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Helmuth Schönauer
Zu Ostern packen alle ihre Eier aus!
Stichpunkt

Dieser schöne Spruch geht auf einen alten Brauch zurück, wonach die Vorfahren nach dem Winter aus den Höhlen gekrochen sind und sich wieder lustvoll im Frühjahrslicht gezeigt haben. Da war viel Gaudi im Spiel, und unter anderem wurde die hormonelle Lage in der Truppe zur Diskussion gestellt. Wer würde wohl heuer noch ein Kind zeugen? Wer das Geschlecht wechseln? Wer würde still im Wald verschwinden für einen Initiationsritus an sich selbst? Wer würde die Säfte zurückfahren und auf Vifzack machen?

Das Eier-Zeigen hatte seinen Sinn.

Und auch heute noch werden um diese Jahreszeit Gartengeräte ausgepackt, der Allrad in die Waschröhre gesteckt und Eier unter die Hecken gelegt, damit die Kids etwas in Bewegung kommen, wenn sie zu Ostern die analogen Dinger suchen sollen.

Rund ums Ei fassen die Dichter, Denker und Glossisten besonders bunte Gedanken und legen sie der Leserschaft kichernd ins Feuilleton-Nest. Ein besonders radikal-witziger Entwurf für die Zukunft Tirols gleicht mit seinem recht einfachen Lösungsvorschlag einem perfekten Ei.

Das Gedanken-Ei fußt auf der Erkenntnis, dass die Wirtschaftswelt zwei Gesetzmäßigkeiten unterliegt:
a) Sie wächst immerzu.
b) Sie ist irreversibel.

Das Wachstum (auch das negative) wird dabei in der Wirtschaft zu einer mathematischen Maßnahme, die oft nur mehr in digitalen Operationen von Maschinen durchgeführt werden kann, wie beispielsweise die Sekundengeschäfte an der Börse. Auch die Zündung von Atombomben geschieht übrigens von Maschinen und nicht von Menschenhand! Soviel Schuld würde nämlich niemand aushalten.

Für den Laien sichtbar wird das Wachstum in mannigfaltiger Weise, am griffigsten sieht man es beim Plastik, wo das Wachstum bald die gesamte Erdoberfläche mit einer gehäckselten Kunststoffbrühe überzogen haben wird. Aber auch das Geld ist auf einem guten Pfad, es geht den umgekehrten Weg. Ziel des Kapitals ist ja die Akkumulation. Erst wenn alles Geld von der Erdoberfläche abgezogen ist und auf einem einzigen Haufen liegt, ist das Ziel erreicht.

Freilich ist dieses Ziel ein Annäherungswert, wie wir etwa beim Gold sehen. Wir können schürfen wie die Deppen und das Geschürfte in einen National-Tresor sperren, es wird immer noch ein paar Unzen geben, die sich nicht einfangen lassen und so den Idealzustand der Anhäufung ad absurdum führen.

Wer nun glaubt, das könne man alles lindern, mildern oder rückgängig machen, der sei auf das zweite Gesetz verwiesen.

Die Wirtschaftswelt ist irreversibel. Geschäfte, die getätigt sind, sind erledigt, Rohstoffe, die verbraucht sind, sind in der Atmosphäre oder auf Halde, Boden-Besitz, der einmal erworben worden ist, ist nicht mehr frei nutzbar.

In der Zange dieser beiden Gesetze ist auch Tirol eingeklemmt. Alles wird globaler, die Menschen werden mehr, der Druck auf die Ressourcen schier unerträglich. Jedes dieser einst ärmlichen Täler voller Muren und Felsstürze, das jährlich seine Bevölkerung in die Welt hinausschicken musste, ist mittlerweile mehrfach übereinander genutzt. Zum Teil besteht es aus Nutzungsschichten, die sich gegenseitig ausschließen.

