Helmuth Schönauer bespricht:
Nadja Niemeyer
Gegenangriff
Ein Pamphlet
Warum lassen sich die Tiere eigentlich ausrotten und abschlachten, warum tun sie nichts dagegen? – Weil sie nicht intelligent sind! Nadja Niemeyer beendet diese unintelligente Behauptung mit einem „Gegenangriff“.
In ihrem dystopischen Roman, den sie Pamphlet nennt, werden die Tiere plötzlich intelligent und rotten die Menschen aus. Das Thema ist so brisant, dass Nadja Niemeyer sich als Pseudonym schützt, Interviews verweigert und keine Talkshows zu dieser Debatte betritt.
Beim Genre Pamphlet ist das vorschnelle Diskutieren auch nicht erwünscht, es fungiert fürs erste als Ventil, um den Dampf abzulassen. Dass man nach der Lektüre, die als Weltuntergang durch alle fix gedachten Kriterien fegt, dann doch noch so etwas wie eine Rezension verfasst, ist dem Lebenswillen geschuldet, ohne den das Lesen nicht funktionieren würde.
Wie in Katastrophenfilmen beginnt irgendwo der Tag niedlich und harmlos. Wir haben das Jahr 2034 und die Welt ist gekippt, wie wir es nie wahrhaben wollten. Als in einem Institut die Videos für einen Versuch ausgewertet werden, entdeckt man, dass sich die Laborkätzchen inzwischen das Futter selbst organisieren und in die Kamera lachen. Gleich darauf drehen Kühe durch und trampeln auf den Farmer ein. Der Sheriff, der zu Hilfe eilen will „wird nur 28 Jahre alt“. Auf einem Bohrgelände im Naturschutzgebiet organisieren sich Zwiesel und zerstören mit ein paar ausgewählten Nager-Bissen das Stromnetz.
Noch findet sich niemand, der Zusammenhänge zwischen diesen Tier-Revolten herstellt, in Denkfabriken kursiert freilich schon länger die Theorie, dass der Homo sapiens seinerzeit durch Virenmutation mit Intelligenz ausgestattet wurde.
Wie nun, wenn dieser Virus wieder auf die Tiere zurückspringt und sie mit Kollektivbewusstsein, Schwarmintelligenz und Gewaltbereitschaft ausstatten würde?
Wissenschaftlich unterstützt hat sich schon längst eine Requiem-Kultur über die Welt verbreitet, dabei wird mehr oder weniger unauffällig von den einzelnen Tierarten Abschied genommen, die stündlich die Erde für immer verlassen. In einem meditativen Ritual werden kommentarlos alle Arten genannt, die in letzter Zeit ausgestorben sind. Die Tabelle gleicht dem Vietnam Memorial aus Stein und ist im Pamphlet auf zehn Seiten ausgerollt.
Was nun folgt ist ein Krieg mit allen Kalibern, die einzelnen Tierarten haben sich zu Waffengattungen hochentwickelt. „Der erste Angriff des großen Krieges wurde von Ratten durchgeführt.“ (77) Längst an die Menschen gewöhnt, wissen sie, wie man sie zu nehmen hat. Sie führen den Feldzug klug und logisch, indem sie mit Panik arbeiten und auch sonst alle Maßnahmen ergreifen, die man in einem asymmetrischen Krieg in Reichweite hat.
Die Sprache des Krieges lässt sich mit leichten Drehungen der Wörter zu einer Sprache der Ausrottung verändern.
Haie und Wildschweine, die bislang bei Freizeitunfällen als Killer aufgetreten sind, organisieren sich nun als raffiniert agierende Kampfeinheiten. Aus dem Ökotourismus, bei dem man die Tiere begafft hat, ist schlagartig Kriegstourismus geworden. Freilich reisen jetzt die Tiere an, um die zerfetzten Menschen zu begaffen, die Sache mit dem Selfie-Machen hat sich umgedreht.
