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Helmuth Schönauer
Feature über das Nichts
Short Story

Wenn einem am helllichten Tag Verstorbene über den Weg laufen, wird selbst der abgebrühteste Bibliothekar mit seiner Fiktionserfahrung einen Augenblick lang innehalten, bis er die Situation eingeordnet hat.

Eine WIFI-Pensionistin aus dem vierten Stock, für die er irrtümlich schon ein Kondolenzschreiben der Hausgemeinschaft unterschrieben hat, geht auf ihn zu und fragt ungeniert, wie es geht. Sie sei lange krank gewesen, die Hälfte der Krankheit habe sie damit verbracht, den berühmten Krankenhauskeim aus Innsbruck aufzufischen, und die restliche Zeit für die Genesung. Sie fühle sich schwach und sinnlos wie alle, die irgendwas überlebt haben und in der Stadt herumirren.

Das Erste, was sie nach ihrer Überstellung durch die Johanniter zurück in ihre Kleinwohnung gehört habe, sei gewesen, dass die Kids den Bibliothekar  ins Altersheim einliefern würden, wenn er nicht rasch eine Kurzgeschichte abliefere.

Der Bibliothekar erschrickt bis auf die Grundmauern des Altersheims und überlegt sich ein Gerüst für eine Short Story. Jetzt geht es ans Eingemachte, denkt er, worauf er die Ich-Form wählt und alles zusammenkratzt, was an Notizen am Tablet herumliegt.

Zu erzählen gibt es Folgendes:

Wie jeden Tag sitze ich in meinem Gartenloch, das ich mir vor Jahren gegraben habe für den Fall, dass eine Gefährdung der Lage eintritt. Mittlerweile liegt eine solche Gefährdung vor und ich kann nur hoffen, dass ich erst spät vom Weltuntergang heimgesucht werde, sodass ich noch ein wenig davon berichten kann, wie es ist, wenn nichts mehr ist.

Da meine Texte ohnehin nicht gedruckt oder gesendet werden, kann ich in Ruhe ein Feature über das Nichts machen. Darin sitze ich im Gartenloch und warte auf die Morgenerektion, die aber ausbleibt, was ich als das Nichts schlechthin empfinde.

Ich scrolle mich aus dem eigenen Feature-Text hinaus und beurteile die Lage. Das Gartenloch bietet mäßigen Schutz gegen Witterungen, aber seit ich einen Baum gefällt habe, um ein besseres WLAN heraus aus meinem Wohnzimmer zu bekommen, verbringe ich oft ganze Stundenpakete im Gedankenloch, wie ich das Arrangement nenne.

Rund um das Loch ist Gebüsch, muss man wissen, darin verrichte ich echte Notdurft, wenn es Not tut, und die Sträucher schützen auch gegen Beobachter, die letztlich nur schauen, ob ich eine Erektion habe. Das Fällen des Baumes hat ziemlich viel Staub aufgewirbelt, weil ich ihn in einer Trockenphase geschlägert habe. Aber er hat das WLAN abgedunkelt.

Ich wohne an der Kante zwischen Stadt und Feld, das bei mir die Auswüchse eines Flughafens angenommen hat. Wenn sie andernorts wegen Naturschutz und Nutzung von Brachen herummotzen, so haben wir hier am Stadtrand alles schon verwirklicht, indem wir einen Flughafen angelegt haben. Zwischen den startenden und landenden Maschinen haben wir sogar etwas wie Ruhe, sodass wir bereden könnten, wenn wir nur wüssten, was.

Auf meiner Straßenseite, die die ältere ist, stehen sinnlos viele Bäume und Sträucher herum, die an manchen Tagen Vögel anlocken wie in einem schlechten Film. Auf der gegenüberliegenden Seite wohnen die Grünen, und die haben witzigerweise alle Steingärten angelegt bekommen, weil sie eine andere Wohnbaugenossenschaft haben.

Wir sind Eigentümer und können daher Bäume fällen, wie wir wollen, die anderen müssen ihre Steingärten in Schuss halten, ob sie wollen oder nicht.

Das gleiche spielt sich mit dem Fahrradverkehr ab: Bei ihnen drüben wird gefahren und bei uns hat die Stadt einen Fahrradstellplatz angelegt. Aber Fahrräder sind eine kommode Sache, wenn sie abgestellt sind, manche von uns verstricken sich mit ihren Rollatoren in ihnen, aber in der Nacht ist es ruhig, das ist die Hauptsache.

Ich versuche es erneut mit einer Erektion, indem ich am Tablet das Wort Feature eingebe. Aber es wird nichts. Ich finde mich mit dem Nichts ab.

Beim Scrollen kommen ständig unerwartete Nachrichten aus dem Hintergrund. Heute ist der Tag des Autismus und ich bleibe an einer Stelle hängen, wo jemand nicht bemerkt, wie der andere weint. Das kenne ich, obwohl ich kein Autist bin.

Im Gartenloch lese ich nur mit dem Tablet, weil Bücher schmutzig werden könnten. Ein Tablet kannst du auch bei Saharastaub nutzen, ein Buch wäre längst kaputt oder verweht.

Der Tag des Autismus ist eine feine Sache, die dem Scrollen einen Sinn gibt. Oft spielt man am Display herum, schaut blöd aus dem Gartenloch heraus durch die Gegend und schlimmstenfalls gilt es ein Arschloch zu begrüßen, das erschrickt, wenn du aus dem Loch heraus die Stimme erhebst.

Ich bin nicht der einzige, der sich ein Gartenloch zugelegt hat. Auf dem Weg zum M-Preis zähle ich an manchen Tagen bis zu zehn solcher Anlagen, aber nur die wenigsten sind besetzt. Die meisten bleiben im Wohnzimmer, weil sie nur dort ein starkes WLAN haben.

Die Frau übrigens, die mich mit ihrem Hinweis auf die Kids zu diesem Feature gezwungen hat, wird gerade wieder von den Johannitern abgeholt. Ich rufe ihr zu, dass ich fertig bin. Ich meine mit dem Feature, aber sie sagt nichts mehr, denn jetzt wird sie stumm durch die Heckklappe in den Kastenwagen geschoben. Sie fahren ohne Blaulicht davon, was bedeuten kann, dass es nicht schlimm ist oder dass es vorbei ist.

In einer echten Short Story muss der Held dreimal versuchen, eine Erektion zu bekommen, schon wegen der Dramaturgie des Plots. Aber ich speichere an dieser Stelle meinen Feature-Text ab, bevor er mir wegen meiner vergeblichen Bemühungen am Ende noch verloren geht. Das wäre dann wirklich ein Feature über das Nichts.

So habe ich wenigstens einen Text und muss nicht ins Altersheim.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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