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Helmuth Schönauer
Gasklar
Stichpunkt

Dieses Jahrhundert zeichnet sich bislang dadurch aus, dass es vollgestopft ist mit schönen Wörtern und melodiösem Satz-Design. Die Message lautet:

Genieße die Sätze und schau nie, was dahinter steckt!

Von den Plakaten, Tweets und Bauchrednern sind wir es schon gewöhnt, dass sie in der Hauptsache Hohlkörper sind, die irgendwie zum Schwingen gebracht werden.

Und dann hat uns für ein paar Monate das studentische Wunderkind als Bundeskanzler verzückt, indem es in einer Rhetorik, wie sie Österreich seit Schüssel nicht mehr gesehen hat, die Welt in ihrer Schönheit erklärte, sodass wir durchaus neben seiner TV-Ansprache unser Abendmahl fortsetzen konnten, ohne dass uns vor irgendwas gegraust hätte.

Dass die schönen Sätze, die vorne beim Mund herausgekommen sind, auch hässliche Pendants an der Hinterseite der Kommunikation hatten, merkte man erst, als sogenannte entlarvende Chats ausgewertet wurden.

Mittlerweile denkt man beim Schön-Reden an den deutschen Wirtschaftsminister, der als Germanist endlich die Märchen so erzählt, wie man es auf seriösen Instituten lernt: Mit Betroffenheit, Augenkontakt, Selbstzweifel, Bescheidenheit und Wissen um die Wirkmächtigkeit der Worte, wenn sie langsam gesprochen werden.

Aber die Physik lässt sich mit keinem Redestil auszutricksen.

Wenn kein Gas da ist, ist kein Gas da, heißt es Gas-klar.

Ein wenig erinnert die Szenerie an ein Begräbnis, wo ja auch schöne Sätze herumgeistern, aber niemandem den Fakt ausreden können, dass da in der Urne jener Staub drin ist, der uns noch bevorsteht.

Die Nüchternen überlegen, was Energie für das Leben bedeutet, ob man darauf verzichten kann oder substituieren. In einem Anfall von Robinson Crusoe schreitet jeder seine Wohnanlage ab und sinniert darüber, wie viel Unabhängigkeit mit wie vielen Paneelen und wie viel Metern Bohrung ins Erdinnere er erreichen könnte.

Und jeder stellt entsetzt fest, dass er mehr verbraucht, als er je selber an Energie erzeugen könnte. Dabei sagt es die Physik ganz unverblümt: Du kannst nur das verbrauchen, was da ist.

Jetzt rächt sich unser Weltbild der Fiktion, dass wir über Zinskurven, Anlegerwohnungen oder gehorteten Goldbarren etwas für das Überleben beiseite legen könnten.

Dem Gas ist es egal, wie viel jemand außerhalb der Gasleitung an Besitz hat. Wo es nicht hinkommt, lässt es sich auch auf keine Diskussion ein.

Irgendwo endet alles bei der Erkenntnis des Robinson Crusoe: Wenn die Schiffsvorräte aufgezehrt sind, muss ich nehmen, was auf der Insel wächst. Auf das Grundstück der Anlegerwohnung heruntergebrochen heißt das: Was ich nicht selbst an Energie erzeuge, steht mir künftig in einer klimaneutralen Welt nicht mehr zur Verfügung.

Die ganze Entwicklung von Alternativen nützt nichts, wenn der Verbrauch nicht heruntergeht.

Und da wird man ganz primitiv formulieren müssen: Es geht sich nicht aus, dass jeder von uns fliegt, kreuzfährt, Bahn fährt – es sind einfach die Ressourcen nicht da.

Erst geht das Gas, dann geht der Strom! – Auch die Apokalypse ist imstande, schöne Sätze zu bilden.

Der wunderbare Verkehrsplaner Hermann Knoflacher hat vor fünfzig Jahren einmal formuliert: Letztlich ist es egal, wohin der Mensch fährt. Es ist am Ziel jeweils ohnehin dasselbe wie zu Hause.

Aber der Mensch muss am Wochenende einfach vier Stunden lang unterwegs sein, damit er sich frei fühlt. Da kann man ihn auch in einen Stau stecken, Hauptsache er hat ein mobiles Gefühl.

Das Gas soll bei seiner Verabschiedung übrigens gesagt haben: Du wirst in Zukunft nur mehr ein paar Stunden am Tag Energie haben. Wenn du schlau bist, suchst du dir etwas zum Überleben, das keine Energie benötigt.

Im Garten liegen zum Beispiel!

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Rainer Haselberger

    Wir haben die fossilen Energieformen zu einem Suchtmittel gemacht. Jetzt kommt die Zeit der Entwöhnung, die schmerzt. Aber sie geht vorüber! Und dann merken wir, wie der geheilte Suchtkranke, dass das Leben ohne die Sucht schöner ist.

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