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Helmuth Schönauer bespricht:
Johann Kapferer
"Die Rabengang. Das Geheimnis der schwarzen Ruine.
Erinnerungen an unbeschwerte Jugendjahre in Zirl in Tirol"
Mit Illustrationen von Christian Yeti Beirer

Die Erinnerungsliteratur nimmt die Menschen als Zwischenwirt, um mit ihm ungeahnte Visionen über die Kindheit zu entwickeln. Eine besondere Form dabei ist die Jugendliteratur, worin jemand im Stile seiner Kindheit seine Träume aus dem Erwachsenenleben erzählt in der Hoffnung, dass es auch die Kids von heute interessieren wird.

Johann Kapferer schreibt Abenteuerbücher, die durchaus aus diesem Geiste der eigenen Kindheit verfasst sind. Die sagenumwobene Enid Blyton (gestorben 1968) schwebt im Hintergrund über einem Setting, das hell, zukunftsfroh und sommerlich wirkt. Ihre Bücher über Kinderbanden in der Ferienzeit prägen noch heute die Vorstellung, wie schöne Ferien gelingen könnten. Wenn man „Gang“ mit Arbeitsgemeinschaft übersetzt, so ist dieses Ferienmodell auch heute noch bei Groß oder Klein geschätzt, ob man nun einen Banküberfall durchführt, eine Regierung bildet oder eine naheliegende Ruine erkundet.

Die Geschichte von der Rabengang ist klar und ohne Schnörkel: Zwei Buben beschließen, die angehenden Sommerferien mit der Erkundung einer Ruine zu beginnen, zu der es einen Geheimzugang geben soll. Rechtzeitig zu Sommerbeginn stolpert ihnen ein Rabe zu, der sich den Flügel gebrochen hat. Aber statt nach gelungener Heilung wieder abzufliegen, bleibt Rudi, wie der Vogel mittlerweile heißt, in seinem Sanitätskorb sitzen und unterhält die Menschen, die bald einen Narren an ihm gefressen haben. Nach der Zeugnisverteilung gibt es noch einen Überraschungsausflug zum Innsbrucker Flughafen, wo ausnahmsweise keine Après-Gletscher-Skifahrer abgeholt werden sollen, sondern eine Cousine aus Kanada.

Einen guten Sommer musst du von der ersten Stunde an zelebrieren, weshalb sich das Vogel-Kinder-Quartett die „Rabengang“ nennt und mit dem Abenteuer in der Ruine beginnt.

Da trifft es sich gut, dass zwei Gangster eine ähnliche Idee haben. Sie haben soeben einen analogen Banktresor ausgeraubt und verschleppen die Beute, ebenfalls analog, in einen geheimen Serviceraum in der Ruine. Bald gibt es ein gegenseitiges Stutzen, Verfolgen, Verstecken und Austricksen. Die Rabengang hat den Vorteil, dass sie den Raben Rudi wie eine Drohne einsetzen kann.

Zur Abrundung wird dann die Behörde eingeschaltet, die vorerst die eingesperrten Kinder aus dem Gemäuer befreit und sie anschließend mit einem echten Helikopter auf Gangsterjagd mitnimmt. Die Bankräuber ergeben sich, als sie das Hubschraubergeräusch hören. Sie wissen, dass sie verloren haben. Denn wenn in Tirol irgendwo ein Heli landet, tut er Gutes, und spuckt entweder einen Goldesel am Gletscher aus oder nimmt einen Verletzten mit. So geschieht es auch in diesem Fall: die Beute wird den Gangstern entrungen und sicher bald den geschädigten Reichen übergeben werden.

Illustriert sind die Höhepunkte der Rabengang durch Yeti, der einen unverwechselbaren Porträt-Stil entwickelt hat. Ihm gelingt es easy, verschreckte Augen in der Dunkelheit zum Durchhalten zu bewegen, das Karma einer Ruine in die Ferienköpfe von Kids zu transportieren, oder einen Raben im Frontalangriff auf eine Gangster-Kiste zu zeichnen. Vor allem das Porträt zweier Männer in eleganten Anzügen, die als Edel-Models auftreten, lässt einen im ersten Blick an einen lokalen Wahlkampf denken, ehe man das Bild dann konzentriert in den Kontext zurücklegt.

Johann Kapferer hat mit den Jahren einen einzigartigen Stil entwickelt, der vorerst Verwirrung stiftet, weil er mehrdeutig ist. Ist das nun ein Kinderbuch oder doch eine nostalgische Abrechnung der Großelterngeneration? – Beides. Die Kids werden erst später in ihrem biologischen Herbst, wenn quasi das Klima die Welt vernichtet hat, merken, wie mehrdeutig Träume sein können. Und die Erwachsenen wissen um die Unschuld, die Voraussetzung für Träume ist. Je schöner das Versinken in dieses Abenteuerbuch ausfällt, umso robuster wird das Aufwachen im Tirol der Gegenwart.

Johann Kapferer: Die Rabengang. Das Geheimnis der schwarzen Ruine. Erinnerungen an unbeschwerte Jugendjahre in Zirl in Tirol. Mit Illustrationen von Christian Yeti Beirer.
Zirl: BAES 2021. 120 Seiten. EUR 21,90. ISBN 978-3-7534455-8-8.

Johann Kapferer, geb. 1962 in Hall in Tirol, aufgewachsen in Zirl, lebt in Oberhofen.
Christian Yeti Beirer, geb. 1966 in Reutte, lebt in Zirl.

Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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