Den finalen Schlag führen die Nagetiere aus, die wie der kanadische Biber die letzten Kämpfer sind, die sowohl in der Fläche als auch in Forts die Infrastruktur zerbeißen können.
Den Horror kann man am ehesten beschreiben und eindämmen, indem man ihn als pandemisch einstuft und pandemische Gegenmittel einsetzt. In China kommt es zu Triagen, indem die Senioren geordnet der Pandemie zum Fraß vorgelegt werden. In sogenannten religiösen Gesellschaften wird gebetet, was das Zeug hält, aber alles versagt, weil der Feind ja die Intelligenz ist, die auf die Tiere übergesprungen ist.
„Nach einem Jahr stehen die Tiere vor einem großen Sieg, die Spezies Mensch hat ihre Führungsrolle verloren“. (135)
Die Menschheit entwickelt sich wieder zurück zu einer angepassten Lebensform, das heißt: kleinere Sozial-Einheiten, Aufgabe großer Städte und weiter Flächen, Wiederaufnahme von Migration, Fußmarsch als Verkehrsmittel.
Wie im Theater gibt es bei allen großen Katastrophen noch einen letzten Lichtblick, ehe das Desaster über die Bühne hereinbricht. Die Prepper-Survivals beglückwünschen einander, dass sie überlebt haben und halten sich nach wie vor für intelligent. Die politischen Eliten sind noch immer darauf aus, für den Weltuntergang den jeweils anderen verantwortlich zu machen. China, Russland und Amerika spekulieren noch im Untergang, wer welche Fehler gemacht hat.
Der Umsturz der Weltordnung 2034 hat Dimensionen erreicht, dass niemand es wagt, eine einfache These zu formulieren. Nach nuklearen Bombardements entwickelten sich Tiere wie Menschen in eine Richtung ohne Intelligenz. Die Tiere sind klug genug, das Denken nach der Katastrophe einzustellen. Und auch die Menschen verlieren allmählich ihr Interesse an „intelligenten Lösungen“ und reduzierten das Erbgut auf das Allernotwendigste.
„Intelligenz, das hatte man beim Menschen gesehen, kann sehr zerstörerisch sein.“ (171)
Das Pamphlet führt das Ausweglose auf eine ironische Lichtung: Wenn die Intelligenz nachweislich beim Weltuntergang versagt, ja diesen geradezu heraufbeschwört, soll man es vielleicht ohne sie versuchen?
„Gegenangriff“ heißt, dass ein Angriff schon geschehen ist. Und der Angriff der Menschen auf die Erde scheint schon ziemlich weit vorgerückt zu sein. Müssen wir den Gegenangriff wirklich den Tieren überlassen? – Schon 2034 werden wir es wissen.
Nadja Niemeyers Gegenangriff hat die politische Sprengkraft wie seinerzeit George Orwells 1984.
Nadja Niemeyer: Gegenangriff. Ein Pamphlet.
Zürich: Diogenes 2022. 171 Seiten. EUR 18,50. ISBN 978-3-257-07183-2.
Nadja Niemeyer ist ein Pseudonym.
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Leider nur ein Wünschgedanke. Ich glaube trotz allem nicht dass die Wissenschaft soweit ist so einen Virus zu erzeugen. Heutzutage. Was in ein paar Jahren passiert, wer weiss. Das Buch ist trotz seinen wenigen Seiten eine gut durchdachte Geschichte.
Ich bin zwar mehr der Anhänger einer Vernichtung des Menschen durch einen Kometen aber alle Gedanken sind offen. Die Erde wird die Bazille Mensch sicher überleben und weiter existieren.
Im Moment ist der Mensch ja auf dem besten Weg das Angesicht der Erde komplett zu verändern und sich selber auszurotten. Ich werde das Ende mit meinen 67 Jahren wahrscheinlich nicht mehr erleben. Aber einige Generationen nach mir werden das Vergnügen, ironisch gemeint, haben.
Trotz allem ist das Pamphlet „Gegenangriff“ eine gut geschriebene Geschichte mit einer hoffentlich für die Erde hohen Wahrscheinlichkeit.