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Helmuth Schönauer
Und ewig singen die Ämter.
Stichpunkt

Wenn die Bundesregierung einen Brief an die Untertanen schickt, wird selbst der sedierteste Mensch hellhörig.
– Sind die am Ende?
– Wollen die mich aushorchen?
– Ist da wieder ein Schramböcksches Kaufhaus Austria im Spiel, nur dieses Mal aus Papier?

Wahrscheinlich trifft alles davon zu. Gemunkelt wird auch, dass die Behörde frische Daten für den Staatsrundfunk braucht, nachdem sich bereits ganze Jahrgänge von der Rundfunkeintreibungsmaschine GIS verabschiedet haben.

Offiziell geht es bei dem Schreiben, das dieser Tage die Haushalte in den Postkästen vorfinden, um einen sogenannten Energiegutschein.

Der Gutschein ist halb-anonym an die Wohnadresse gerichtet, erst durch das Ausfüllen mit Namen und Geburtsdatum wird er zu einem persönlichen Akt, der dann auch gleich wieder mit dem beigelegten Kuvert an die Bundesregierung zurückgeschickt werden darf.

Zuvor freilich muss man durch Ankreuzen eines Kästchens schwören, dass man nicht zu viel verdient.

Angeblich geht der Energie-Lottoschein später an die zuständige Stromgesellschaft, die einen gewissen Betrag auf die nächste Stromrechnung gutschreibt.

Ehe man das Kuvert zuschleckt, um an diesem Gewinnspiel teilzunehmen, löst die erste Zeile langwährende Unruhe aus.

Man soll schlicht den Zählpunkt ausfüllen!

Abgesehen davon, dass er nicht gegendert ist und wahrscheinlich für Hauhaltsvorständinnen nicht gilt, ist der Ausdruck „Zählpunkt“ in weiten Gegenden des Landes unbekannt.

In Innsbruck etwa wird Kundennummer und Anlagennummer verwendet, von einem Zählpunkt ist in keinem Vertragspapier mit dem Stromanbieter die Rede.

Die Regierung hat offensichtlich diesen Begriff aus einem ihrer sie beratenden Startups zugekauft und ins nächste Formular geschmuggelt in der Hoffnung, dass viele aufgeben und den Gutschein wegschmeißen.

Als gelernter Erwachsenenbildner bin ich beim Lesen von Formularen immer sehr aufmerksam, durfte ich doch am Höhepunkt meiner Beamten-Karriere für diverse Projekte die Formulare erstellen.

Dabei hatten wir uns in der „Formularabteilung“ an einen lustigen Grundsatz zu halten, der den vollen Geist von Hofräten versprüht.

„Formulare sind das Gegenteil von Gedichten. – Ein Formular ist gut, wenn du alles verstehst, ein Gedicht ist gut, wenn du nichts verstehst.“

So wurde uns schon vor dem ersten Entwurf alles Lyrische aus der Kreation getrieben, und wir bastelten knallharte Formulare, die in allen Abteilungen einsetzbar waren.

Diese hohe Kunst, mit den Erwachsenen eines Landes formvollendet mithilfe eines Formulars zu sprechen, ist mit der Digitalisierung ziemlich abhanden gekommen.

„Zählpunkt“ ist einfach ein schlechter Begriff, der schlechte Stimmung macht.

Ich weiß nicht, wie andere auf das Formular reagieren, ich habe mich jedenfalls selbst als männlichen Zählpunkt ausgerufen und meine Kundennummer in den Gutschein eingetragen.

Diese ewige Ungemach mit Behörden, Ämtern und der Regierung erinnert mich daran, dass der erste Film meines Cineastischen Lebens von eben dieser undurchdringlichen Verstocktheit aus der Vergangenheit gehandelt hat: „Und ewig singen die Wälder“

Seither bin ich auf der Suche nach diesen Wäldern, die ich noch immer in den Behörden vermute.

Meine Lieblingsbehörde sind übrigens die Bundesforste.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. c. h. huber

    nur gut, dass ich diesen kommentar gelesen habe, ehe ich an das ausfüllen des formulars gegangen bin, das erspart mir blamagen und in der warteschleife dümpelnde anrufe – danke helmuth!

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