Helmuth Schönauer bespricht:
Markus Fenner
"Binabichl. Die Liebe in einer anderen Welt"

Wenn der Titel eines Romans grotesk-witzig genug ist, musst du dein Leben unterbrechen und darin zu lesen beginnen. „Bin-a-Bichl“ ist sprachlich gleich gestaltet wie das häufig verwendete „Bin-a-Trottl“, womit gesagt ist: Endlich einmal beginnt ein geographischer Haufen aus sich heraus zu sprechen!

Markus Fenner stellt dem Roman Binabichl eine kursiv gesetzte Liebesgeschichte voran: darin wird am Beispiel des Münchner Psychiaters Dr. Melzer und seiner Geliebten Amrei vom Dorf gezeigt, dass Romeo und Julia  nicht zusammenkommen können. Neben dem Schicksal des lieblichen Paares kommt auch gleich das eigentliche Thema zur Sprache: Die Voralpen.

Dieser Begriff aus der Meteorologie, zu dem es keinen Plural gibt, ist bekannt für seine diffusen Wetterlagen. Nicht umsonst hebt der Autor in seiner Biographie hervor, dass er ein Wesen dieses Alpenvorlandes ist.

Kulturgeschichtlich gesehen handelt es sich um einen finanziell übermütigen Wohnhaufen, der weder Stadt noch Land ist, und worin als einzig anerkannte Größe des Daseins die Tagesverfassung gilt. So strotzt Binabichel bei gewissen Wetterlagen vor Selbstbewusstsein, zu anderen Zeiten wirkt vor allem das Hermetische, mit dem es sich vor der Außenwelt schützt.

Der nun einsetzende Plot spielt vier Jahre nach dem Eröffnungsszenario und bedient die Genres Liebes-, Spionage-, Heimat-, Psycho- und Kriminalroman. Ermöglicht wird die Vielfalt durch die Figur des Psychoanalytikers Melzer, der einen Geheimauftrag seines Psycho-Labors annimmt, um das Drogenverhalten einer auffällig gewordenen Jugendgruppe zu analysieren.

Diese Jugendlichen sind seltsam berauscht in ein Kreiskrankenhaus eingeliefert worden, wobei den Forscher vor allem Binabichl reizt. Endlich kann er unauffällig in das Dorf seiner ehemaligen Geliebten Amrei zurückkehren und nach dem Rechten sehen.

Während Melzer noch den versteckten Ort umkreist und vor allem das darin gebraute Bina-Bier genießt, bereitet sich Amrei auf die Begegnung mit dem außerirdischen Städter vor. Sie hat ordnungsgemäß das Kind aus der Gspusi in München zur Welt gebracht, ist Lehrerin geworden und möchte das schlampige Verhältnis von damals zu einer satten Lebensgeschichte verformen.

Bei einem nächtlichen sexuellen Vorstoß über die Wäschekammer des Hotels direkt auf die Genitalien des Geliebten werden dessen Sinnesorgane dermaßen überreizt, dass sein psychiatrisches Wissensgebäude schlagartig zusammenbricht.

In den kommenden Tagen lichtet sich der erotische Rausch, so dass man eine klare Geschichte darin erkennen kann. Binabichl hat sich im Dreißigjährigen Krieg eine Methode zurechtgelegt, wie man sich abschotten und dennoch überleben kann. Zu diesem Zweck hat man den sogenannten „Schmoiz“ erfunden, der den damit Kontaminierten zu einer Meta-Realität verhilft, die als „Mitfühln“ beschrieben wird. Für die Fortpflanzung im Dorf sind seither nur Menschen zugelassen, die sowohl „Schmoiz“ als auch „Mitfühln“ beherrschen.

Dem guten Melzer wird klargemacht, dass er eine Tochter mit Amrei hat und jetzt gefälligst in Binabichl seine Praxis aufschlagen sollte, zumal der künftige Schwiegervater ebenfalls Psychiater ist.

Während die Liebesgeschichte ihren unaufhaltsamen Lauf nimmt, müssen die aufgeschreckten Behörden zur Räson gebracht werden. Der Staat wird nämlich immer dann argwöhnisch, wenn jemand esoterische Mittel verwendet, um sein Glück ohne Behörde zu erreichen. Der eingesetzte Überwachungstrupp schaltet sich nach dem Einsatz künstlicher Erregung selbst mit Teasern aus. Später wird das Amtsversagen als psychische Störung deklariert und der Akt geschlossen.

Markus Fenner verwendet professionell alle Versatzstücke aus der dramaturgischen Kiste des „Tatort“, um zu zeigen, wie die moderne Unterhaltungsliteratur funktioniert. Die Konturen zwischen Stadt und Land sind in einen Wohlfühl-Nebel getaucht, die Menschen haben Kohle und Tagesprogramm und scheitern dennoch an ihrem Individualismus, der außer Konsum keine Regung zulässt.

Mit Hilfe von Bräu-Räuschen und alten Pilzkulturen müssen jene Dinge in Fasson gebracht werden, die früher von selbst funktioniert haben, wie das Denken, die Liebe und die Lebensekstase.

Es ist auch kein Zufall, dass es von angeschlagenen Psychiatern und Psychologen nur so wimmelt, gilt doch ein Problem erst dann als wichtig, wenn es von einem dieser Gurus behandelt wird. In einem Danksagungs-Absatz zählt der Autor lachend auf, welche Fantasy-Bücher aus der Kindheit ihm Pate gestanden sind, etwa Arthur C. Clarke, Isaak Asimov oder Stanislav Lem. Ein Leben lang verfolge ihn schon der Plan, ein Shangri-La in den Voralpen spielen zu lassen.

Ein Roman funktioniert immer dann, wenn seine Geschichte erzählt wird wie ein Schotterbett, worin die Gleise einer Denkspur eingebettet sind. Und die Denkspur führt eindeutig zur Erkenntnis, dass die hochgezüchtete Voralpengesellschaft ziemliche Probleme damit hat, die einfachsten Dinge ohne Psychiater auf die Reihe zu kriegen.

Binabichl erweist sich dabei als groteskes Lesevergnügen, aus dem der Konsument berauscht heraussteigt und ausruft: Bin-a-Leser!


Markus Fenner: Binabichl. Die Liebe in einer anderen Welt. Roman.
München: Verlag Berg & Tal 2021. 247 Seiten. EUR 17,40. ISBN 978-3-939499-63-3.

Markus Fenner, geb. 1950 in München, lebt am Alpenrand.

Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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