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Helmuth Schönauer
Nachtrag zur Fleisch- bzw. Leberkäsfrage
Patriotische Anmerkung
zum Artikel Gerda Waltons
vom 30.03.2023

Der Fleischkas, ob frisch gebraten oder permanent angewärmt, lässt niemanden kalt.Wer die Betriebstemperatur in einem öffentlichen Verkehrsmittel erhöhen will, muss nur mit einer angebissenen Fleischkas-Semmel einsteigen, egal bei welchem Zustieg, er wird sofort Tumult auslösen, ob vorne bei den Senioren oder hinten bei den Smart-Usern.

Der Fleischkas erregt bei Veganösen und Fleischtigern gleichermaßen Aufsehen. Er ist auch ein ideales Maß dafür, den Status der Integration zu überprüfen.
Wenn jemand aus einem wertvollen Kulturkreis kommend in Innsbruck eintrifft, kennt er allerdings für das Kulturgut, das ihn erwartet, den üblichen Ausdruck Leberkäse. Wer Fleischkas in seinem aktiven Wortschatz aufweist, ist anerkannter Innsbrucker, wenn nicht gar Tiroler.

Die Unterscheidung Fleischkas versus Leberkäse soll auf den Abwehrkampf der Tiroler gegen die Bayern zurückgehen. In Bayern hatte man den Leberkäse unter Zuhilfenahme Pfälzischer Rezepte ab 1777 eingeführt, wo er sich zu einem Grundnahrungsmittel für den Vormittag entwickelte.

Als die Bayern dann zeitnah ab 1806 ins herzige Tirol einmarschierten, um es kulturell zu schänden, nahm der Volksmund die als Waffe gedachte Jause begeistert an. Freilich sagten die Tiroler trotzig Fleischkas zum Vormittagsimbiss, damit man nicht an die Bayern erinnert würde.

Man könnte historisch augenzwinkernd sagen: Wenn es sich um ein Genussmittel handelt, sagt man Leberkäse zu ihm, wenn man auf den politischen Abwehrkampf verweist, nennt man es Fleischkas.

Innsbruck gilt als ausgesprochene Abwehrstadt für alles, spätestens seit der Bürgermeisterin Hilde Zach (2002–2010) als Hauptstadt des Fleischkases. Diese originelle Schutzpatronin für die Stadt wurde liebevoll Fleischkas-Hilde genannt. Der legendäre Metzgerinnenspruch, darfs a bissl mehr sein, kam plötzlich den Kulturschaffenden zugute.

Längst hat sich der Fleischkas einen Fixplatz als Thema für politische, kulturelle und Lebensmittel-ethische Fragen entwickelt.

Weiterführende Literatur:
https://www.fleischwirtschaft.de/fachbegriffe/leberkaese-leberkaes-fleischkaese–4053
Helmuth Schönauer: Bürger Metzger Meisterin. Roman              https://digital.obvsg.at/urn/urn:nbn:at:at-ubi:2-36142

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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