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Helmuth Schönauer
Ungooglebar
Stichpunkt

Die Digitalisierung ist schon verdammt nahe an unsere Körper herangerückt, die Maus springt in die Hand, der Screen umschmeichelt die Fingerspitzen und in der Röhre eines CT fühlen wir uns im 3D-Format in unsere Einzelteile zerlegt.

Bald werden wir diverse Chips im Körper herumtragen, wir werden sie nicht spüren und vielleicht gar nicht wissen, wie wir zu ihnen gekommen sind. Auch ohne einer Verschwörungstheorie anheim zu fallen: Die Digitalisierung ist noch lange nicht zu Ende!

Drei Natur-Gesetze bestimmen unser Leben: Nichts lässt sich ungeschehen machen. Alles läuft auf Vermischung und Verflachung hinaus (Entropie). Das Geld gibt erst dann eine Ruhe, wenn es in einem einzigen Haufen kumuliert ist.

Die Digitalisierung steht diesen Gesetzen neutral gegenüber, sie beschleunigt oder verlangsamt die Prozesse, je nach Sichtweise. So hilft sie beispielsweise dabei, dass der Unterrichtsstoff rasch zu den Kids kommt, sie verlangsamt aber die Aufnahme des Stoffs, weil der Weg zur sinnlich erfassbaren Realität länger geworden ist.

Jeder kennt das auch vom Navi. Man weiß zwar früher um den anstehenden Stau Bescheid, steht aber dann länger drin, weil man es länger weiß.

Alle Apps und Anwendungen zeigen, dass es auf die letzten Zentimeter ankommt. Ein Date kann noch so digital sein, erst das Schmatzen beim Dinner zeigt, ob das Visavis auch emotional erträglich ist.

Während der Mainstream auf Digitalisierung bis hinein in den Zellkern des Menschen setzt, entwickeln sich im Schatten der Foren und Netze digital-subversive Lebensstile, die man fallweise schon Analogisten nennt.

Hierbei handelt es sich nicht um Verweigerer des Digitalen, sondern um kreative Abweichler des global ausgegebenen Zukunftskurses.

Am Beispiel der Kriminalität, die der akademisch geschulten Intelligenz immer einen Schritt voraus ist, lassen sich die beiden Strömungen gut darstellen. Die einen tauchen im Darknet unter und erledigen dort ihre Geschäfte im Stile von Konzernen. Die anderen bedienen sich der haptischen Erfahrung in der Gruppe und gründen Schlägertrupps, religiöse Kommunen oder abgeschottete Überlebenscamps.

Dieser Tage warb die deutsche Handelskette TEDi mit dem ausgesprochen faszinierenden Ausdruck „ungooglebar“ für ihre analoge Verkaufsstrategie.
Während alles ins Netz stürmt und sich online beschicken lässt, wirbt diese Idee mit einem kleinen Märchenschloss, das in jeder Verkaufshalle steht. In einer diskreten Nische soll es Artikel geben, die nicht im Netz angeboten werden, und die man auch nicht googeln kann. So etwas wie das gute alte Überraschungsei eben!

In diese Kategorie fallen übrigens auch die Wikipedia-Verweigerer, die davon ausgehen, dass etwas zerstört ist, wenn es zum standardisierten Partikel einer Schwarmintelligenz wird.

Gerade Kunstwerke lassen sich nicht ins Netz stellen. Was man dort vorfindet, ist deren digitalisierter Marktwert.

Wenn man genau hinschaut, gibt es sie, diese bewusst angelegten Maßnahmen, die aus dem Netz hinausführen und zu einem analog gesteuerten Unikat werden.

Schon länger ist es üblich, gute Urlaubstipps nicht zu verraten, wie man früher die Schwammerl-Plätze niemals verraten hat. So kennt vielleicht jeder ein entlegenes Küstendorf, in dem nur über Fisch gesprochen wird. Wer einmal in Bulgarien war, kennt einen verschlafenen Bahnhof, an dem nur ein Zug am Tag hält. Wenn in einer abgelegenen Dorfgasse das Hausbankl-Fest stattfindet, ist es ein Nogo, dass man sich über soziale Medien verabredet.

Die klugen Alten gewinnen noch einmal an Lebenskompetenz, weil sie nur das glauben, was sie selber greifen können. Nach der Pandemie glauben sie an nichts mehr.

Vermehrt gibt es schon wieder echte Bücher, die keine ISBN-Nummer haben und aus der Vermarktung aussteigen.

Diese analogen Widerstandsnester zeigen, dass der Mensch auf seine Sinnesorgane angewiesen ist, um daraus ein Glücksgefühl zu generieren. Der Geschäftsführer der IG Autorinnen, Gerhard Ruiss, bringt es auf den Punkt: „Sie haben zwar das Netz, aber wir haben den Content“

Auf dem Weg zum Glück steht verlässlich Google im Weg. Was ungooglebar ist, kann dich noch am ehesten glücklich machen.


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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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