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Helmuth Schönauer bespricht:
Elisabeth Schmidauer
Fanzi
Roman

Als „oberösterreichische Eröffnung“ wird seit Adalbert Stifter jene Erzählhaltung bezeichnet, in der Großvater und Enkelkind aufeinanderstoßen und herzerwärmend zu erzählen beginnen. Dieses Story-Arrangement bewährt sich vor allem bei der historischen Darstellung von Familienereignissen mit überregionaler Wirkung.

Elisabeth Schmidauer lässt in ihrer Bauernhof-Saga aus dem oberösterreichischen Mühlviertel die Biologie- Studentin Astrid auf ihren Großvater Franz treffen. Nachdem der Kontakt zwischen den beiden abgerissen ist, ‒ aus den üblichen Umständen heraus, dass man sich nach dem Krieg zumindest ideologisch in alle Winde zerstreut hat, ‒ kommt es plötzlich zu einem innigen Treffen mit viel historischem Nachholbedarf.

Astrid will nämlich vom Großvater und Altbauern Franz ein Stück Wiese als unberührten „Schaugrund“ pachten, um darauf die aussterbende Natur in ihren letzten Zügen besser beobachten zu können.

In der Anfangsszene wird die Sache mit der Natur wissenschaftlich abgeklärt, eine Dozentin doziert bei einem botanischen Ausflug, dass die Natur nichts denkt. Und alles, was man ihr in den Mund legt, schrammt knapp am Kreativismus vorbei. (12)

Die Natur spielt im Roman in einer geographischen Gegend um Gusen, Engerwitzdorf, Gallneukirchen und Hartheim. Der gelernte Historiker weiß bei diesen Ortsangaben sofort, dass es sich hier um Nazi-vermintes Gelände handelt.

In der Erzählung des Großvaters kommen dann auch die Segmente zum Vorschein, die ein zerrissenes Bild von der Zeit gegen Ende des Krieges und der Epoche der Befreiung (vulgo Besatzung) abliefern. Die Natur am Bauernhof spielt dabei eine kriegswichtige Rolle als Nahrungsmittellieferantin, später als Unterboden für diverse Lager, schließlich als prosperierende Grundstückslieferantin und in der Gegenwart als vom Klima geschüttelte Einrichtung. „Die Natur holt es sich zurück“, (15) sagt dazu der Volksmund.

Früher war man mit den Begriffen nicht zimperlich, der Ausdruck „Vernichtungsfeldzug“ konnte Menschen in einem fernen Land meinen, eine Ethnie, oder einfach die Insekten am Feld und in der Küche, die man noch bis in die jüngste Gegenwart herauf kontinental ausgerottet hat. Hinter all diesen Spielarten steckt die Erkenntnis, dass die Geschichte eine Unterordnung der Natur ist.

Im Dialog, der sich als Sichtweisen von Franz und Astrid durch den Roman zieht, berichtet Franz schließlich von jener Ungeheuerlichkeit, die ihn bis in den Lebensabend hinein verstummen hat lassen. Seine kleine Schwester Elfi, die man ihm als Buben anvertraut hatte, wurde eines Tages abgeholt und in Hartheim ermordet. Von ihr stammt auch der schöne Kosename „Fanzi“, den sie verwendet hatte, als sie noch kein R sprechen konnte.

Obwohl diese Vernichtungsgeschichte allen bewusst war, hat man sich immer weggeduckt und die Zeit verdrängt. Als Gegenspieler zum Franz gab es lange einen verbitterten Naziopa, der mit dem Ausgang des Krieges nicht zurecht gekommen ist.

Wo ein deutscher Soldat steht, ist Deutschland / Wir haben gearbeitet wie Vieh und lebten wie Vieh, nämlich stumm. / Alles ist eine Frage der Nützlichkeit. ‒ Diese Sätze verfolgen Franz ein Leben lang, und Astrid merkt, dass sie noch immer wirken, aber man muss sie für sich erträglich machen. So stellt sich der Großvater als Bub immer vor, dass „im Krieg fallen“ etwas Weiches, Sanftes bedeutet, wie hinfallen auf einer Wiese oder ins Moos. (100)

Astrid reagiert auf die Geschichte mit dem Studium der Natur. Als Übungswiese studiert sie einen Flecken im Osttiroler Innervillgraten, wo angeblich noch alles unversehrt ist, weil die Menschen nicht über Geschichte reden. Es fällt ihr zunehmend schwerer, die Natur als Idylle zu betrachten. Am Urlaubsort legt sie Listen über Pflanzen an, die gerade beim Aussterben sind.

Im Anhang des Romans sind auf zehn Seiten die Namen aller in Hartheim ermordeten Kinder und Jugendlichen aufgeführt. Das Verfahren der Listen ist, wie uns Heimrad Bäcker als verzweifelter Erinnerungsdichter über diesen Ort gezeigt hat, die Stärke der beamteten Hinrichter. Das Regime hat penibel verzeichnet, wer „ausgemerzt“ worden ist, weshalb eine Erinnerung nur funktionieren kann, wenn man eine ebenso penible Liste des Nicht-Vergessens erstellt.

Astrid erschrickt offensichtlich öfters, als sie die Analogie Naturzerstörung / Menschenvernichtung bemerkt. Mit einem Kunstgriff versucht sie das Verblassen einer Wiese wie ein Königsdrama von Shakespeare zu inszenieren. Ein Literaturwissenschafter hat nämlich die Idee, dass man den Untergang von etwas mildern könnte, wenn man ihn wie ein Drama inszeniert.

Diese Analogie der Vernichtung treibt natürlich auch die Lesenden um. In der gelernten Erinnerungskultur ist es ein Tabu, das Insektensterben mit dem Holocaust zu verbinden. Aber die Figur der Astrid entstammt einer anderen Generation, in der es vereinzelt schon wieder Querdenkende gibt, die mit einem Judenstern gegen ihre angebliche Verfolgung auftreten.

Die Literatur hat die Aufgabe, an die Grenzen zu gehen und sie probehalber zu überschreiten. Elisabeth Schmidauers „Fanzi“ ist auf lange Strecken eine fast romantisierende Vierkanthof-Idylle. Aber darin sind wie die Granitsteine im Gemäuer gewaltige Brocken der Diskussion eingestreut. – Respekt!


Elisabeth Schmidauer: Fanzi. Roman.
Wien: Picus 2021. 267 Seiten. EUR 22,-. ISBN 978-3-7117-2114-3.
Elisabeth Schmidauer, geb. 1961 in Linz, lebt in Wien.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Franz Mathis

    Spannendes Buch und toller Stil. Kann es nur wärmstens empfehlen!

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