Helmuth Schönauer
Wissenschaftlerin streikt am Heldenplatz.
Stichpunkt
„Wir leben im 21. Jahrhundert. Die Klimakrise hat sich durch jahrzehntelange Untätigkeit zu einer weltumspannenden Katastrophe entwickelt. Wenn wir unseren rücksichtslosen Raubbau an der Natur so fortsetzen, bedeutet das für hunderte Millionen – wenn nicht Milliarden – Menschen den Tod. Unsere Regierungen handeln weiter, als gäbe es kein Morgen. Ich kann dem Wahnsinn nicht länger zusehen.“
Eine Wissenschaftlerin liegt seit Tagen am Wiener Heldenplatz und macht einen Hungerstreik. Macht sie das als Wissenschaftlerin gegen ihre eigenen Daten, die den Weltuntergang nicht hergeben. Oder macht sie es gegen die Wissenschaftler, die sich zu wenig gegen die Klimakatastrophe engagieren?
Menschen mit Phantasie malen sich schon aus, wie in Zukunft in den Labors und Werkstätten die Forschenden ihre Arbeit niederlegen, wenn hinten nicht das herauskommt, was sie vorne in der Laborinstallation eingefüllt haben.
Wir Schriftsteller malen uns schon aus, wie wir streiken, bis die Welt so ist, wie wir sie in unseren Romanen beschreiben. (Das Problem ist freilich, dass die Welt sich noch nie etwas um die Schriftsteller geschert hat.)
Das Bild, wonach ein Wissenschaftler sich selbst zurückzunehmen hat, um der Sache zu dienen, hat plötzlich Risse bekommen. Die Emotionslosigkeit ist ja das Grundprinzip der Wissenschaft. Und zur seriösen Forschungsarbeit gehört es, dass man die Gefühle wegsteckt, wenn man gescheitert ist.
(Hier können die Wissenschaftler immer noch bei den Schriftstellern in die Schule gehen, diese schreiben nämlich oft einen Scheiterhaufen nach dem anderen zusammen, und es macht ihnen nichts aus.)
Als sich nach einer Woche nichts tut, weder am Heldenplatz, noch in der Welt, geht die Presse zu neutraleren Formulierungen über. Aus der Wissenschaftlerin wird nun eine Aktivistin, die für das Klima streikt.
Ab jetzt wird wieder alles klar und gewöhnlich: Die Wissenschaftlerin hat offensichtlich eine Depression erlitten, nachdem sie ihre eigenen Forschungsergebnisse zur Klimaentwicklung gesehen hat, und eine Auszeit aus der Wissenschaft genommen, indem sie Amateur-Aktivistin geworden ist.
In der Wahrnehmung der anderen liegt sie in der Kategorie „Greta“ am Heldenplatz, und täglich gibt es einen Streikbericht für die Presse. „Die Hitze macht die Sache nicht einfacher“, wird sie zitiert und menschlich gemacht.
Manche fragen sich noch, wie man durch öffentliches Herumliegen zur Aktivistin werden kann, aber schon sind die Gandhi-People zur Stelle und erklären das System Hungerstreik. „Der hat damals ganz Indien ohne Kalorien befreit!“
Nachdem die Sache mit den Daten und der Wissenschaft geklärt ist, – die Wissenschaftlerin hat sich den Daten unterzuordnen! – kann sich die Öffentlichkeit wieder der Aktivistin zuwenden, die in der nächsten Zeit tapfer die diversen Sommerlöcher auf dem Nachrichtenmarkt stopfen wird.
Mittlerweile wissen wir auch, dass sie gegen den Lobau-Tunnel ist, als hochbegabt gilt, in einer Fernsehshow bei einem Quiz 65.000 EUR gewonnen hat und damit finanziell unabhängig ist.
Angeblich gehen die Postings zu ihren Artikeln schon wieder zurück, bald wird auch diese Aktion zu dem geworden sein, was uns Archivare so glücklich macht: Eine Episode mit Schlagzeile, Trivialität und keiner Botschaft. Solche Sachen eignen sich besonders gut zum Archivieren. Es kommt eben nicht viel heraus, wenn man gegen sich selbst streikt.