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Helmuth Schönauer
Der brave Lutz kriegt seinen Büchner-Preis.
Stichpunkt

Der Büchner-Preis gilt als einer der anspruchsvollsten Preise, die in Deutschland vergeben werden. Was immer das auch heißen mag und wer immer das auch behauptet.

Wie bei allen Preisen, die nach einer dichtenden Person benannt sind, hätte diese Person diesen Preis niemals zu Lebzeiten selbst gekriegt. Es handelt sich bei all diesen Auszeichnungen quasi um Namens-Schändungen, um einen Begriff aus der Vorzeit des Datenschutzes zu verwenden.

Georg Büchner (1813-1837) hat an seinem Großherzogtum Hessen ordentlich gelitten und war ständig auf der Flucht. Sein Dramenfragment Woyzeck machte naturgemäß erst nach seinem frühen Tod Furore.

Die Nachfahren als Preisträger sollten dieses Schicksal tunlichst auch haben und nebenher etwas Schönes schreiben, das die Demokratie stärkt.

Der Büchner-Preis wurde vor hundert Jahren in den Wirren der Weimarer Republik erstmals ausgelobt. Mit diesem Preis sollten fortan Schreib-Revolutionäre geehrt werden, die sich für die Demokratie haben zähmen lassen. Freilich gilt die Einschränkung, dass sich die wirklich Wilden mit keinem Preis der Welt zähmen lassen.

Die Entscheidung, Lutz Seiler für den heurigen Büchner-Preis zu nominieren, gilt als klug und unspektakulär, der Auserwählte ist kompetent und kann medienwirksam spontane Empfindungen in ganzen Sätzen ausdrücken.

Auch sein Lebenslauf passt! – 1963 in einem Wismut-Dorf mitten in Thüringischen Uranfeldern geboren, beginnt er bei der Volksarmee zu dichten, wird nach der Wende Germanist und Kellner und reüssiert mit einem poetischen Text über die Eisenbahn in Kasachstan.

Für den Tiroler Hausgebrauch von Literatur ist besonders sein Roman Kruso (2014) interessant, worin auf der DDR-Ferieninsel Hiddensee Saisonarbeiter vor die Hunde gehen, unabhängig vom überall mit schönen Facharbeiter-Worten sprechenden Regime.

Für die deutsche Literaturszene ist freilich bedeutsam, dass die beiden Leuchttürme der eingemeindeten DDR (Uwe Tellkamp und Lutz Seiler) unterschiedliche Wege gehen.

Während Uwe Tellkamp (Der Turm, 2008) mit der Zeit in seiner Heimatstadt Dresden verzweifelt und sich der rechten Pegida-Bewegung annähert, bleibt Lutz Seiler flink und links, geht nach Stockholm und nimmt im Zweifelsfalle die Poesie in den Mund.

Anlässlich der bevorstehenden Landtagswahlen in Mitteldeutschland und großer Angst vor einem Rechtsruck, braucht es nun ein Zeichen aus der literarischen Szene. Während man den einen aus allen Talkshows auslädt in der Hoffnung, dass dann seine rechte Denke verschwunden ist, gibt man dem anderen den Büchner-Preis, um den Wankelmütigen im Osten zu zeigen, wie Anerkennung geht.

Lutz Seiler ist ein braver Revolutionär, wie wir ihn gerne am Lebensabend haben, nachdem wir ein Leben lang nur gute Sachen gelesen haben.

Dass mit Lutz Seiler wieder einmal ein Mann einen Preis bekommt, zeigt, wie sehr Feuer am Ostdeutschen Dach ist. Überhaupt stellt sich die Frage, warum man nicht die Preise gendert. Für echte Feministinnen muss es doch eine Verhöhnung sein, einen nach einem Mann benannten Preis zu erhalten und umgekehrt.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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