So müssen überall in Tirol die Komponenten Naturschutz, Wohnungsbau, Transit und Verkehr, Tourismus und Industrie miteinander in Verbindung gebracht und bewältigt werden. Die Flächenwidmungspläne schauen dementsprechend wirr aus und gleichen von oben nicht von ungefähr jenem gehäckselten Plastikbrei, von dem eingangs die Rede war.

Der Ausweg aus diesem apokalyptischen Nutzungsgewusel dürfte in der Splittung der Ressourcen liegen. Soll heißen: Jedes Tal ist hauptsächlich für ein Segment zuständig und nicht für alles.

Das vielgeschmähte Wipptal hätte nach diesem Plan die Kernkompetenz für Transit. Es würde endlich als Wohngebiet aufgegeben und die Menschen allmählich abgesiedelt werden. Bereits im vorigen Jahrhundert hat man dieses Tal ja schon der EU geopfert, die Leute wissen zwischen den blumigen Zeilen seit Jahrzehnten Bescheid, dass sie hier immer den Kürzeren ziehen, wenn sie nicht freiwillig absiedeln.

Umgekehrt sollte ganz Osttirol in eine Naturzone verwandelt werden, zumal die Bevölkerung oft noch sehr bodennah und natürlich in der Landschaft lebt.

Die touristisch bereits verwüsteten Gebiete sollten durchaus den neuen klimatischen Gegebenheiten angepasst werden. Dem Massentourismus ist es egal, ob er am Gletscher mit Schiern oder auf der Gletschermoräne mit dem Mountainbike herumfährt, Hauptsache, das Gelände ist tagsüber voll wie die Birne am Abend.

Die Gegend zwischen Münster und Bad Häring könnte als Reha-Land ausgebaut werden. In den nächsten zwanzig Jahren könnte man sich auf die Boomergeneration als Kundschaft stürzen, der man durch Rundumpflege wieder jenes Geld abnehmen könnte, das sie sich während des Lebens erspart hat.

Das Außerfern schließlich könnte man als Zweitwohnbezirk für Deutsche ausbauen. Die armen Wochenend-Besucher müssten sich nicht mehr über den Fernpass quälen und könnten ihre Anlegerobjekte von Füssen einwärts klaglos nutzen.

Wem das segmentierte Leben noch etwas komisch vorkommt, der möge an die Hotellerie denken. Dort ist es durchaus üblich, dass sich die diversen Häuser auf Kinder, Hunde oder Rollator spezialisiert haben.

Natürlich ist vor allem die Tiroler Raumordnung gefragt, die gröbsten Maßnahmen zu setzen. Man muss nicht überall eine Kita eröffnen und kinderreiche Familien anlocken, wenn sie sich dann zum Dank über den Transitlärm aufregen.

Aber auch die Bewohner sind angehalten, das Umfeld passend zu gestalten. Wenn jemand weiß, dass seine Gene Kinder mit schwachen Atmungsorganen hervorbringen, sollte er vielleicht nicht neben der Autobahn wohnend ein Kind zeugen. Wenn jemand gerne auf Leute verzichtet und lieber mit Pferden spielt, sollte er nicht in ein Tal voller Diskos und Kitzlöcher ziehen.

Und wenn jemand Ruhe und Pflege braucht, sollte er sich im Banat zur Ruhe setzen und nicht von dort ständig Personal abziehen nach Tirol, wo das Pflegepersonal in Notquartieren gehalten wird.

Die meisten jammern letztlich über das, was sie sich selbst mit der Idee eingebrockt haben, dass Tirol gigantisch sei auf allen Nutzungsebenen. Vielleicht wäre es das Ei der Lösung, wenn man sich unter der Plastikschicht des Weltuntergangs noch einmal zum Frühjahrstanz wie die Vorfahren einfände.

Da könnte man dann wieder die Gedanken-Eier von anderen begutachten und würde sehen, wie zufrieden man mit den eigenen sein kann.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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