vermutlich ein glatter Fünfer.“
„Und was fühlen Sie dabei?“
„Dass es im Krieg gegen den Psychokrieg oft sehr persönlich zu geht.“
„Na, sehen Sie, geht doch. Die Stunde ist leider um.“

„Kinder, aus dem Schlaf gerissen, klammern sich an ihre Kuscheltiere. Auch wenn Gewehre knallen. Besonders dann.“

„Versuchen Sie einmal ganz ruhig und entspannt zu bleiben“, sagte mein Therapeut, „und lassen Sie einfach dieses Bild auf sich wirken.“
Ich tat, wie mir geheißen.
„Und?“, fragte mein Therapeut.
„Nichts“, sagte ich.
„Was nichts?“
„Nichts. Einfach nichts. – Ist das jetzt gut?“
Er antwortete nicht. Ein Anflug von Ratlosigkeit. „Na gut, probieren wir eine andere Stelle!“

„Zwei, ein Mann und eine Frau sind nackt – aus dem Liebesakt gerissen, denkt Keller, und in einer obszönen Blutorgie geopfert.“

„Ist gut, dass Winslow eingangs des Satzes erwähnt hat, dass es zwei waren. So wusste man gleich Bescheid, dass es sich bei einem Mann und einer Frau um zwei handelt“, sagte ich abgeklärt. Ich wollte ihn beeindrucken.
„Und was sagen Sie zur „obszönen Blutorgie geopfert“?
„Große, wahrhaftige Prosa.“
„Hören Sie, mit Sarkasmus kommen wir hier nicht weiter.“
„Kein Sarkasmus.“
„Na gut“, sagte der Therapeut, „sieht so aus, als kämen wir einen Schritt voran.“
„Wann werde ich entlassen?“
„Nanana! So weit sind wir noch nicht.“
„Und ich hab mir solche Mühe gegeben. Es tat schon fast weh.“
„Das ist ein Schritt zurück. Wenn nicht zwei.“
„Fuck yourself!“
„Jetzt sind wir wieder am Anfang. Eigentlich wollen Sie hier gar nicht raus. Stimmt’s?“
Ich zeigte ihm mein Schmollgesicht.

„Wird der Heckrotor getroffen, trudelt das Ding zu Boden wie ein Spielzeugflieger auf einer Kindergeburtstagsparty. Und trifft man den Piloten, dann Prost Mahlzeit…“ zitierte mein Therapeut nach der Mittagspause, sofort, nachdem ich den Raum betreten hatte.

„Mahlzeit“, melde ich mich zurück.
„Und wie geht’s Ihnen heute, mit der frischen Leseportion?“
„Blendend, wunderbar. Selten so gelacht.“
„Sie lachen? Kein Ärger mehr?“
„Ärger? Iwo. Es ist einfach zu köstlich. Von über 250 Rezensentinnen geben etwa 200 fünf Sterne. Wenn das nicht zum Lachen ist?“
„Es gibt ja noch die andern, die Ein-Sterner.“
„Gibt’s. Das sind die Wahnsinnigen…“
„Wahnsinnige?“
„Die Definition von Wahnsinn kennen Sie ja: Immer das Gleiche tun, aber andere Resultate erwarten. Die kaufen sich einen Winslow nach dem andern, auch weil sie einfach nicht glauben mögen, dass er wirklich so unterirdisch schreibt. Und dann gibt es noch die Oberwahnsinnigen…“
„Und das sind?“
„Diejenigen, die einen innern Zwang verspüren, ein einmal angefangenes Buch auch zu Ende lesen zu müssen. Lesen sie sich mal ein bisschen in die Rezensionen bei Amazon ein – einfach köstlich.“
„Mach ich“, sagte mein Therapeut und entließ mich mit einem: „Mahlzeit!“
„Dito“, sagte ich.

„Downey gestikuliert wie ein aufgescheuchter Schwarm Wachteln.“

„Was haben Sie nun schon wieder?“, fragte mein Therapeut mit verärgertem Unterton in der Stimme. Ich fand, diese Verärgerung stand ihm nicht zu. Er wurde fürstlich entlohnt. Nicht ganz so wie der Schreiber für lesende Nichtleser, Don Winslow; aber doch annähernd. Nicht so wie ich, der rechtschaffene Autor von Romans noirs, dessen Ruf – und das ganze verdammte Genre – von schreibenden Analphabeten wie Don ruiniert wurde. Dies sagte ich meinem Therapeuten.

Er sagte: „Es liegt vielleicht einfach an der Übersetzung?“
Ich sagte: „Das Ding wurde von Conny Lösch übersetzt.“
Er sagte: „Und?“
„Ich kenne Conny Lösch. Sie hat auch Elmore Leonard übersetzt. Gut übersetzt.“
„Wer ist Elmore Leonard?“
„Einer, der’s kann. Konnte. Gegen ihn ist Winslow nur ein Clown.“

Dann tat mir plötzlich mein Knie weh und ich verabschiedete mich, winslowmäßig gestikulierend, wie ein Konklave nach einem gemeinsamen Toilettengang.
Bis zur nächsten Sitzung. Oder auch nicht.

Don Winslow ist ein US-amerikanischer Schriftsteller, der insbesondere für seine Kriminalromane und deren Verfilmungen bekannt ist. Wikipedia

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Andreas Niedermann

Andreas Niedermann, 1956 in Basel geboren. Nach einer Laborantenlehre einige Jahre in Europa unterwegs. Informelle Ausbildung zum Schriftsteller in genau 50 ausgeübten Berufen. U.a. als Steinbrecher, Alphirte, Kranführer, Kinobetreiber, Krafttrainer, Koch und Theatertechniker. Seit 1989 mit Familie in Wien lebend. Gründete 2004 den Songdog Verlag. Publizierte einige Romane, Storybände und Novellen. Zuletzt „Blumberg 2 (Die Wachswalze)“ bei Edition BAES.

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