Helmuth Schönauer bespricht:
Doron Rabinovici
Die Einstellung
Roman
In sogenannten „liturgischen“ Romanen geht es darum, einen bewährten Plot aufs Neue zu erzählen, um die Anhänger der Plot-Konstellation darin zu bestärken, dass sie zu den Guten gehören und richtig liegen.
Doron Rabinovici erzählt eigentlich den gesamten Roman durch den bloßen Titel – „Die Einstellung“. In der Doppeldeutigkeit des Begriffes wird klar, dass für einen Fotografen nicht nur die Einstellung an der Kamera entscheidend ist, sondern auch seine persönliche, die mit einer politischen einhergehen muss.
Als Erzählfaden durch ein Gewirr aus politischer Aufgeregtheit, Fakes, philosophischen Erkenntnissen und moralischen Thesen ist eine Kampagne ausgelegt, wie sie in den letzten Tagen vor einer Wahl vor allem im ländlichen Gebiet stattfindet.
Der Populist Ulli Popp, eine klare Anspielung auf Populismus und Popanz, wird vom Star-Fotografen August Becker während eines ruralen Bieranstichs gestellt, das Foto des Politikers mit einem Hammer in der Hand wird zur Ikone, die allen politischen Gruppierungen etwas anderes erzählt.
Die Wahrheit liegt weder im Ganzen noch im Ausschnitt eines Bildes, das macht es so kompliziert. Der Fotograf wird mit diesen Spielregeln gleich mehrfach konfrontiert. Einmal weiß er um die Kraft der Manipulation: Wenn man beim Bieranstich das Bierfass weglässt, wird daraus das Hammerbild! Andererseits wird er selbst künstlerisches Opfer der Manipulation, indem sein Selbstbild in eine Macho-Kollage eingebaut und übermalt wird.
Dieser Kampf um gute und schlechte Wahrheiten verfolgt den Fotografen auf Schritt und Tritt. Mittlerweile ist er eine fixe Größe geworden, sodass Reportagen rund um seine Bilder entstehen, und nicht umgekehrt die Bilder einen Text untermalen. Die Wahrheit eines Artikels richtet sich nach dem Marktwert des Fotografen, den dieser am Wahrheitsmarkt hat.
Dabei steckt hinter allem öffentlichen Tun ein privater Antrieb. In der Diskussion mit seinem Sohn, dem das Studium finanziert werden muss, kommen die ersten Schritte beim Fotografieren zur Sprache.
Das Kind August stolpert über das Bein eines Verwandten, dabei fällt seine erste Kamera in einen Bach, und das Kind ruft „Nazisau“, weil es das für solche Anlässe gelernt hat. Jetzt steht der alte August vor dem Problem, dass er Bilder verkaufen muss, um dem Sohn das Studium zu ermöglichen. Dabei kommt ihm die Idee, das Hammerfoto dem Übeltäter zu schicken, es quasi zu einem Geschäft zu machen.
Der Populist freilich verwendet das Bild des „linken“ Fotografen für seinen persönlichen Wahlkampf, August verliert mit einem Handschlag jegliche Reputation unter seinen Jüngern.
Die „Einstellung“ könnte man auch als Austausch zweier Blasen beschreiben: Die politische Blase mit Volksheld und Entourage trifft auf die Presseblase, die dem Tross hinterherzieht. Privat pflegen die Insassen der Blasen unkomplizierten Kontakt, ja es gilt sogar als besonders sportlich, wenn einem ein Geschlechtsverkehr mit einer Insassin der jeweils anderen Blase gelingt, und das gilt auch geschlechtlich umgekehrt. Die ländliche Wirkung auf das Gemüt und die Hormone ist bemerkenswert.
Der Roman ist in der Struktur grobkörnig und allgemein gehalten, schließlich soll er ja im ganzen Sprachraum für Genugtuung sorgen, nicht nur im verzwergten Österreich, wo sich Alt-Haiderianer und Jung-Kurze phasenweise wiedererkennen.
Auch die Presselandschaft, die es in der klischeehaften Ausgestaltung durchaus mit einer Prospekt-Idylle aufnehmen kann, ist für viele Gesellschaften bis zur Kenntlichkeit entstellt. In die Holzschnitt-Handlung sind stets kleine Ergüsse und Weisheiten eingebaut, die vor allem beim Anmachen für den Geschlechtsverkehr, beim Anwärmen für den nächsten Speisegang oder bei einer rustikalen Familienfeier hervorgehoben werden. So wird ein Populist einmal mit einem Untoten verglichen, der kein Spiegelbild ergibt, und deshalb nicht fotografiert werden kann.
Wie bei allen moralisch gut unterfütterten Romanen überwiegt während der Lektüre das Gefühl, dass man dazugehört und auf der richtigen Seite steht.
Schließlich ist der Fotograf kraft seiner Einstellung ein guter Entscheider für knifflige Sachlagen. Nach der Lektüre freilich stellt man fest, dass der Zugewinn an Neuigkeit sehr mäßig ist, außer man dichtet sich selber einen Nutzen hinzu.
„Die Einstellung“ lässt sich nämlich nicht nur als Nachrichtenbörse zwischen Politik und Journalismus lesen, man könnte sie auch als Roman über Dichter und deren Rezensenten lesen.
Der moderne Literaturbetrieb funktioniert nämlich wie ein Wahlkampf: Lauter Volkstribunen und Schreib-Populisten allenthalben, die von einem Gefolge umgeben sind, bei dem es vor allem um guten Wein und Sex geht. Und weit draußen sitzt das eingeschüchterte Lesevolk, das von diesen Programmen und Romanen die Schnauze voll hat.
Doron Rabinovici: Die Einstellung. Roman.
Berlin: Suhrkamp 2022. 230 Seiten. EUR 24,70. ISBN 978-3-518-43059-0.
Doron Rabinovici, geb. 1961 inTel Aviv, lebt in Wien.
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