Print Friendly, PDF & Email

Helmuth Schönauer
Stolperroller
Stichpunkt

Der neue Innsbrucker Bürgermeister wird von Fußgängern sehnlichst erwartet. Leider findet erst im April die dazu passende Wahl statt.

Wenn nicht einmal mehr die Bundesregierung selbst daran glaubt, dass sie noch im Amt ist, dann wird es für ihre Avatare darin höchste Zeit, sich wieder einen normalen Job zu suchen. Für Berufstätige heißt das, wieder bei dem anzudocken, was sie vor der Politik getan haben. Für Berufsfunktionäre bedeutet es, auf einer anderen Ebene zu kandidieren.

Daher herrscht momentan ein großes Griss um Sessel in Brüssel, obwohl die meisten ahnen, dass wegen der Themen Wolf und Migration niemand außer den Formulierungs-Zuspitzern eine Chance für ein Ticket dorthin haben wird. Das zweite Griss geht in Richtung Kommunalpolitik, wo man letztlich keine andere Expertise braucht, als am richtigen Ort geboren zu sein.

In der aktuellen Stillstands-Regierung versteckt sich klug ein Staatssekretär aus Innsbruck, der noch ein paar Monate stillhalten muss, ehe er dann als Bürgermeisterkandidat in seiner Heimatstadt das volle Licht der Medien genießen darf.

Momentan macht dieser Bürgermeister in spe auf Digitalisierung. Das ist ein Traumressort, weil die Digitalisierung von allen möglichen Einrichtungen vorangetrieben wird, aber gerade nicht von der Regierung, weil es auch ohne sie gut läuft.

Dabei sind zwei Meldungen aus jüngster Zeit recht aufschlussreich. Sie lassen darauf schließen, dass das Thema tatsächlich durch ist, wie man so schön sagt. Einmal weist ein Telekommunikations-Konzern darauf hin, dass das Breitband in der Fläche so gut wie fertig ist. In die Glasverkabelung und Bodenversenkung von Subventionen braucht also nicht weiter investiert zu werden.

Zum anderen kommt aus Schweden die interessante Nachricht, wonach das Musterland für die Digitalisierung von Grundschulen die Maßnahmen wieder zurückfährt. Die flächendeckende Versorgung der Kids mit Tablets ohne Inhalt habe zu einer Verdummung ganzer Jahrgänge geführt, heißt es.

Der Digitalsekretär kann sich also ruhigen Gewissens aus der Regierung schleichen mit der seltenen Parole: Alles fertig! Alles erledigt! In Innsbruck freilich muss er als Bürgermeister noch ein paar Kleinigkeiten hinkriegen: zum Beispiel das Desaster, das ihm der grüne Bürgermeister hinterlassen hat, wieder halbwegs ordnen und Frieden mit den Einwohnenden herstellen.

Die Grünen nämlich glauben, Digitalisierung bedeute Scooterisierung. So hat man unter dem grünen Bürgermeister ununterbrochen Scooter aufgestellt, um zu zeigen, wie digital man ist. Denn die Scooter können nur mit einer Handy-App betrieben werden, die sich auf einen erlauchten User-Kreis stützt.

Damit die vielen, die keinen digitalen Zugang zu den Scootern haben, auch etwas vom Greenwashing der Stadt mitkriegen, hat man für Senioren und andere Fuß-Marode an jeder Kreuzung am Gehsteig Scooter aufgestellt, damit sie ordentlich und analog auf die Schnauze fallen.

Die Scooterisierung Innsbrucks ist wirklich das einzige, was diese grüne Selbstverwirklichungstruppe in den letzten Jahren zusammengebracht hat. Der Staatssekretär für Digitalisierung findet in Innsbruck wahrscheinlich eine Gmahte Stimm-Wiesn vor, wenn er sein Versprechen einlöst: Stoppt die Stolper-Roller!

Auf seniorisch-digital: Ich werde den Menschen wieder den Gehsteig zurückgeben, indem ich den Scootern den Stecker ziehe.

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Schreibe einen Kommentar