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Helmuth Schönauer bespricht:
Rudolf Lasselsberger
Spur ins Ungewisse
Roman
Mit Zeichnungen von Erich Sündermann

Spur ins Ungewisse führt ähnlich einer Detektivarbeit in eine Kindheit im ländlichen Raum der 1950er Jahre. Held und Investigativjournalist seiner eigenen Psyche ist der Schriftsteller Franz, der schon längst in Wien lebt. Nach sechzehn Jahren Schichtarbeit in einem Postzentrum ist er ausgebrannt, kaputt und fallweise mit Panikattacken übersät.

Mittlerweile arbeitet er als Schriftsteller in prekären Verhältnissen. Um Ordnung ins monotone Tagwerk zu bringen, fährt er so gut es geht aufs Land hinter St. Pölten, wo seine Mutter Elfriede an Parkinson erkrankt ist und in einem Heim lebt.

Der Roman entwickelt sich alsbald zu einer zweifachen Spurensuche, die beide ins Verlöschen führen. Einmal werden die Spuren zu Mutter, Schwester, Kindheit und verstreuter Verwandtschaft im Sonntagslicht zum Leben erweckt, andererseits wird die eigene Existenz zwischen Arbeitsmarktservice, Arzt und Autorenkampf recht und schlecht in den Wiener Alltag eingepflockt.

Ein Ausflug beginnt mit Frühstück aus der Hand, Schnellbahn, Bus und Schwester, die am entlegenen Bahnhof wartet, dann geht es zur Mutter, die manchmal gute, dann wieder schlechte Tage hat. Das Pflegepersonal übernimmt allmählich die Kommunikation, um die nächsten Schritte für die anstehende Woche zu planen. 

Manchmal geht sich mit der Schwester anschließend ein Spaziergang in die Kindheit aus, in der selbst in der Erinnerung nichts mehr so ist, wie es einmal war. Am Friedhof ist ein Kerzenautomat von Vorteil, der zu jeder Tages- und Nachtzeit Besuche und Gedenken möglich macht. Und zu gedenken gibt es bei einer weitschichtigen Verwandtschaft viel, mancher Tod ist immer noch herzzerreißend nah, wie jener der Nichte.

Unter der Woche heißt es warten auf das Arbeitsstipendium, das erst spät im Roman kommt. Therapien, Immobilität durch Fersensporn, Bluthochdruck. Ein kaputter Körper soll mit kaputtem Essen über die Runden gebracht werden, wenn es etwa darum geht, dass man statt einer Handsemmel zwei billige Massensemmeln futtern muss. 

Die Freundin lässt sich ab und zu besuchen, aber das große Schnarchdilemma zwingt Franz dann wieder nach Hause zu gehen, wenn jemand von den beiden müde wird. Und Franz schläft viel, büselt, wie es im Fachjargon heißt.

Als das Stipendium dann kommt, ist es eigentlich schon wieder ausgegeben, noch ehe es richtig eingelangt ist. Ein trockener Boden kann nur schwer Wasser halten, heißt es bei den Agrariern. Kulturell ändert sich nicht viel, der Wiener Sportklub ist immer noch eine wichtige Quelle für das Vereinsleben, das man am besten in der Vereinszeitung am Klo nachliest. Die Gedichte machen viel Arbeit, und es ist bis zum Schluss nie sicher, ob sie einen Wert haben.

Auf dem Weg zur Mutter tun sich stets Seitenkanäle zur Verwandtschaft auf, der Vater ist schon gestorben, und Franz konnte ihn noch einmal besuchen und sich irgendwie seltsam fix verabschieden.

Jetzt dürfte es mit Mutter soweit sein. Die Heimschwester schickt kurze Mails, um das Verlöschen von Mama anzudeuten. Die Kindheitsschwester schickt einen Entwurf für eine Parte.

Und dann ist das Begräbnis, alle sind da, die mit der Zeit weg gedriftet und ausgeträufelt sind, jetzt bilden sie zusammen eine dicke Spur, die ins Ungewisse führt. Es gibt Schnitzel, und Franz lässt sich noch ein paar einpacken für Wien, wenn er dort im Alltag mit der Trauerarbeit beginnt.

Das Schicksal des Autors Franz ist mehr zu Herzen gehend, als es je eine von ihm ausgedachte Geschichte sein könnte. Das ist pures Überleben, wie sich der Held durch die Zeit kämpft, die Spur, die er dabei hinterlässt, ist sichtbar wie schwere Caterpillar-Rillen im Sand. Und gleichzeitig ist der Held geduldig mit sich und den anderen, aufgeschlossen für die tägliche Freude an einer kleinen Handsemmel.

Nicht umsonst wirken die sechs Vignetten von Erich Sündermann wie bunte Bilder aus dem ersten Lesebuch, wenn der Aufenthalt von Mama im Heim gezeichnet ist als Spur, die bei keinem Wetter eingeweht werden kann. Mama lässt sich in den Speisesaal bringen, sie sitzt aufmerksam im Rollstuhl und erwartet ein Gespräch, die Leuchtkörper im Raum sind hell wie die Blätter im nahen Herbst. 

Es sind diese Romane, die als Vignetten ausgebreitet sind, um uns Leser ans Herz zu fassen, während wir umblättern.

Rudolf Lasselsberger: Spur ins Ungewisse. Roman. Mit Zeichnungen von Erich Sündermann.
Berlin: united p.c. 2023. 174 Seiten. EUR 24,90. ISBN 978-3-7103-5759-6.
Rudolf Lasselsberger, geb. 1956 in Schlatten 8, lebt in Wien.
Erich Sündermann, geb. 1952 in Ruprechtshofen, lebt in Wien.


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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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