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Helmuth Schönauer bespricht:
Peter Steiner
Orbis Terrarum
Roman
Band 3
Das blaue Krokodil

Geologen und Vermesser von Land- und Bodenschätzen gehören zu einer Spezies, deren Wirken noch nach Jahrhunderten spürbar sein wird. An manchen Lebensabenden schleicht sich bei ihnen das Gefühl ein, das Wirken vielleicht übertrieben zu haben.

Peter Steiner erzählt im dritten Teil von Orbis Terrarum von seinem Ich-Helden auf Afrika-Einsatz. In den bisherigen Bänden findet der Erzähler seine Identität, indem er wahlweise als weltgewandter Karl vom Bühelstein oder als bodenständiger Veit Troyer auftritt („Das Kriegskind“) und in der Folge als promovierter Geologe für die Welt fit gemacht wird („Lichte Tage“).

Jetzt in den späten 1960er Jahren tritt er bei einer „Weltorganisation“ seinen Dienst in Westafrika an, seine Mission ist etwa zur gleichen Zeit beendet, als der Club of Rome 1972 die Grenzen des Wachstums verkündet.

Der knapp 30-jährige strotzt nur so vor Tatendrang, die Weltorganisation verbreitet trotz des kalten Krieges Humanismus über alle Erdteile, Afrika hat sich von den Kolonialzwängen gelöst und teilweise schon die ersten Bürgerkriege hinter sich, grenzenloses Wachstum ist angesagt, wo immer eine Baggerschaufel zu Boden gelassen wird, tritt reines Erz hervor.

Der Held erzählt sein Leben als Stück prosperierender Weltgeschichte, sein Ton ist vom Alter gedämpft, die Euphorie wird in Frage gestellt und auch die Hiebe jenes Weltbildes, worin der weiße Mann in Afrika ungeniert mit dem Bulldozer herumfährt, treffen den Welt-Analysten durchaus aus der Erinnerung heraus.

Privat legt Veit Troyer eine Bilderbuch-Macho-Karriere hin, er wird als Star-Geologe durch den Dschungel gereicht, seine Frau bringt gerade in der Schweiz das zweite Kind zur Welt und reist dann dem Gemahl nach, es gibt persönliche Dienerschaft, und die humanitäre Einrichtung lässt nie einen Zweifel aufkommen, dass es sich um ein Programm der Weißen handelt, das über die frisch gegründeten Nationen ausgestreut wird.

Der Blick auf die Dinge fällt auch in der Erinnerung sehr Konzern-affin aus: Ein Weltunternehmen sieht die Lage vor Ort immer so, dass sie auch in Brüssel gut dargestellt werden kann. Wo einst der belgische König den Kontinent sich zu Füßen legen ließ, lässt man sich jetzt im Brüsseler Headquarter die Sachen als UNO verkleidet vorlegen.

In der Hauptsache entsteht der Blick dadurch, dass eine Schneise durch den Wald geschlagen wird und die verletzliche Erdhaut zum Platzen bringt. Aus dem geologischen Raster heraus werden die Dinge schon mit dem ersten Blick taxiert und eingeordnet, besteht doch der Sinn dieser geologischen Arbeit darin, sogenannte Anomalien zu kartieren und daraus Schlüsse für die Erzgewinnung abzuleiten.

Kakaofrüchte glänzen wie Bohrgestänge, die entwaldete Fläche gibt den Blick auf den Boden frei, dem jede Feuchtigkeit abhanden gekommen ist. Mitten im Dschungel sind die Frauen stundenlang unterwegs, um Wasser zu schöpfen und heimzutragen.

Die Erforscher wohnen in einem eigenen Waldtrakt im sogenannten Hotel Grau. Das erste, was so eine aus dem Boden gestampfte Siedlung bekommt, ist eine Bank, die eine Standleitung zur ehemaligen Kolonialmacht unterhält.

Der Erzähler wundert sich, dass er kaum etwas empfindet, wenn er mit Einheimischen zu tun hat, er versteht nämlich weder ihre Sprache noch kann er sich vorstellen, dass sie etwas mit dem Leben im Sinn hätten.

Arbeitskollegen zeigen offen, dass sie ihre Macht von einem weißen Gott haben, der ihnen einen Befehl zu Unterwerfung von Menschen und Gelände gegeben hat.
Immer wieder sieht man bei Dunkelheit dunkle Frauen aufs Gelände huschen, wo sie den Weißen körperlich zu Diensten sind. Bei Tageslicht leiden diese darunter, dass sie zu Hause in Europa mehrere Frauen in diversen Städten haben und mit keiner zurecht kommen.

Als die Frau des Geologen mit den beiden Kindern am Gelände eintrifft, entsteht bald einmal eine kühle Atmosphäre. Die Kinder müssen mit allerhand pädagogischen Tricks zur Entwicklung gebracht werden, ohne jeglichen Kontakt zu einheimischen Kids, die vielleicht keine Zeit zum Spielen oder Auf-Schule-Machen haben.

Die Macher lesen durchaus philosophische Schriften und werden mit der Theorie des Postkolonialismus vertraut. Die Nachrichten erreichen das Camp pünktlich wie eine Banküberweisung. Die Warschauer Truppen sind in Prag eingefallen, im Nachbarland Nigeria herrscht wieder Bürgerkrieg.

In seiner Dissertation über Anomalien hat Veit diesen Background zur Morphologie des Landes angesprochen, ohne zu ahnen, dass es sich dabei um die eigentliche Geologie handelt, wenn sie mit dem Scheidewasser des sozialen Konflikts in Berührung kommt.

Manchmal sind in Briefen aus Europa Vorwürfe dabei, dass der Bodenschatzgräber reaktionär und ein Neokolonialist sei. Und immer wieder taucht ein seltsames Bild zwischen Traum und Wirklichkeit auf, wie es Joseph Conrad in seiner Schattenlinie beschreibt. Wer lange über ein Land geht, das er nicht berühren möchte, dem wird ein Schlangenschatten an den Beinen befestigt, den er nie mehr los wird.

Die Familie ist wieder nach Europa zurückgekehrt, Veit leistet sich eine Heimreise zu Lande und zu Wasser und durchquert die Sahara im Track. Er beginnt sich für Schmetterlinge zu interessieren und stellt für ein Museum seine Exemplare zusammen. Zu Hause muss die Villa in Bad Kleinheim restauriert werden, eine Operation zeigt die Grenzen des Abenteurerkörpers auf. Als er sich schlussendlich von Afrika verabschiedet, bleiben drei große Begriffe: Sorge – Trauer – Schuld (369).

Die Grenzen des Wachstums werden diskutiert, die Welt ist eine andere geworden. Vielleicht wird der neue Arbeitseinsatz in Südamerika besser.

Peter Steiner lässt durchblicken, dass er sein Leben sorgfältig geplant, reflektiert und im Alter austariert hat. Trotzdem klingt die zittrige Überlegung mit, ob er nicht einer Institution zugearbeitet hat, die außer Kohle machen nichts im Sinn hat.

Als Leser startet man die nächste Kobalt-Batterie des täglichen Gebrauchs mit einem besonderen Kick: Hinter den Bodenschätzen stecken Helden, wie sie Peter Steiner in seinem Orbis Terrarum an sich selbst beschrieben hat.

Peter Steiner: Orbis Terrarum. Roman. Band 3. Das blaue Krokodil.
Innsbruck: Edition Laurin 2022. 416 Seiten. EUR 26,-. ISBN 978-3-903539-10-5.
Peter Steiner, geb. 1937 in Baden, lebt in Baden.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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