Helmuth Schönauer
Sozialstützpunkt, bitte klingeln!
Die Verbesserung von Tirol 3

In loser Folge stellt Schöpfblog Projekte, Träume und Treatments vor, in denen es um eine Verbesserung von Tirol geht.

Kluge Parteien werden diese Serie abonnieren und überlegen, ob sie nicht die eine oder andere Idee in ihr Portfolio aufnehmen, haben sie doch meist außer Bauplänen für Chalets nichts im Zauberkasten der Phantasie.

Glaubst du, auch nur ein einziges Kind ginge zur Schule, wenn keine Schulpflicht bestünde?

Die Curriculum-Entwickler an den Schulen haben es leicht. Was immer sie verzapfen, es wird durchgezogen und über die Köpfe der Delinquenten gleichmäßig verteilt.

Und den Beglückten ist es egal, was da kommt. Hauptsache es hat einen Namen und man weiß im Stundenplan, wo man ungefähr umgeht. Denn letztlich ist jeder Unterricht eine gleichförmige Wurst, nur durch den Titel unterscheiden sich die einzelnen abgeklemmten Portionen.

Nicht alle sind in diesem System fertig, wenn das System mit ihnen fertig ist. Ein Großteil der Menschen, die das Pflichtschulprogramm absolviert haben, vertrüge noch eine Unterrichtung in den wichtigsten Fragen des Lebens.

Wie wohne ich, wie viele Freunde brauche ich, ist es klug, Kinder zu haben, wie viel CO2-Abdruck hinterlässt mein Hund, wie heize ich ohne Gas?

Fragen über Fragen, die früher einmal von der sogenannten Erwachsenenbildung aufgegriffen und notdürftig abgearbeitet worden sind.

Aber da es keine Pflicht gibt, sich über die wichtigsten Lebensfragen halbwegs zu informieren, tut sich mit der Zeit ein Konglomerat aus Verdruss, Isolation und sozialer Wüste auf, die man neuerdings mit Sozialarbeiterinnen beackert.

In der Stadtentwicklung ist mittlerweile vorgesehen, dass die Behörde die Menschen mit einer Straßenbahn erreichen soll, an den Endhaltestellen ist dabei jeweils ein sozialer Stützpunkt eingerichtet, an dem erklärt wird, wie man eine Straßenbahn gewaltfrei benützt.

Rund um diese zentrale Frage, die oft mit einem Bachelor-Studium unterfüttert ist, soll sich das Sozialpersonal bei Bedarf auch darum kümmern, was die Leute so zwickt, wenn sie sich selbst überlassen sind.

In Innsbruck ist man gerade dabei, die diversen Stadtteile mit entsprechenden Sozialstationen auszustatten.

„Sozialstützpunkt, bitte klingeln!“

Dieses Schild hängt tatsächlich an einem dieser magischen Sozialpunkte und man überlegt sich als Vorbeiflanierender, wer da wohl läuten wird und warum.

– Klient: Guten Tag, ich bin einsam, was haben Sie im Programm?
– Sozialperson: Was hättens denn gerne?
– Klient: Wenn ich das wüsste, hätte ich nicht bei Ihnen geklingelt.

Am Sozialschalter ist das aktuelle Programm ausgehängt:
3x pro Woche am Vormittag Bodenturnen für Frauen.

Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die soziale Klientel weiblich, übergewichtig und arbeitslos sein muss, um in den Genuss einer Leistung zu kommen.

Der Klient will noch einen Vorschlag machen, aber da ist die vorgesehene Anfragezeit schon vorbei.

So wandert diese Idee eben jetzt in den Schöpfblog in die Serie „Verbesserung von Tirol“.

Der Vorschlag ist relativ überschaubar und nennt sich „Kopfturnen“. Dabei können alle mitmachen, die einen Kopf haben.
Im Mittelpunkt steht eine sogenannte Diskussionstombola. In der Trommel sind Geschichten, Erinnerungsstücke und Rätsel eingelagert. Pro Sitzung wird kräftig an der Trommel gerührt und dreimal gezogen.

Die Themen werden diskutiert, Lösungen eingeleitet oder an diverse Facheinrichtungen weitergegeben.

Das Sozialpersonal moderiert in Bachelormanier und achtet vor allem, dass gut gegendert und niemand ausgeschlossen ist.

„Kopfturnen“ könnte regelmäßig an einem fixen Termin stattfinden, zum Beispiel nach jedem zehnten Bodenturnen.

Ziel der Maßnahme sollte es sein, dass niemand mehr eine Sozialstation braucht und die Klingel stumm bleibt.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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